| # taz.de -- Schwarz-gelbe Atomlobby will nur Gorleben: "Vor der Hacke ist es du… | |
| > Bislang werden keine Alternativen zum Endlager in Gorleben geprüft. Dabei | |
| > gibt es sogar im Bundesamt für Strahlenschutz Vorbehalte, nur einen | |
| > Standort zu prüfen. | |
| Bild: Keine Alternativen: Arbeiter vor Wand mit eingezeichneten Sprenglöchern … | |
| GORLEBEN/BERLIN taz | Roter Schutzanzug, Helm und Lampe auf dem Kopf, | |
| Sauerstoffgerät auf dem Rücken, Schuhe mit Stahlkappen an den Füßen: Ute | |
| Vogt fährt in den Gorlebener Salzstock ein. 90 Sekunden im Gitterkorb | |
| hinab. 840 Meter tief unter der Erde. Nun steht sie dort, wo vor langer | |
| Zeit mal ein Ozean war. Er ist verdunstet, ließ nur Massen von | |
| weiß-gräulich schimmerndem Salz zurück. Die Luft ist staubtrocken, es sind | |
| 25 Grad. Vor Jahren haben sich Bagger durch das Salz gefräst und Stollen | |
| freigelegt. "Welche Dimensionen!", sagt Ute Vogt jetzt. | |
| Die SPD-Politikerin ist auf der Suche nach der "Wahrheit". Sie will zeigen, | |
| dass Gorleben nicht aus fachlichen, sondern aus politischen Erwägungen als | |
| Ort ausgewählt worden ist "für den Müll, der bis zu eine Million Jahre | |
| strahlt". Tatsächlich geht es um ein ungeheures Unterfangen. Ein | |
| Atom-Endlager muss auch noch im Jahr 50.010 oder 100.010 dicht sein, damit | |
| die radioaktiven Hinterlassenschaften der heutigen Generation nicht | |
| schleichend die Menschen der Zukunft vergiften. | |
| Vogt ist Rechtsanwältin; Geologie und Atomphysik sind neu für sie. Doch | |
| seit sie in Berlin im parlamentarischen Untersuchungsausschuss Gorleben | |
| sitzt, hat sie sich durch Aktenberge zu Gorleben gewühlt, sie hat mit | |
| Einwohnern, Wissenschaftlern und Umweltschützern telefoniert. | |
| Es ist das erste Mal, dass sie den Salzstock besucht. Damit hat sie | |
| CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen etwas voraus. Er schickt in diesen | |
| Tagen zwar erstmals nach zehn Jahren Pause wieder Bohrtrupps und Bagger | |
| nach Gorleben, die erkunden sollen, ob sich der Salzstock im nordöstlichen | |
| Zipfel Niedersachsens als Endlager für Atommüll eignet. Doch vor Ort war er | |
| selbst noch nie, wie sein Ministerium auf Anfrage der Grünen offiziell | |
| bestätigt hat. | |
| Vogt nimmt derweil Journalisten mit, lässt sich filmen. Sie wäre keine | |
| Politikerin, wenn sie Gorleben nicht auch nutzen würde, um sich zu | |
| profilieren. Man glaubt ihr trotzdem, wenn sie sagt: "Es wird Zeit, den | |
| Standort Gorleben zu delegitimieren - politisch, wissenschaftlich, | |
| juristisch." | |
| Das Erkundungsbergwerk wirkt großzügig, aufgeräumt. Wer mag, kann an | |
| Tischen eine Brotzeit machen. Gelbe Jeeps und Gabelstapler stehen herum, | |
| der TÜV checkt sie alle 12 Monate. 1,5 Milliarden Euro wurden bereits im | |
| Salz verbaut. Doch nicht nur deshalb hält Röttgen verbissen an dem Standort | |
| fest. | |
| Er kann gar nicht anders. Denn das Atomgesetz legt fest, dass für | |
| anfallenden Atommüll "ausreichende Vorsorge" getroffen wird. Vorübergehend | |
| kann dieser sogenannte "Entsorgungsvorsorgenachweis" zwar auch in Form von | |
| oberirdischen Zwischenlagern erbracht werden; doch weil die Haltbarkeit der | |
