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# taz.de -- Beppe Grillo über Europa: „Der Finanzsektor tötet“
> Europa ist gescheitert, weil es den Bankiers die Politik überlassen hat,
> sagt Beppe Grillo, Chef der italienischen 5-Sterne-Bewegung.
Bild: „Die Stacheldrahtproduzenten gehören zu denjenigen, die in Europa die …
taz: Beppe Grillo, zuerst machten Sie eine Karriere als Komiker, dann
gründeten Sie mit dem Movimento 5 Stelle (5-Sterne-Bewegung) eine
Protestliste, die bei den nationalen Wahlen 2013 aus dem Stand 25 Prozent
der Stimmen gewann. Ihre „Fünf Sterne“ sind populär, weil sie sich an den
Zuständen sowohl in Italien als auch in Europa stoßen. Beginnen wir bei
Europa – was passt Ihnen daran nicht?
Beppe Grillo: Europa ist heute eine Idee, an die nicht einmal mehr
diejenigen glauben, die Teil der europäischen Maschinerie sind. Europa
sollte doch eigentlich dafür da sein, seine Bürger zu schützen, doch es
schließt Abkommen wie zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP, und
dahinter steckt immer der alte Gedanke des Wachstums, des im
Bruttoinlandsprodukt gemessenen materiellen Wohlstands.
Was denken Sie, wird dieses Europa scheitern?
Es ist schon gescheitert. 250 Millionen Bürger gehen nicht mehr zur Wahl.
Unser Kontinent ist ein wunderbares Mosaik, wir sprechen viele verschiedene
Sprachen. Zugleich aber haben wir eine gemeinsame Währung – die allerdings
richtet große Schäden an. Hinzu kommt, dass niemand diejenigen gewählt hat,
die in der Europäischen Union entscheiden. Was am Ende zählt, ist „der
Markt“, der in alle Lebensbereiche vordringt. Und alles muss in Beziehung
stehen zum Wachstum der monetär zu messenden Transaktionen.
Neben dem Markt sehen wir doch aber auch die Politik, die Europa zu lenken
sucht.
Wir haben eine alte politische Klasse, die sich mit alten Geschichten
befasst, mit dem BIP-Wachstum oder damit, die Produktion aufzublasen.
Äußerst wenige Politiker nehmen überhaupt wahr, dass ein epochaler Wandel
im Gang ist, der sich an der Schnittstelle zwischen der Industrie und der
Wissensproduktion abspielt. Die Währung der Zukunft sind die Bits der
Information, der Information vor allem über dein Leben. Jede Information
über dein Leben gelangt sofort in ein Database – und wird vorneweg gegen
dich verwendet.
Immer wieder bekommen Sie auch den Vorwurf zu hören, Sie seien antideutsch.
Vorneweg habe ich Deutschland sehr viel zu verdanken. Mein ökologisches
Denken wurde ganz stark durch das Wuppertal-Institut beeinflusst, und schon
vor 20 Jahren lernte ich in Deutschland das Konzept der Passivhäuser
kennen. Auf der anderen Seite steht allerdings ein Deutschland, das von
einer panischen Angst vor der Inflation beherrscht ist, und diese extreme
Angst um den Wohlstand der Deutschen hinterlässt Opfer in Europa. Ganze
Nationen verschwinden; in Griechenland sind wir wieder in der gleichen
Situation wie vor einigen Jahren, sehen wir Bürger, die sich mit der
Polizei prügeln.
Und das liegt am „deutschen Europa“?
Das liegt daran, dass wir Bankiers haben, die Politik treiben, während die
Politik selbst abgedankt hat. Thomas Picketty braucht 1.000 Seiten, um am
Ende Marx Recht zu geben, um uns zu erklären, dass die Schere zwischen Arm
und Reich immer weiter aufgeht. Und es gibt nur zwei Wege, um sie wieder zu
schließen: entweder eine hohe und progressive Vermögensteuer – oder einen
Krieg, der den akkumulierten Reichtum vernichtet. An diesem Punkt sind wir
angelangt! Innerhalb dieses Systems gibt es keine Lösung. Wir müssen also
über einen Plan B nachdenken, für die Wirtschaft, für den Finanzsektor, für
Europa.
Wenn Frau Merkel Sie um Rat fragen würde, was sie anders machen muss – was
würden Sie antworten?
Sie kann doch gar nicht den Kurs wechseln. Sie hat sich selbst geschaffen
genau für diesen infernalischen Mechanismus, der die Deutschen in diesem
System hält. Die Deutschen haben sehr viele positive Eigenschaften, aber da
ist auch die andere Seite. Ein Deutscher, der auswärts unterwegs ist, hat
immer einen Stadtplan dabei. Aber der Deutsche folgt dem Plan vor allem, um
zu kontrollieren, ob die Karte auch stimmt, und nicht, um an einem
bestimmten Ziel anzukommen.
Reden wir über Italien. Das Land hat sich vom Wachstum verabschiedet – aber
eher ungewollt und in eher unglücklicher Weise.
Allein für den Zinsdienst auf die Staatsschulden gehen jährlich 80 bis 90
Milliarden Euro drauf. Da hat die Wirtschaft eigentlich keinen Sinn mehr.
Wenn du in den 1.000 Kilometer entfernt entschiedenen Parametern bleiben
willst, kannst du nicht mehr investieren, sondern nur noch schneiden und
kürzen, während eigentlich das Gegenteil notwendig wäre.
Es ist ja nicht so, dass Italien in den vergangenen Jahrzehnten nicht
investiert hätte …
Gewiss, wir haben in Beton investiert, in große Infrastrukturprojekte, und
haben dabei die kleinen Projekte vernachlässigt. Wir müssen jetzt radikal
umdenken – allein schon, weil 50 Prozent der heutigen Jobs in 10 Jahren
nicht mehr existieren werden.
Umdenken wie?
Vorneweg wollen wir die Debatte über ein universelles, bedingungsloses
Grundeinkommen eröffnen. Der Arbeitsplatz dient dazu, gerade die jungen
Leute zu erpressen, du musst jede Arbeit annehmen und endest als
frustrierter Mensch. Genau besehen entscheidet das Einkommen, nicht die
Arbeit, darüber, ob du aus der Gesellschaft ausgeschlossen bist oder nicht.
Wenn du drin bist, kannst du dann frei entscheiden, welcher Arbeit du
nachgehen willst.
Dem M5S wurde immer wieder vorgeworfen, es habe keine eindeutige Position
in der Flüchtlingskrise – auch um von rechts kommende Wähler nicht zu
verprellen.
Die Rechte verlangt den Zuwanderungsstopp, die Linke will die Immigranten
reinlassen. Wir stellen uns in die Mitte, wir sagen, dass man hier nicht
wie im Fußball als blinder Fan einer Mannschaft agieren sollte, dass man
weder gut sein noch das Arschloch abgeben sollte. Natürlich brauchen wir
Kontrollen, die Personen, die kein Bleiberecht haben, müssen wieder
zurückgeschafft werden. Zugleich gilt auch, dass wir Libyen nicht
bombardieren können und dann die Leute ertrinken lassen, die von dort zu
uns kommen. Heute geht der Trend aber in die Richtung, dass die
Stacheldrahtproduzenten zu denjenigen gehören, die in Europa die besten
Umsätze machen. Überall wird dicht gemacht.
22 Feb 2016
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
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