Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Insekten als Ernährung: Produktionsfarmen für Proteine
> Insekten gelten als umweltschonend und nahrhaft. Bei der Sicherheit von
> Insektenfarmen sind jedoch noch viele Fragen offen.
Bild: Als streetfood werden gebratene Insekten angeboten.
„Esst Insekten!“, so lautet ein Appell der Welternährungsorganisation FAO.
Der Hintergrund: Im Jahr 2050 soll die Erdbevölkerung auf rund 9 Milliarden
Menschen angewachsen sein. Unklar ist bislang, wie diese ernährt werden
sollen, schließlich verschlingt die fleischlastige Kost in vielen Ländern
Ernten, die dann andernorts fehlen. Auch der Verbrauch von Flächen für die
Biogas- und Ethanolerzeugung und der hohe Dünger- und Pestizidverbrauch
sind in dieser Hinsicht ein Problem, die Meere teilweise leer gefischt.
Insekten könnten hier Abhilfe schaffen. Schließlich liefern sie gut dreimal
mehr Eiweiß als andere tierische Produkte. Dabei steckt in ihnen
hochwertigeres Protein als in Pflanzen, zudem mehr gesunde Fettsäuren und
Mineralien, dafür weniger Fett. „Sie sind ernährungsphysiologisch besehen
besser als Fleisch“, ist Arnold van Huis, Entomologe an der Universität
Wageningen überzeugt.
Gleichzeitig ist die Produktion umweltschonender als die konventionelle
Fleischproduktion. Denn: Insekten verwandeln als Kaltblüter einen höheren
Anteil der Nahrung in Körpermasse. Die Folge: Weniger Landverbrauch,
weniger Wasserverbrauch, weniger Abfälle, weniger Emissionen, und zudem
könnten organische Reststoffe aus der Lebensmittelindustrie als Futter
dienen.
Eine Studie von Dennis Oonincx, Wissenschaftler an der Universität
Wageningen, aus dem Jahr 2012 hat gezeigt: Um einen Liter Milch zu erzeugen
braucht ein Landwirt 1,8-mal mehr Flächen als die gleiche Produktionsmenge
Mehlwürmer und für ein Kilogramm Schweinefleisch sogar 2,57 mehr Fläche.
Eine US-Studie von 2015 besagt allerdings, dass die Ökobilanz von
Insektenfarmen nur dann substanziell besser ist, wenn Lebensmittelabfälle
wie Molke, Orangenschalen oder Biertreber verfüttert werden.
Derzeit sind Insektenfarmen in der EU noch gar nicht erlaubt. Doch bei 2
Milliarden Menschen aus 100 Ländern stehen rund 1.400 verschiedene
Insektenarten bereits heute auf dem Speiseplan. Allein Thailand hat 20.000
Grillenfarmen. „Auch abseits dieser Länder verspeist jeder im Durchschnitt
rund ein halbes Kilogramm Insekten pro Jahr – meist vermischt in anderer
Nahrung“, erklärt van Huis. In Asien soll die versehentliche
„Kontamination“ mit Krabbeltieren in Reis sogar zur Vitaminversorgung der
Bevölkerung beitragen.
## Pestizide und Quecksilber
Die EU hat die Wichtigkeit der Krabbeltiere erkannt. 1,76 Millionen Dollar
hat die Kommission für die Erforschung der Insekten als Fleisch- und
Futterersatz abgezweigt. Und das ist gut so, denn es gibt erhebliche
Wissenslücken, was die großtechnologische Produktion von Insekten angeht.
Das geht aus einer kürzlich [1][von der europäischen Behörde für
Lebensmittelsicherheit (Efsa) veröffentlichten Studie (pdf-Datei)] hervor.
So weiß man wenig darüber, ob und in welchem Umfang chemische Schadstoffe
wie Schwermetalle, Toxine und Hormone auf Insekten übergehen. Aus Thailand
und aus Kuwait gibt es etwa Berichte, dass Insekten so stark mit Pestiziden
belastet waren, dass sie ein Gesundheitsrisiko für Verbraucher darstellten.
Auch Quecksilber und Blei fand man in Nordamerika in Insekten, die für den
menschlichen Konsum gedacht waren.
## Insekten als Überträger von Bakterien
Zu möglichen Gefahren durch Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilzen ist
ebenso wenig bekannt. Salmonellen könnten etwa in den Produktionsanlagen
vorkommen, eine Übertragung auf den Menschen wäre also möglich. Auch von
Campylobacter und Escherichia coli, zwei weiteren Durchfallerregern des
Menschen weiß man, dass sie bis zu eine Woche in Insekten überleben können.
„Solche Informationen sind wichtig um Dynamiken in Insektenfarmen
abzuschätzen“, schreibt Simone Belluco, Veterinärmediziner an der
Universität Padua in einem aktuellen Übersichtsartikel. Allerdings werden
bei der Verarbeitung der Tiere etwa zu Mehl Mikroben abgetötet. Nach der
sechs- bis achtwöchigen Aufzucht in einer Farm werden diese nämlich
gefriergetrocknet, was nur ganz hartgesottene Mikroben überleben.
Letztlich sei auch, so finden die Efsa-Forscher, das Thema Allergie noch zu
wenig beleuchtet. Schließlich gibt es Allergien, die auf Insektenbefall bei
Pflanzen zurückzuführen sind. So zeigten einige Menschen in Spanien
allergische Symptome, nachdem sie Linsen gegessen hatten – diese waren mit
dem Linsenfäfer Bruchus lentis infiziert. Auch in Thailand und China gab es
gehäuft Fälle von Allergien und sogar anaphylaktischen Schocks nach dem
Verzehr von Seidenraupenpuppen, Mehlwürmern, Grashüpfern und Grillen.