| Castorbehälter nur für 40 Jahre garantiert ist, ist auch die Genehmigung | |
| dieser Lagerhallen befristet. Zudem werden Gerichte die Zwischenlösung auf | |
| Dauer nicht akzeptieren - auch weil die Atommüllmenge durch die in der | |
| vergangenen Woche beschlossene Laufzeitverlängerung deutlich wachsen wird. | |
| Drei Risikofaktoren | |
| Um bei den absehbaren Gerichtsverfahren wenigstens belegen zu können, dass | |
| an einer Lösung des Problems gearbeitet wird, hat Röttgen vor kurzem den | |
| Erkundungsstopp aufgehoben, den die rot-grüne Regierung im Jahr 2000 für | |
| Gorleben verhängt hatte. Darum muss im Salz jetzt wieder gearbeitet werden. | |
| Trotz aller Bedenken. | |
| In der Theorie ist Salz ein gutes Medium, um abgebrannte Brennelemente von | |
| der Umwelt abzuschirmen. Es verflüssigt sich, wenn es durch den 200 Grad | |
| heißen Atommüll aufgeheizt wird, und umschließt dann die Atombehälter wie | |
| ein Strumpf. Aber in der Realität von Gorleben stimmt die Theorie nicht. | |
| Vogt hat das schon gelernt. Von Ulrich Schneider zum Beispiel. Der Kieler | |
| Geologe hat schon Anfang der 80er Jahre an offiziellen Gorleben-Gutachten | |
| mitgewirkt. Heute ist er im Auftrag von Greenpeace tätig - und legt immer | |
| neue Risiken offen. | |
| "Anhydrit" - das Fremdwort für Risikofaktor Nummer 1 sagt Ulrich Schneider | |
| mit so viel Nachdruck, dass man sofort ahnt, man sollte es sich besser | |
| merken. Der Anhydrit, ein Sulfat-Mineral, grenzt direkt an das Salz. Weil | |
| sein Gestein spröde ist, können Flüssigkeiten bis zum Salz durchsickern. | |
| Die Atombehälter könnten unbemerkt vor sich hin rosten. | |
| Risiko 2 ist die Gorlebener Rinne. Als vor 15.000 Jahren Norddeutschland | |
| vereist war, lief durch sie Schmelzwasser ab; dies hat sich tief in das | |
| Gelände eingeschnitten und die isolierenden Tonschichten weggeschwemmt. | |
| Stattdessen liegen dort jetzt Schotter und Sande, durch die sich das Wasser | |
| zu leicht seinen Weg bahnen und von der Decke des Atommüllgrabs tropfen | |
| könnte. Dazu kommt Risiko 3: Gasblasen in dem Gestein, die sich ausdehnen | |
| und so das Salz sprengen können. Das Lager würde undicht. | |
| Ute Vogt steht jetzt vor einem rostigen Metallrohr, das aus der Wand ragt, | |
| "RB 012" steht darüber. Über diese Stelle ist schon viel geschrieben | |
| worden. Mehr als 100 Meter wurde hier ins Gestein gebohrt. 165.000 Liter | |
| salzige Lauge sickerten heraus. "Ein Beweis für Wassereinbrüche, oder?", | |
| fragt Vogt einen der Bergleute, die ihr den Weg zeigen. Der hält das alles | |
| für übertrieben: "Das ist ein uraltes, isoliertes Laugennest", sagt er. | |
| Ungefährlich. "Gibt es davon noch mehr?" will Vogt wissen - und hört nur: | |
| "Vor der Hacke ist es duster." Der alte Bergmannsspruch besagt, dass es | |
| unter Tage keine Gewissheit über das Gebiet gibt, das man noch nicht | |
| durchbohrt hat. | |
| Wer alle geologischen Risiken ausschließen will, müsste den Salzstock | |
| insgesamt erkunden. Doch davon sind Röttgen und seine Mannschaft weit | |
| entfernt. Der Salzstock ist eine 14 Kilometer lange Ellipse. Ursprünglich | |
| sollten 9 Kilometer erkundet werden - aufgeteilt in 9 Erkundungsbereiche. | |
