# taz.de -- Was die taz-Redaktion so isst: Wider den Skorbut | |
> Döner, Ratatouille, Empanadas. Die kulinarische Geschichte der taz ist | |
> eine Geschichte der permanenten Verfeinerung. | |
Bild: Brot mit Öl war in den 90ern Leibspeise der Redakteurinnen. Dann kam die… | |
Am Anfang war das Fleisch, und das Fleisch hing am Spieß. Es wurde von | |
Schnauzbärtigen gegrillt, die es mit Salattrümmern in Brotviertel stopften | |
und mit Knoblauchsoße besprenkelten. In der guten alten Wattstraße, wo die | |
taz in den 80er Jahren ihre Redaktionsräume hatte, gab es zwei, drei Türken | |
um die Ecke, die man jederzeit anrufen konnte, um, sagen wir, 34 Döner zu | |
bestellen. Er war das Grundnahrungsmittel: sättigend, dem monatlichen Salär | |
(800 Mark) angemessen und zu den Gründungszeiten der Zeitung auch noch ein | |
bisschen multikulti. | |
Für die Massenverköstigung der taz rückten die Schnauzbärtigen den Spieß | |
allerdings gefährlich nahe an den rotglühenden Grill heran, damit das | |
Fleisch schneller briet. Es zischte, Flammen züngelten, Kanzerogene | |
wirbelten durch die Berliner Luft. Dann wurden angekokelte Fleischstreifen | |
abrasiert, zu Bergen getürmt und in Brottaschen gesteckt. Die 34 Döner | |
landeten, von Alufolie umschlungen, in Dutzenden Plastiktüten. Die | |
Köstlichkeit wurde im individuellen Essbereich zwischen Tickerschlangen, | |
Aschenbechern und Schreibmaschinen direkt am Arbeitsplatz gierig | |
verschlungen. | |
Als einziges Getränk wurde „Politik in der Tasse“ geschlürft – ultrasch… | |
gerösteter Nicaragua-Kaffee, der in schlafsackgroßen Filtern gebrüht wurde. | |
Die XXL-Kanne hatte Form und Größe eines Atomkraftwerks und stand auf einer | |
Warmhalteplatte, wo die Sandino-Dröhnung fröhlich vor sich hin köchelte und | |
langsam in Teer überging. In den Schreibtischschubladen der Belegschaft | |
lagen die zugehörigen Rennies: Magensäurebinder von Bayer. | |
Magenschleimhäute hatten im politischen Kampf nicht höchste Priorität. | |
## Plünderungen waren die Regel | |
Die Geschichte der Verfeinerung ist selten stringent. Sie ist von Rück- und | |
Seitwärtsschritten geprägt. Und manchmal ist sie so undurchsichtig wie die | |
Vorgänge in einem Schmortopf. Man füllt ihn mit Inhalt, setzt ihn bei | |
geringer Hitze in den Ofen, in der guten Hoffnung, dass sich irgendwann das | |
Gericht mit appetitlichem Geruch meldet. Für die taz lässt sich immerhin | |
sagen: Die Verfeinerung setzte ein. | |
Irgendwann gab es Vollkornbrot. Der Ökologieredakteur karrte täglich 20 | |
Exemplare aus der Neuköllner Bäckerei Mehlwurm heran. Im Kühlschrank der | |
Ökoredaktion lagen Wurst und Käse. Das sprach sich schnell herum, | |
Plünderungen waren die Regel. Am Kühlschrank arretierte Hassbotschaften an | |
die Wursträuber blieben wirkungslos. Einige Redaktionen taten sich | |
schließlich zusammen und organisierten mittägliche Einkaufstouren bei | |
Kaiser’s. | |
Unbestrittene Höhepunkte dieser Anfangsjahre waren Prozessgewinne von | |
Christian Ströbele. Nach juristischen Triumphen in einem der unzähligen | |
Beleidigungsverfahren schleppte der taz-Anwalt kistenweise Brötchen und | |
Aufschnitt in die Wattstraße und servierte der gesamten Belegschaft eines | |
seiner üppigen Frühstücke, inklusive Räucherlachs und Leberpastete, Trauben | |
und Ananas. Die Belegschaft schlang, als gäbe es kein Morgen – und keinen | |
Redaktionsschluss. Die Ströbelebuffets gelten als der kulinarische Urknall | |
der taz. | |
Immer neue Küchenbullen | |
Was folgte, war eine lange Do-it-yourself-Phase. Eine Zeit voller Schweiß | |
und Tränen. Auch Redakteure standen an den Töpfen. | |
Mitte der 80er-Jahre wurde eine Kantine installiert. Gleich kam | |