Chemiker haben Stoffe wie die Arginin-Kinase und Tropomyosin als
potenzielle Allergene im Verdacht. Ihretwegen kommt es auch oft zu
Kreuzreaktionen bei bereits bestehenden Allergien auf Krustentiere und
Hausstaubmilben.
Trotz allem gehen die Risikoforscher von der Efsa in Parma davon aus, dass
das Gefahrenpotenzial für Mensch und Umwelt dem anderer
Tierproduktionssysteme ähnelt, wenn die zugelassenen Futtermittel verwendet
werden. Und van Huis meint gar: „Menschen müssen lernen, dass es sicher
ist, Insekten zu essen.“ Laut Efsa haben Stubenfliegen, Mehlwürmer, Grillen
und Seidenraupen das größte Potenzial in der EU.
## Den Inhalt umschreiben
Sollte es so weit sein, gibt es jedoch noch eine weitere Hürde: Insekten
sind in westlichen Ländern mit einem Ekelfaktor behaftet. Laut den
britischen Marktforschern von Canadean würden 65 Prozent der Befragten
nicht einmal verarbeitete Insekten essen wollen. Damit sich der westliche
Verbraucher an derartige Produkte wagt, wird darum vielerorts an
Verarbeitungsformen gefeilt. Insektenmehl könnte etwa in Getreideriegeln,
Knabberzeug oder Brot verarbeitet werden. Laut einer aktuellen Studie der
Tulane University ist es hilfreich, Bilder, aber auch die genaue
Bezeichnung der Insekten zu vermeiden. Sportlernahrung könnte zum Beispiel
mit der Aufschrift „Enthält alternative Proteinquellen“ versehen werden.
Doch ist Essen eine Frage der kulturellen Anpassung? Sushi etwa wurde in
Deutschland erst beliebt, als die japanische Kultur Beachtung fand. Und so
gibt es bereits einige Restaurants, die Insekten auf der Speisekarte
führen: Im weltberühmten Noma in Kopenhagen serviert man auch mal
Rindfleischtartar mit Ameisen. Und das benachbarte Nordic Food Lab
erforscht die Verwendung von Insekten in der europäischen Küche. Ein Gin
mit Roten Ameisen, der Anty Gin ist bereits auf dem Markt, der durch
Ameisensäure und Pheromone besondere Aromen birgt.
Wenn mehr Klarheit in Sachen Produktionssicherheit herrscht, wird es
trotzdem wohl zuerst Absatzmöglichkeiten auf dem Futtermittelmarkt geben.
Schließlich würden laut einer EU-weiten Umfrage immerhin 70 Prozent der
Befragten Fleisch essen, das mit Insekten im Tierfutter produziert wurde.
Insektenpulver könnte dann, anstatt Soja oder Fischmehl, Schweine, Geflügel
und Fische in Aquakultur mit der Extraportion Eiweiß versorgen.
14 Feb 2016
## LINKS
[1] http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_…
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Insekten
Lebensmittel
Proteine
EFSA
Lebensmittel
Schwerpunkt Klimawandel
Silvester
Insekten
Vegetarismus
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Insekten
Essen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Insekten als Lebensmittel: Grünes Licht für Mehlwürmer
Insekten gelten als klimaschonender Ersatz für Steak & Co. Mehlwürmer sind
nun EU-weit erlaubt. Insektenfarmen bergen jedoch auch Risiken.
Mega-Insektenfarm in den Niederlanden: Fabrik für krabbelndes Tierfutter
Mit viel Tamtam eröffnet die größte Insektenfarm Europas in Bergen op Zoom.
Sind Fliegenlarven besseres Viehfutter als Importsoja?
Alternativ-fortschrittliches Silvestermenü: Krabbeln im Bauch
Insekten auf dem Teller: Silvester bietet eine willkommene Gelegenheit, die
wieder entdeckten Eiweißquellen kulinarisch auszutesten.
Bio-Müsliriegel mit Insekten: Grillen für den kleinen Hunger
Für den Hersteller sind die Insektenriegel eine Art Superfood mit
Weltrettungspotenzial. CO2-Bilanz? Die Grillen werden aus Kanada
importiert.
Köstliche Käfer: „Eine leicht nussige Note“
Die preisgekrönte Osnabrücker Bugfoundation macht Burger aus
Buffalowürmern. Vermarkten darf sie dies aber nur in Belgien und in den
Niederlanden
Speisen im Insektenrestaurant: Essen wie Gott auf Horrortrip
Der Chef serviert Ameisen, Bambusmaden und gegrillte Grillen an Guacamole.
Es wird bitter, dann leicht nussig – und gut fürs Klima ist es noch dazu.
Zukunft der Ernährung: Die Lösung, nicht das Problem
Insekten essen ist die bessere Alternative – ökonomisch, ökologisch und
ernährungsmäßig gesehen. Wir müssen uns bald eh dran gewöhnen
Alternative Eiweißquelle: Insekten essen
Fleisch essen ist ein Auslaufmodell, schon wegen des Weltklimas. Doch woher
Proteine bekommen? Eine Möglichkeit ist, Insekten zu essen. Ein
Selbstversuch.
Proteine mal anders: Heuschrecken frittieren!
Das Fleisch der Zukunft stammt nicht von Säugetieren. Heuschrecken und
Kakerlaken sind die Delikatessen von morgen. Ein Selbstversuch.
Umweltbilanz von Fischfarmen: Lachslaus und Mangroventod
Immer mehr Fisch kommt aus Aquakulturen. Das bringt zahlreiche
Umweltprobleme mit sich. Deswegen sollen die Farmen jetzt nachhaltiger
werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.