| # taz.de -- Speisen im Insektenrestaurant: Essen wie Gott auf Horrortrip | |
| > Der Chef serviert Ameisen, Bambusmaden und gegrillte Grillen an | |
| > Guacamole. Es wird bitter, dann leicht nussig – und gut fürs Klima ist es | |
| > noch dazu. | |
| Bild: Hmm, knusprig. | |
| Paris taz | Zunächst britzelt zornig zitronige Säure im Mund. Das Chitin | |
| schneidet leicht in die Zunge, verletzt aber nicht. Ich schließe die Augen, | |
| kaue ein wenig und lasse mich geschmacklich in fremde Welten versetzen. Es | |
| wird ein Treppenhaus in einem Plattenbau, in dem es nach Bohnerwachs | |
| riecht. Dann meldet sich Bitterkeit, geschmacklich und vielleicht auch | |
| moralisch: Ich esse gerade ein ganzes Volk. So also schmecken Ameisen. | |
| „Immerhin bewegt es sich nicht“, sagt Kollegin Harriet, als ich die Augen | |
| wieder öffne. Wir befinden uns in der verträumten Rue de la Fontaine du But | |
| in Paris, in einer Bar mit dem schönen Namen Le Festin Nu, benannt nach dem | |
| Drogenroman „Naked Lunch“ von William S. Burroughs. Klein, schummriges | |
| Licht hinten, aus den Wänden ragen metallic angemalte Kunstarme, einer | |
| zeigt den Hitlergruß (definitiv verunglimpfend), die Draftbiere sind ein | |
| Genuss. | |
| Der Chef Sébastien Soualem serviert Ameisen und gegrillte Grillen an | |
| Guacamole und Krautsalat. Wir beleuchten das Schüsselchen mit unseren | |
| Handys. Die gegrillten Grillen gucken verloren drein, so ganz ohne ihre | |
| Fühler, die Ameisenkörper purzeln unbeholfen übereinander. Wäre ich Ameise, | |
| ich würde mich fühlen wie Burroughs auf Horrotrip. | |
| Aus der Sicht von 2,5 Milliarden Menschen ist dieser Text hier so sinnvoll | |
| wie ein Text darüber, wie es ist, in einen Hamburger zu beißen. So viele | |
| Menschen essen nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO | |
| regelmäßig Insekten, rund 1.900 Arten kann man futtern. Ich darf mich jetzt | |
| auch zu den Entomophagen zählen, zu den Insektenessern. | |
| ## Ein Schwein produziert ein Vielfaches an Treibhausgasen | |
| „Ich könnte schnell umstellen“, behauptet Harriet und schiebt sich noch | |
| eine Gabel Grillen in den Mund. Die schmecken leicht nussig, haben in etwa | |
| die Konsistenz von Salzstangen, wenn da nur nicht der Abgang wäre: dieses | |
| Bohnerwachsige. Wir machen uns ein paar Gedanken darüber, ob guter | |
| Geschmack ein soziales Konstrukt ist – blöde Frage eigentlich, denn was | |
| bitte sonst. Vermutlich muss man den Preis für Grillen nur | |
| verhundertfachen, mit halbnackten Damen dafür werben, und schon fahren alle | |
| möglichen reichen Idioten darauf ab. Kann mir doch keiner erzählen, dass | |
| auch nur ein Mensch auf der Welt Champagner trinken würde, wenn er nicht | |
| sauteuer in dicken Flaschen daherkäme. | |
| Wir bestellen gebratene Vers de Palmier an Bambusmaden mit Tomatencreme. | |
| Ein Schwein produziert übrigens zehn- bis hundertmal mehr Treibhausgase als | |
| eine gewichtsmäßig gleiche Menge an Maden oder Würmern. Und Insekten | |
| brauchen im Schnitt nur das Doppelte ihres eigenen Gewichts an Nahrung, um | |
| auf Verzehrgröße zu kommen. Die Proteine sind genauso nahrhaft wie von | |
| Tieren, die im Schnitt das Achtfache ihres Gewichts wegfuttern. | |
| Die Vers de Palmier kommen. Sie sehen aus wie ziemlich vertrocknete Datteln | |
| und haben auch die Größe. Die Bambuswürmer sehen aus wie Bambuswürmer, | |
| bewegen sich aber nicht. Wir fragen uns, ob die Viecher lebend in der Küche | |
| angeliefert werden. Gezüchtet werden sie sogar in der Region. Wollen aber | |
| Sébastien nicht fragen, weil, wer fragt schon in einem Restaurant, ob die | |
| Kühe erst in der Küche geschlachtet werden. | |
| Klimatechnisch also sind Insekten der Hammer. Brauchen kaum Platz, kaum | |
| Wasser, sind nahrhaft. Ich greife mir einen Vers de Palmier. Ich glaube, es | |
| sind Riesenmaden. Für die Zukunft des Planeten! | |
| Wodka. Dringend. | |
| Noch einen. | |
| Wir hängen völlig fertig am Tresen. Vers de Palmier schmecken, wie sie | |
| aussehen. Furchtbar. Sébastien tut die Sache offenbar leid. Aber, erzählt | |
| er, da stecke schon eine Idee dahinter: Die „Demokratisierung des Essens“. | |
| Es gehe darum, dass man sieht, was man isst. Kein raffiniertes | |
| Insektenmehl, wie sie es jetzt immer mehr herstellen, oder diese | |
| Insekten-Proteinsnacks, die so sehr wie ein Insekt aussehen wie eine Salami | |
| nach Kuh. | |
| Harriet macht sich Gedanken darüber, wie es wohl wäre, wenn jetzt eine | |
| menschengroße Kakerlake zur Türe hereinkommen würde. Ich frage mich, ob wir | |
| eigentlich auch die Ameisenkönigin gegessen haben. Ich meine: Die Königin! | |
| Irgendwo hört’sauch mal auf mit diesem Klimaschutz. | |
| 11 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
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