Schadenfreude auf. „Wenn das Gesundheitsamt davon Wind bekommt, machen die | |
den ganzen Laden dicht.“ Doch es funktionierte. Morgens wurde ein | |
Frühstückchen angeboten. Die KöchInnen schnippelten Obstsalat gegen den in | |
der taz weit verbreiteten Skorbut. Sie waren um acht Uhr immer die ersten, | |
konnten folglich Buch führen, wer nach gemeinsam verbrachter Nacht zusammen | |
in der Wattstraße aufschlug. Mittags gab es zwei gut gekochte Gerichte, | |
eines war schon damals vegetarisch. | |
Der Erfolg war überwältigend, nach zwei Wochen konnte sich niemand mehr an | |
die Zeiten des kulinarischen Tiefflugs erinnern. Plötzlich wurden | |
angebetete Stars geboren, direkt am Herd. Ulrike Halbrock stemmte die | |
Anfangsjahre mit souveräner Gelassenheit. Mit Claudia Mussotter betrat | |
erstmals eine ausgebildete Köchin die Wattstraße. Einzelne Redakteure | |
halfen ihr während der morgendlichen Redaktionskonferenz beim | |
Kartoffelschälen. Claudia konnte der Flüchtigkeit einer Gemüsebeilage den | |
Anschein von Feierlichkeit verleihen. Oder Norbert Thomma: Wenn Herr | |
Thömmes morgens mit seiner Spätzlemaschine unterm Arm auftauchte, ging ein | |
Raunen durch die Abteilungen. | |
Indes: Die Küchenleute stöhnten. Sie hatten nur einen normalen | |
Vier-Platten-Küchenherd, sollten aber täglich 50 Essen kochen, ebenso waren | |
die Kühlmöglichkeiten minimal. Als die Herdplatten ausfielen und nur noch | |
der Backofen zur Verfügung stand, kochte Kollege Thomma zu Hause am | |
Lausitzer Platz riesige Nudelportionen, die er mit Rucksack und | |
Plastiktüten in die Wattstraße schleppte, wo er daraus im Backofen einen | |
feinen Nudelauflauf mit Salat zauberte. Herrlich! | |
Immer neue Küchenbullen versuchten sich an den taz-Töpfen, darunter echte | |
MeisterInnen, gelegentlich aber auch welche, die sich nur dafür hielten. | |
Die hackten ein bisschen Gemüse, warfen es in einen Bottich, kochten es ein | |
paar Stunden und nannten es Ratatouille. Die Fluktuation war hoch, und nach | |
dem Umzug 1989 in die Kochstraße wurde die Nahrungsaufnahme zum täglichen | |
Vabanque-Spiel. Das Ende der Kantinenzeit war besiegelt. | |
Es wird très chic | |
Das Parterre des taz-Hauses in der Kochstraße wurde an ein Restaurant | |
vermietet, das fortan den Mensadienst übernahm: erst das „Blumhagen“ und | |
ab 1995 das „Sale e Tabacchi“. Eine denkwürdige Phase, denn diese | |
Lokalitäten waren très chic. | |
Bis 2007 waren die Edelrestaurants der Futtertrog der Belegschaft. Zur | |
Mittagszeit konnte man bestaunen, wie die tazler mit ihren bunten | |
Essensmarken ungeduldig herumwedelten. Sie bildeten einen verfressenen | |
Fremdkörper, der als Attraktion sogar in verschiedene Restaurantführern | |
Eingang fand. Nur manchmal wurde es den distinguierten Kellnern zu viel, zu | |
Zeiten des „Blumhagen“ etwa, als taz-Hausmeister Jens es wagte, sich in | |
Shorts, Badeschlappen und sockenfrei niederzulassen. Ihm wurde klargemacht, | |
dass seine Garderobe den Ruf des Hauses gefährde, woraufhin der Gedemütigte | |
seine Teller fortan im ersten Stock auslöffelte. | |
Im „Sale e Tabacchi“ beeilte sich der Service, nach dem ersten Gang – | |
„Suppe oder Salat?“ – möglichst schnell die Pasta aufzutragen, denn sonst | |
gab es kein Halten mehr: Brotkörbe wurden im Dutzend nachbestellt, Olivenöl | |
freigebig in die leeren Suppenteller geschüttet, um weiter zu tunken. | |
Irgendwann verbannte Piero de Vitis, der „Sale“-Patron, die Flaschen von | |
den Tischen. Beim Olivenöl war das noch zu machen, erinnert er sich, aber | |
nicht beim Balsamico. Ein männliches Mitglied der Chefredaktion warf sein | |
ganzes Gewicht in die Waagschale, um den sirupartigen Essig zu retten, der | |
