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# taz.de -- Protestküchen im Wendland: Ohne Mampf kein Kampf
> Gut 50.000 Demonstranten werden zum Castorprotest im Wendland erwartet -
> ziemlich viele hungrige Mägen. Doch die Protestküchen sind gut
> vorbereitet.
Bild: Mit leeren Magen lässt sich schlecht demonstrieren.
Kartoffelpüree mit gebackenem Fenchel und Salat ist Wam Kats "Wendland
Spezial". "Wenn du das gegessen hast", sagt der Protestkoch, "dann bist du
so satt, dass du nie wieder aufstehen willst." Der Holländer kocht für das
Kollektiv Rampenplan im X-tausendmal-quer-Camp in Gedelitz, wenige
Kilometer vom Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll entfernt. Dort
also, wo vor allem die Sitzblockierer übernachten werden. Seine Gerichte
sollen die Demonstranten lang anhaltend sättigen, sie sollen lange
durchhalten können.
Insgesamt gibt es zehn große Volksküchen beim diesjährigen Castorprotest in
den verschiedenen Camps im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Einige Köche sind
extra aus dem Ausland angereist. Frühstück, Mittag- und Abendessen sind
geplant - in den Campküchen streng vegan. Dazu rund um die Uhr warme
Getränke und nachts eine Suppe. Sie alle geben die Speisen auf Spendenbasis
aus. Profit wird bei der Versorgung der Castorgegner nicht gemacht.
Auch die Anwohner versorgen die Demonstranten. Manche sind mit der
Gulaschkanone unterwegs, andere reichen mal ein Blech mit selbstgebackenem
Kuchen herum. Seit 2001 haben Gabi Winiatowski, 54, und Manuela Brownlee,
34, von der Volksküche Wendland die Organisation des Protestessens zum
Castortransport übernommen.
"Die Selbstorganisation hat irgendwann dazu geführt, dass an einem Ort alle
ganz dolle satt waren und an einem anderen alle froren und Hunger hatten",
erklärt Brownlee. Seither sind alle Küchen dazu angehalten, sich im Vorfeld
bei den beiden Frauen anzumelden.
Im Gegenzug sammeln Winiatowsky und Brownlee Spenden von Biobauern und
Bioläden ein, die sie vor und während des Protestes an die Volksküchen
verteilen. Lkw "Karlchen" fährt seit Tagen durchs Wendland, die Bauern
stapeln Möhren, Kartoffeln, Rüben, Kürbisse und Kohl auf den Wagen.
Die meisten Lebensmittel stammen aus biologischem Anbau. "Wir nehmen aber
auch konventionelle Spenden an", sagt Winiatowski. So viel Unterstützung
wie in diesem Jahr gab es noch nie. "Wir haben zwei Scheunen voller
Lebensmittel", sagt Brownlee. "Wo wir sonst über Kisten und Kartons
sprachen, reden wir jetzt über Paletten."
An den milden Gaben der Bauern hat offenbar auch die Entscheidung der
Bundesregierung für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und das
Auslaufen des Moratoriums für die Erkundung des Gorlebener Salzstocks als
Atommüllendlager einen Anteil. Bei dem geplanten Andrang an Demonstranten
ist das auch bitter nötig. Rund 2.000 Brotlaibe haben die Castorgegner in
den letzten Jahren verputzt. In diesem Jahr rechnen die Organisatorinnen
mindestens mit der doppelten Menge. Rund 20 Prozent der Lebensmittel kaufen
die beiden vom Erlös der Spendengelder zu.
Während des gesamten Wochenendes und so lange, wie es den Demonstranten
gelingt, die Castoren aufzuhalten, sind die beiden Frauen damit
beschäftigt, Lebensmittel je nach Bedarf von einem Lager ins andere zu
fahren. Wenn etwas ausgeht, müssen sie improvisieren. Zur Not mithilfe
einer Radiodurchsage über den Protestsender Radio Freies Wendland.
"Vor ein paar Jahren habe ich so um Süßigkeitenspenden für die Leute in der
Sitzblockade gebeten", erinnert sich Gabi Winiatowski. "Keine halbe Stunde
später kamen die Menschen mit tütenweise Schokolade und Keksen an." Die
restlichen Mitglieder der Volksküche Wendland betreiben die
Versorgungsstation auf der Esso-Wiese in Dannenberg, dort also, wo die
Castorbehälter mit dem Verladekran von den Schienen auf Lastwagen gehoben
werden sollen und am Samstag um 13 Uhr die große Demo beginnt.
Auf einer alten Traktorfelge und einem durchgesägten Fass mit nachträglich
anmontiertem Ofenrohr wird dort über Holzkohlen gekocht. Im Gegensatz zu
den Camps ist das Essen hier nicht vegan, sondern bloß vegetarisch. "Wenn
uns jemand Leberwurst spendet, dann stellen wir die auch auf den Tisch",
sagt Winiatowski. "Schließlich sind die Bauern froh, wenn sie sich mal
Brötchen schmieren können." Die Wurst steht jedoch deutlich gekennzeichnet
auf einem extra Tisch.
"Früher war unser Motto: Hauptsache, satt", sagt Brownlee, "denn wer satt
ist, verliert nicht so leicht die Nerven." Mittlerweile hat die Volksküche
Wendland einen ausgebildeten Koch im Team, und mit ihm ist auch der
Anspruch an die Gerichte gestiegen. "Früher gab es bei den Protesten oft
tagelang nur Kohl- oder Kartoffelsuppe", sagt Brownlee. "Das ist schon
lange nicht mehr so."
Heute zaubern die Protestköche neben den bewährten Eintöpfen Nudel- und
Gemüsepfannen, Rosmarienkartoffeln und Süßspeisen. "Himmel und Hölle, also
Kartoffeln mit Apfelmus, kommt immer besonders gut an", sagt Brownlee. "Das
ist süß und gibt Energie und macht wohlig warm im Magen." Auch Salat gibt
es mittlerweile fast zu jedem Gericht. "Außer für die Leute, die
stundenlang eingekesselt da sitzen", sagt Brownlee. "Die brauchen schnell
einen sättigenden Eintopf mit wärmenden Gewürzen wie Ingwer und Curry."
Auch Wam Kat setzt auf Ingwer und Knoblauch in seinen Speisen. "Damit die
Leute bei dem Wetter keine Grippe kriegen", wie er sagt. Was genau er an
den einzelnen Tagen kocht, ob Gemüsecurry, Tomatensuppe, oder Couscous mit
Gemüse, entscheidet er spontan. Morgens schauen er und sein Team sich an,
was sie haben - und lassen sich dann inspirieren.
"Hoffen wir, dass der Protest in diesem Jahr zu unserer größten
Veranstaltung wird", sagt er. "Alles ab 3.000 Leute am Tag im Camp fände
ich okay." Seit 29 Jahren kocht Wam Kat auf allen möglichen
Demonstrationen. Aber der Protest im Wendland gehört zu seinen
Lieblingsveranstaltungen.
5 Nov 2010
## AUTOREN
Marlene Halser
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Kochen
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