| # taz.de -- Zukunft der Ernährung: Die Lösung, nicht das Problem | |
| > Insekten essen ist die bessere Alternative – ökonomisch, ökologisch und | |
| > ernährungsmäßig gesehen. Wir müssen uns bald eh dran gewöhnen | |
| Bild: Noch ist das exotisch, jedenfalls hierzulande | |
| Bremen taz | Alles spricht dafür, Insekten zu essen. Jedenfalls aber | |
| dagegen, es mit Hühnern, Schweinen oder Rindern zu tun. Und wir wollen | |
| jetzt mal nicht mit diesem ewigen Moral-Ding argumentieren. Sondern an die | |
| Welt im Großen und Ganzen denken, das Klima, die Zukunft. | |
| Es ist doch so: Warmblüter zu essen, ist total unökonomisch und | |
| umweltschädlich, egal wie man es dreht und wendet, egal ob das Fleisch nun | |
| „bio“ ist oder nicht. Der ökologische Fußabdruck von Insekten ist immer um | |
| Welten besser als der von herkömmlichem Tellervieh. Sagt die FAO, die | |
| [1][Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen], die sich schon seit | |
| Jahren dafür stark macht, Insekten zu essen. | |
| Schweine zum Beispiel produzieren laut FAO bis zu 100-mal mehr | |
| Treibhausgase pro Kilogramm Körpermasse als Mehlwürmer. Und verbrauchen | |
| dabei viel mehr Wasser: 3.500 Liter pro Kilo, sagen wissenschaftliche | |
| Studien. Bei Rindfleisch kann es gar zehnmal so viel sein. Zwar fehlen | |
| zuverlässige Vergleichszahlen für Insekten – sicher ist aber laut FAO: Es | |
| ist „deutlich weniger“. Mehlwürmer etwa sind dürreresistenter als Rinder. | |
| Überhaupt ist allein die Fleischproduktion laut FAO für mehr Treibhausgase | |
| verantwortlich als der ganze weltweite Straßenverkehr. | |
| Obendrein sind Warmblüter total ineffizient, was Futterverwertung angeht. | |
| Die Zahlen variieren da stark, aber im Schnitt, kann man sagen, braucht es | |
| etwa fünf Kilo Futter für ein Kilo Schweinefleisch, bei Rindern eher | |
| doppelt so viel. Grillen hingegen brauchen nicht mal zwei Kilo, sagen | |
| Studien. Hinzu kommt, dass mehr als drei Viertel einer Grille, aber mühsam | |
| mehr als die Hälfte eines Schweins essbar ist, bei Rindern noch weniger. | |
| Von der effizienteren Fortpflanzung ganz zu schweigen. Außerdem gehen 90 | |
| Prozent der geernteten Nahrungskalorien unterwegs verloren, wenn man | |
| erstmal Mais, Weizen oder Soja an Tiere verfüttert, um dann später deren | |
| Fleisch zu essen. | |
| ## Je mehr Vieh, desto mehr Nitrat | |
| Und dann die Grundwasserbelastung! In Niedersachsen beispielsweise ist laut | |
| neuesten Zahlen der Bundesregierung das Grundwasser durchweg mit viel zu | |
| viel Nitrat belastet. Der zulässige Grenzwert wird teilweise um das | |
| 3,8-fache überschritten. Und dieses Nitrat kommt vor allem aus der | |
| Landwirtschaft: Je größer die „Viehbesatzdichte“, desto größer das Prob… | |
| mit Nitrat im Grundwasser. | |
| Wir wollen trotzdem keine Insekten essen, werden viele jetzt sagen. „Müssen | |
| wir aber“, früher oder später, sagt Lutz Fischer, leitender Biologe am | |
| Klimahaus in Bremerhaven, das unter dem Schlagwort „Grillen-Saison“ auch | |
| mal Insektenkost serviert. In den Industrieländern essen die Menschen heute | |
| durchschnittlich 80 Kilo Fleisch pro Kopf und Jahr, das sind etwa | |
| eineinhalb Kilo in der Woche. Doch schon 2030 werden laut FAO | |
| voraussichtlich neun Milliarden Menschen ernährt werden müssen, zusammen | |
| mit unzähligen Viechern, die mal als Nutz-, mal als Haustier gehalten | |
| werden. | |
| Und da werden wir künftig nicht mehr „den Luxus“ haben, uns unsere | |
| Eiweißquelle selbst aussuchen zu können, sagt Nils Grabowski von der | |
| Tierärztlichen Hochschule Hannover – sondern „neue Wege“ beschreiten | |
| müssen. Zumindest: für Europäer neue. Und Heuschrecken oder Grillen, sagt | |
| Grabowski, haben eben einen Eiweißgehalt von fast 80 Prozent im Trocknen. | |
| Natürlich könnte man jetzt einwenden: Dann sollen die Leute eben | |
| vegetarisch essen! Das wäre prinzipiell natürlich auch „super“, sagt | |