vor allem dazu diente, den vielen pürierten Gemüsesuppen jegliche Feinheit | |
zu rauben. Für die Völlerei an Weizengebäck büßt die Belegschaft bis heute | |
mit einer in der taz weit verbreiteten Glutenskepsis. | |
## Die taz als Gastronomin | |
Mitte der nuller Jahre ließ sich die taz auf das vielleicht waghalsigste | |
Projekt ihrer ganzen Geschichte ein. Sie wurde selbst zum Gastronomen, | |
direkt neben dem „Sale“ eröffnete im Parterre des inzwischen errichteten | |
Anbaus das taz-Café. Entwicklungshelfer wurde Christoph Esser, der aus | |
einer handtuchgroßen Küche heraus einen Mob abzufertigen hatte, der nun | |
nicht mehr mit Baguettekörben ruhig zu stellen war, sondern den Tresen | |
belagerte und ständig den Bedienungen im Weg stand. Nur eine | |
unausgesprochene Regel wurde in dieser Zeit eingehalten: Selbst in die | |
Küche zu gehen, das war tabu. | |
Dort stand nun auch wieder Nancy Krüger, seit dem Mauerfall die eigentliche | |
Ernährerin der tazler. Ihre Stullen hatten Generationen von Redakteurinnen | |
aus Katerphasen hinaus- und über Schreibblockaden hinweggeholfen. Sie | |
brachte Empanadas mit und produziert die gefüllten Teigtaschen bis heute, | |
auch zum Mitnehmen. Für nicht wenige MitarbeiterInnen sind sie das | |
kulinarische Festmahl der Woche, kurz bevor das nächste Gehalt ansteht. | |
Christoph Esser setzte sich geduldig für die kulinarische Bildung der taz | |
ein, auch in vielen Schriftbeiträgen. Vielleicht erkannte er, dass die | |
Arbeit getan war, als das Murren einsetzte über die vielen „Curry“ | |
genannten, asiatisch anmutenden Gemüse- und Tofukreationen, die nun neben | |
Salat, Suppe und Pasta – dem Erbe aus „Sale“-Zeiten – auf der Karte | |
standen. Länger hielt sich dort nur die Dessertkreation Crumble aus Äpfeln, | |
Pflaumen oder Pfirsichen. | |
In der Post- „Sale“-Ära geriet die taz-Küche recht eklektizistisch. Das | |
fiel vor allem in den heißesten Wochen des Jahres auf. Bei gefühlten 45 | |
Grad in der Redaktionsstube unterm Dach wartete das taz Café gern als | |
Erfrischung mit Schweinebraten und Klößen oder anderen Winterklassikern | |
auf. Kalles heiß geliebter Fisch wiederum wurde immer donnerstags serviert. | |
Heute ist die taz ganz im Jetzt der bundesdeutschen Esskultur angekommen. | |
Die Individualisierung prägt die Essgewohnheiten, und doch sind die | |
Geschmäcker im kulinarischen Kosmos der taz leicht auszurechnen. Mit dem | |
Umzug in den taz Neubau in der Friedrichstraße wurde aus dem taz-Café die | |
taz Kantine. Sie ist mehr als doppelt so groß, hat eine offen einsehbare | |
Küche und bietet mit einer Tages-, Abend-, Wochen- und Saisonkarte so viele | |
Gerichte, dass selbst anspruchsvollen Essern selten langweilig wird. Sind | |
aber Evergreens der Gemeinschaftsverpflegung wie Currywurst, Schnitzel oder | |
Spaghetti Bolognese im Angebot, sind die Redaktionsräume trotzdem zu früher | |
Mittagsstunde wie leergefegt. Und auch die sonst laute Fraktion der Veganer | |
und Vegetarier, die schnell mit Diskriminierungsverdacht bei der Hand ist, | |
hält bei solchen Gelegenheiten das Maul. | |
Nur eines hat sich nicht verändert. In den Kaffeeküchen der Redaktion | |
stehen heute Voll- und Kapselautomaten, eine beängstigende Sammlung an | |
Aufgussgetränken füllt unzählige Schubladen aus. Der Filterkaffee, heute | |
Caparica genannt, in den großen Bonamat-Maschinen jedoch köchelt wie eh und | |
je leise vor sich hin. | |
Teile des Textes fußen auf dem Beitrag: [1][„Das Land der Schimmelpilze“ | |
von Karl Wegmann] (†), der 1994 in der taz erschien. | |
15 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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