# taz.de -- Proteine mal anders: Heuschrecken frittieren! | |
> Das Fleisch der Zukunft stammt nicht von Säugetieren. Heuschrecken und | |
> Kakerlaken sind die Delikatessen von morgen. Ein Selbstversuch. | |
Bild: Lecker? Eigentlich sind diese Würmer für Vögel und Affen gedacht. Der … | |
Weil es die richtige Entscheidung ist, deshalb. Weil Insekten Nutztiere | |
sein sollten. Das ist nur wirtschaftlich. Verfüttere zwei Kilo Salat an | |
Insekten und du gewinnst ein halbes Kilo hochwertiges Protein. Stecke | |
dieselbe Menge in ein Rind, ein Schwein, ein Schaf, egal: Keine zwei Happen | |
Speck landen auf den Hüften unserer herkömmlichen Fleischlieferanten. Der | |
Rest entweicht, Methan und Mist. | |
Insekten sind die bessere Nahrung. Sie sind leicht zu züchten, sie haben | |
keine Lobby und kein zentrales Nervensystem, das Schmerz empfinden könnte. | |
Kein Schwein interessiert es, ob sie gegessen werden, nicht einmal die | |
Insekten selbst stören sich daran. | |
Auf allen Kontinenten werden über tausend Krabbelarten verspeist. Die | |
Asiaten essen Ameisen und Skorpione, die Afrikaner Heuschrecken und | |
Termiten, die Australier mögen Raupen und Motten, in Südamerika kommen | |
Maden und Spinnen auf den Tisch. Auch hierzulande löffelte man vor hundert | |
Jahren noch Gelbrandkäferbouillon und im Zweiten Weltkrieg die Maikäfer. | |
Heutzutage ziehen es die Europäer jedoch vor, alles zu erschlagen und zu | |
zerlatschen, was unter die Schuhsohle passt. Denn Insekten sind irgendwie | |
unheimlich, schmutzig, eklig, und dementsprechend rümpfe ich die Nase, als | |
mich aus einer Plastikbox ein gutes Dutzend Facettenaugen anstarrt. | |
## Rosarote Heuschrecken | |
Die Box habe ich aus der Zoohandlung. Ich musste Schlange stehen. Nicht | |
etwa, weil die Leute auf den Geschmack gekommen sind, sondern weil die | |
ganzen Haus-Leguane und Zimmer-Chamäleons gerade mit einem gesunden Appetit | |
aus dem Winterschlummer erwachen. Mein Insektendealer schmunzelte, als ich | |
meinen Wunsch vortrug, die anderen Kunden musterten mich – skeptisch bis | |
angewidert. | |
An den Heimchen ist nix dran, sagt der Dealer, da brauchste schon was | |
Größeres, verschwindet im Keller und kommt mit elf ausgewachsenen | |
Heuschrecken wieder. Und vier riesigen, schwarz schillernden Fauchschaben. | |
Handtellergroße, griesgrämige Monster, direkt aus der Hölle. Sie zetern und | |
keifen. Sie flitzen mit ihren unzähligen Kakerlakenbeinchen die Plastikwand | |
entlang, das Dunkel suchend und die Schrecken verschreckend, die wiederum | |
losspringen, gegen den Deckel deppern und wieder auf der nächsten Schabe | |
landen. | |
Eine Kettenreaktion des Horrors. Ich hab’s ja nur gut gemeint, sagt der | |
Dealer, macht 4,50 Euro, ich bedanke mich herzlich, er wünscht guten | |
Appetit, die Kunden gucken verwirrt und mein Einkauf rastet aus. Die | |
Schaben scharren, die Schrecken springen. Es fühlt sich so an, als ob in | |
der Tasche ein Handy vibriert. | |
Vielleicht sind es gerade diese schnellen, unkontrollierten Bewegungen auf | |
diesen vielen Beinchen, die den Ekel aufkommen lassen. Ich weiß, dass das | |
Getier aus der Box nicht schmutzig, quasi steril ist. Nie haben mich | |
Insekten traumatisiert. Keine Kakerlaken in der Küche. Woher also die | |
Abneigung? | |
## Weshalb der Ekel? | |
Die Schrecken klettern auf den Schaben herum und ich denke an Tod, | |
Verwesung, Alieninvasion. An das Eier legende, wimmelnde und alles | |
vernichtende Kollektiv, das den Planeten beherrscht – zumindest zahlenmäßig | |
und durch äonenalte Tradition. Ab ins Eisfach mit der Box. Schockfrost | |
erscheint mir die humanste Methode zu sein, besser als lebend braten oder | |
Drauftreten. Der Mord macht mir wenig aus. | |
Doch Mitleid bemächtigt sich meiner, als ich das Geziefer am nächsten Tag | |
in Händen halte, starr und von weißem Reif umhüllt. Einige liegen mit | |
eingezogenen Gliedern da, manche hängen am Deckelrand, ein letzter Versuch, | |
dem Kältetod zu entrinnen. Meine Schuld. Ich sammle die steifen Körper aus | |
ihrem Sarg und beginne zunächst, die Beine mit den Widerhaken zu entfernen. | |
Die sollen zwar schön knusprig sein, sind beim Verzehr aber schon in der | |
einen oder anderen Speiseröhre hängen geblieben. | |
