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# taz.de -- Kommentar LGBT in Italien: Der Trick mit dem Gewissen
> Seit 30 Jahren streitet Italiens Parlament über die Rechte von Schwulen
> und Lesben. Es könnte einen Durchbruch geben. Aber es gibt neue
> Widerstände.
Bild: Homophobie heißt jetzt „Familientag“: Protest gegen die Homoehe in R…
„Wenn ich einen schwulen Sohn hätte, würde ich ihn verbrennen“ – mit di…
unglaublichen Worten kommentierte ein ligurischer Regionalpolitiker der
rechtspopulistischen Lega Nord das Gesetzesvorhaben zur Schwulenehe. Und
Roberto Formigoni, einer der prominentesten unverheirateten katholischen
Parlamentarier Italiens, zog in einem Tweet über angeblich hysterische
„Schwuchteln“ her.
Hysterie herrscht gegenwärtig jedoch vor allem im Lager der frommen
Eiferer, denn seit Mittwoch berät Italiens Senat über das Gesetz zu den
eingetragenen Lebenspartnerschaften, und schon die erste Abstimmung nährt
die Hoffnung, dass es diesmal endlich klappen könnte mit der Schwulenehe.
195 zu 101: Mit klarer Mehrheit wurde der Versuch der rechten und
katholischen Kräfte gestoppt, die weitere Behandlung des Vorhabens im
Plenum zu stoppen und den Gesetzentwurf an die Ausschüsse zurückzuschicken.
Vor stolzen 30 Jahren, 1986, wurde in Italien der erste von seither vielen
Gesetzentwürfen auf diesem Feld ins Parlament eingebracht. Sie scheiterten
allesamt, womit das Land sich eine triste Sonderstellung erkämpfte - als
nunmehr letzter Staat in Westeuropa, in dem keinerlei rechtliche
Anerkennung für schwule und lesbische Paare existiert.
## Katholischer Widerstandstkämpfer Renzi
Als unüberwindbar erwies sich immer wieder der katholische Widerstand, im
Parlament genauso wie mit den „Family Day“-Großkundgebungen auf der Straß…
an denen sich auch Politiker des heute in Rom regierenden gemäßigt linken
Partito Democratico (PD) gerne beteiligten. Einer von denen, die zum
Beispiel im Jahr 2007 mit dem Segen des Vatikans und der Bischofskonferenz
gegen das Teufelswerk protestierten, hieß Matteo Renzi.
Der heutige Ministerpräsident befand damals, das Land habe „andere
Prioritäten“ als die Schwulenehe, und überhaupt gelte es, „die Familie“…
verteidigen. Renzi hat dazugelernt, aus welchen Motiven auch immer – sei es
weil heute die Mehrheit der Bürger klar für die „Zivilunionen“ ist, sei es
weil Widerstand gegen die Gleichstellung der Homosexuellen nicht recht zum
Image des energischen Erneuerers passen würde, sei es weil er sich auf
diesem Feld als Linker profilieren kann, nachdem er zum Beispiel den
Arbeitsmarkt eher rechts herum reformiert hat, sei es auch, weil diese
Reform finanziell nichts kostet.
Ausgemacht ist die Annahme des neuen Gesetzes jedoch keineswegs. Allein die
PD-Fraktion zählt unter ihren 112 Senatoren 30 katholische Dissidenten, die
auszuscheren drohen, die für sich Gewissensfreiheit reklamieren , die vor
allem in den geheimen Abstimmungen über einzelne Artikel des Gesetzes die
Mehrheit ins Wanken bringen könnten.
## Popanz Adoption
Einen Popanz vor allem haben die Gegner der Reform aufgebaut: Die Stepchild
adoption, wonach das Kind eines der Partner vom anderen adoptiert werden
kann. Dem „gemieteten Uterus“ werde damit Tür und Tor geöffnet, menetekeln
die frommen Hardliner; dabei ist die Leihmütterschaft in Italien schon seit
Jahren verboten.
So absurd dieser Vorwurf ist, so sehr zeigt er doch auch, wie stark die
katholische Front mittlerweile in der Defensive ist. Denn nicht mehr das
Gesetz als solches, sondern nur noch ein Nebenaspekt wird ihr zum Anlass,
auf die Barrikaden zu steigen.
Querschüsse sind dennoch nicht ausgeschlossen, da die Mehrheitsverhältnisse
im Senat völlig unübersichtlich sind. Bis vor wenigen Tagen schien Renzi
ausgerechnet in Beppe Grillos Movimento5Stelle (M5S), das ihm sonst in
tiefer Feindschaft verbunden ist, einen Alliierten zu haben. Die „Fünf
Sterne“ sicherten ihr Ja zu – solange die Partito Democratico den
Gesetzentwurf unverändert halte, ohne bei einzelnen Artikeln
zurückzurudern. Dann aber ruderte ausgerechnet M5S selbst zurück.
## Grillo knickt ein
Vor einigen Tagen gewährte Beppe Grillos Blog den Senatoren der Bewegung
auf dem Feld der Stepchild adoption Gewissensfreiheit. Weiter überraschend
ist das nicht. So progressiv sich die Grillini gemeinhin bei
Bürgerrechtsfragen aufstellen, so weitgespannt ist auf der anderen Seite
ihre Anhängerschaft. Die Liste, die immer schon verkündete, sie stehe
„weder links noch rechts“, hat es geschafft, diese Behauptung in ihrer
sozialen Verankerung wahr zu machen. Millionen auch
katholisch-konservativer Rechtswähler stehen hinter ihr – Wähler, die
Grillo nicht verprellen will.
Die Angst vor der eigenen Courage, die die Fünf Sterne plötzlich befiel,
könnte am Ende aber ausgerechnet Renzi helfen. Sollte nämlich die Stepchild
adoption in geheimer Abstimmung scheitern, so hätte nach der vorher
ausgegebenen Linie M5S am Ende das gesamte Gesetzesvorhaben abgelehnt.
Jetzt aber könnte sie am Ende dem Gesetz die Zustimmung kaum verweigern,
auch wenn es das Adoptionsrecht nicht enthält. Das erneute Scheitern der
Schwulenehe wäre nämlich dann eine Blamage nicht nur für Matteo Renzi,
sondern auch für Beppe Grillo.
11 Feb 2016
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
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Beppe Grillo
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EU
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