| Fischer. Aber trotzdem, auch das sagt er, nicht so gut fürs Weltklima. Denn | |
| das Soja, das Vegetarier und Veganer beispielsweise im Tofu essen, der | |
| Proteine wegen, vernichtet in Brasilien – nach den USA der weltgrößte | |
| Soja-Produzent – die Regenwälder Amazoniens, dazu den Lebensraum indigener | |
| Völker. Zumeist landet das Soja aber eh im Tierfutter, womit wir schon | |
| wieder beim Fleisch wären. | |
| ## Und so gesund! | |
| Auch ernährungsphysiologisch spricht vieles für Insekten. So enthalten 100 | |
| Gramm Heuschrecken deutlich weniger Fett, aber mit über 20 Gramm etwa | |
| ebenso viel Eiweiß wie dieselbe Menge Rinderhack. Zudem liefern Insekten | |
| ähnlich viele hochwertige Omega-3-Fettsäuren wie Fisch, und sie sind, laut | |
| FAO, reich an Ballast- und anderen Nährstoffen wie Kupfer, Eisen, | |
| Magnesium, Zink. | |
| Und sollte jetzt jemand Angst haben, Insekten könnten gefährliche | |
| Krankheiten vom Tier auf den Menschen übertragen; Vogelgrippe, Rinderwahn | |
| oder was es da sonst noch so gibt: Die Gefahr ist „gering“, sagt die FAO. | |
| Dabei lassen sich Insekten auf Küchenabfällen kultivieren – und diese | |
| damit, siehe oben, in hochwertiges Eiweiß umwandeln. Um Hausgrillen zu | |
| züchten, reichen zwei LKW-Reifen, aufeinander gestapelt; obendrauf ein | |
| Drahtgitter, unten drin etwas Kompost aus der Küche. Dann legen Sie einen | |
| Eierkarton voll Grillen rein, und gut is‘. Versuchen Sie das mal mit | |
| Hühnern! Nein, lieber nicht. | |
| Aber Insekten essen ist eklig! Werden viele jetzt sagen und dabei die Nase | |
| rümpfen. Aber in Wahrheit stehen sie damit natürlich ziemlich allein da. | |
| Also: bei uns vielleicht nicht. Aber global betrachtet. In Europa gab‘s | |
| zwar die Maikäfersuppe – aber nur in der Not. In Amerika, Afrika oder Asien | |
| indes essen sie schon seit jeher Insekten – Ameisenpuppen sind in Mexiko | |
| das, was bei uns der Kaviar ist. | |
| Der Gedanke daran ist widerlich? Aber mit rohem Fisch – vornehmer: Sushi – | |
| war das bis vor Kurzem ähnlich. Zwar schützt uns der Ekel auch, sagt | |
| Valerie Curtis, eine führende Ekel-Forscherin – vor Infektionen | |
| beispielsweise –, doch was Insekten angeht, gibt es dafür heute keinen | |
| Anlass mehr, wenn man die Tiere nicht gerade am Autobahnparkplatz sammelt. | |
| Im Mittelalter mag das anders gewesen sein. | |
| Und wie groß ist denn der Unterschied zwischen, sagen wir: Heuschrecken und | |
| Garnelen? Beide haben sie lange Fühler, eine harte Schale und innendrin | |
| etwas Fleisch. Der Ekel vor Insekten hierzulande ist ein anerzogener, dazu | |
| einer, den die Europäer im Zuge der Kolonialisierung in der Welt verbreitet | |
| haben: Wer Insekten isst, ist rückständig. | |
| ## Die Auswahl ist riesig | |
| Heute könnte es anders herum sein: Zucht und Ernte von Insekten bieten | |
| viele Chancen in Entwicklungs- oder Schwellenländern, für die Ärmsten der | |
| Gesellschaft, Grundbesitzlose, Frauen – in urbanen wie in ländlichen | |
| Gegenden, ja: sogar in der Wildnis. Der technische wie der finanzielle | |
| Aufwand ist ja minimal. | |
| Und die Auswahl an Insekten – die meisten schmecken leicht nussig – ist | |
| riesig: Weltweit gibt es über 1.000 essbare Insektenarten. Man kann sie süß | |
| oder herzhaft, geröstet oder frittiert servieren; von Rohkost wird eher | |
| abgeraten. Auch Spinnen sind oft essbar, sagt Klimahaus-Biologe Fischer, | |
| aber das ist ein anderes Thema, das sind ja gar keine Insekten. | |
| Wahrscheinlich haben schon frühere Formen des Menschen Insekten verspeist, | |
| auch viele Primaten fressen sie. | |
| Und am Ende ist die ganze Sache vor allem eine Frage der Verpackung, der | |
| richtigen Gewürze. Aber das kennen wir ja schon vom Tofu. Und vom Fleisch. | |
| 7 Sep 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.fao.org/docrep/018/i3264g/i3264g.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
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