Bei der Zubereitung meiner Delikatesse arbeite ich hastig und lieblos. Wer | |
weiß, wie schnell die Dinger wieder aufwachen. Doch die Massenamputation | |
geht schwer vonstatten, die Beine wollen sich nicht vom Körper lösen, reiße | |
ich zu stark, fliegt das Vieh in Fetzen. Bei den Heuschrecken zupfe ich | |
auch die Flügel vom Rumpf, einmal löst sich der Kopf mit ab. Eine | |
tiefschwarze Flüssigkeit rinnt harzig aus der Schlundwunde und verklebt das | |
Küchenbrett. Was immer das sein mag: Schön ist es nicht. Mir wird übel. | |
In Sachen Ästhetik lassen Körperflüssigkeiten generell zu wünschen übrig, | |
denke ich mir, von Freudentränen abgesehen. Doch weshalb der Ekel? Mich | |
müssten ganz andere Leckereien anwidern: Verschimmelte, geronnene | |
Ziegenmilch, roher Fisch und dessen Rogen, Weinbergschnecken. Aber das wird | |
von den Gourmets hoch geschätzt. Auch Wurst und Hack und Hühnereier widern | |
uns nicht an, obwohl jeder die Bilder aus der Massentierhaltung kennt. | |
## Keine Frage der Vernunft | |
Ekel ist eben keine Frage der Vernunft und nur selten des Instinkts. Ekel | |
entstammt der Erziehung, der Sozialisation. Sie macht den feinen | |
Unterschied zwischen dem von Serranoschinken umwickelten Stück Honigmelone | |
und dem wurmstichigen Fallobst. Was ist der Unterschied zwischen einer | |
Heuschrecke und einer Garnele? Augen, Fühler, Beine, Panzer, alles dran. | |
Und tatsächlich: Im siedenden Öl nehmen die Hüpfer eine goldbraune bis | |
rötliche Farbe an, ähnlich wie Shrimps. Schlecht ist mir trotzdem. | |
Ich meditiere kluge Argumente vor mich hin: Schluss mit dem Überfluss, der | |
Verschwendung, der Planetenplünderung. Iss Insekten! Die Haltung im | |
Stapelkasten schont den Geldbeutel, die CO2-arme Fleischproduktion das | |
Klima. Sogar die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft wirbt für | |
die Nahrung der Zukunft. Außerdem können wir uns bald kein anderes Fleisch | |
mehr leisten. Die Weltlandwirtschaft kann die Viehzucht nicht mehr tragen, | |
gewöhnen wir uns an die Alternativen. | |
Also spieße ich eine Schrecke auf und kaue darauf herum. Der Geschmack: | |
langweilig. Im Inneren des knusprigen Panzers ist nichts los, es schmeckt | |
nach Erdnussflips, nicht schlecht, aber auch nicht spektakulär. Ich paniere | |
die Insekten in einer Marinade aus Tahini, Honig, Senf und etwas Mehl. Dann | |
brate ich sie mit Knoblauch und Chili scharf an. Wesentlich besser. Aber | |
paniert und frittiert schmeckt alles. Auf diese Weise könnte ich | |
Scheuerlappen zubereiten. Oder meinen linken Fuß. | |
## Modrige Kakerlaken | |
Nun sind die Kakerlaken dran. Ich beeile mich, die Pfanne anzufeuern. | |
Nussöl erhitzen und rasch die Fauchschaben dazu. Die machen ihrem Namen | |
noch einmal alle Ehre. Als das Öl zwischen den Chitinplatten ins | |
Schabenfleisch dringt, knistert, quietscht und zischt es gewaltig in der | |
Hexenküche. Ich schwenke die Biester minutenlang im Fett, auf dass sie | |
endlich den Rand halten und meditiere: Ernähre dich bewusst, iss gute | |
Insektenproteine, Vitamine und lecker Mineralien. Alljährlich essen wir ein | |
halbes Kilo Insekten, die sich in Obstschalen, im Getreide, in der | |
Marmelade und im TK-Gemüse verstecken, da kommt es darauf jetzt auch nicht | |
mehr an. | |
Ich halbiere eine Schabe. Am Panzer klebt ein bisschen Fleisch, weiß und | |
faserig, ähnlich wie Geflügel. Sonst ist da nichts, was in dem daumengroßen | |
Hinterleib gourmetverdächtig wirkt. Alles Innereien. Röhren, Ganglien, | |
Drüsen, Därme, ich will nicht wissen, was genau. Ich klammere mich an mein | |
Mantra: Insekten essen gegen den Welthunger, gegen die Waldrodung, gegen | |
das Leerfischen der Meere! Sicher ist es ohnehin längst gängige Praxis, | |
euch zu zermüllern und als Billighack, als Wurst, als Mikrowellengerichte | |
zu verkaufen. | |
Und was mich angeht: Nur noch den Ekel überwinden, zubeißen und … | |
So gesund, p. c., öko und pferdefrei es auch sein mag, die Kakerlake | |
schmeckt so, wie sie anmutet. Modrig. Irgendwie nach Keller. Scheiße. | |
Nichts für mich, ihr Alienviecher aus der Hölle. Ich übe mich künftig in | |
Askese. | |
2 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Philipp Brandstädter | |
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