| Ute Vogt erhält jedoch nur einen Eindruck von "EB 1". Er ist der einzige, | |
| in den bisher tatsächlich Stollen getrieben wurden. "EB 3" soll noch | |
| hinzukommen, dann ist Schluss. | |
| Die Regierung musste die Erkundungsbereiche immer wieder verkleinern und | |
| verschieben. Mit Geologie, mit fachlicher Erkenntnis hatte das nichts zu | |
| tun - es geht allein um Eigentumsrechte. Der adlige Großgrundbesitzer | |
| Andreas Graf von Bernstorff und die evangelische Kirche weigern sich, die | |
| Salzrechte unter ihren Ländereien abzutreten. | |
| Lange bevor Rot-Grün die Arbeiten in Gorleben unterbrechen ließ, forderte | |
| die Industrie im Jahr 1996 einem Gesprächsvermerk zufolge selbst ein | |
| Moratorium - wegen der Probleme mit den Salzrechten. Auch die Möglichkeit | |
| einer Enteignung, die Schwarz-Gelb wieder ins Gesetz geschrieben hat, hilft | |
| nur begrenzt: Die notwendigen Gerichtsverfahren dauern nach Schätzung von | |
| Juristen allein in der ersten Instanz drei bis fünf Jahre. Und die | |
| fehlenden Rechte sind nicht nur juristisch, sondern auch fachlich ein | |
| Problem. | |
| Keine Alternativen | |
| Ute Vogt ist zurück in Berlin. Ende September, Paul-Löbe-Haus, Europasaal | |
| 4900: Der Untersuchungsausschuss tagt. Vernommen wird Ulrich Kleemann, | |
| ehemaliger Bereichsleiter Entsorgung beim Bundesamt für Strahlenschutz | |
| (BfS). "Für eine Eignungsaussage schien die Beschaffung aller Salzrechte | |
| erforderlich", sagt der Experte. Die Verschiebung und Verkleinerung der | |
| Erkundungsbereiche, die wegen der fehlenden Rechte nötig wurde, sei darum | |
| "nicht auf die Gegenliebe aller BfS-Mitarbeiter gestoßen". | |
| Das Bundesamt ist offizieller Betreiber des Bergwerks in Gorleben. Anders | |
| als der ehemalige Bereichsleiter Kleemann, der die Behörde letztes Jahr | |
| verlassen hat, halten sich die aktuellen Mitarbeiter mit Äußerungen zum | |
| Verfahren zurück. Schließlich untersteht die Behörde Umweltminister | |
| Röttgen, der die Weitererkundung angeordnet hat. | |
| BfS-Leiter Wolfram König, der einst vom grünen Umweltminister Jürgen | |
| Trittin eingesetzt wurde, hält es zwar weiterhin für möglich, dass Gorleben | |
| als Standort geeignet ist. Allerdings hatte er - vor der Bundestagswahl im | |
| vergangenen Jahr - stets erklärt, dass ein Vergleich mit anderen Standorten | |
| "aus fachlicher und juristischer Sicht" ratsam sei. | |
| "Klagende Bürger könnten sonst immer darauf pochen, dass es besser | |
| geeignete Standorte gibt, diese aber nicht untersucht wurden." Heute äußert | |
| sich König nicht mehr selbst zum Thema; ein Sprecher des Amtes sagt der taz | |
| aber: "Unsere Position hat sich nicht geändert." | |
| Solche Einschätzungen kommen bei Röttgen scheinbar nicht gut an: Er | |
| versucht, den Einfluss des Strahlenschutzamtes zu minimieren. Sein Vorstoß, | |
| dem Amt per Gesetzesänderung den Betrieb von Gorleben komplett zu | |
| entziehen, wurde zwar im September von der Kanzlerin kurzfristig gestoppt. | |
| Doch neue Stellen hat das Amt trotz der Wiederaufnahme der Erkundung nicht | |
| erhalten, wie eine Grünen-Anfrage ergab. | |
| Und eine wichtige Aufgabe hat das BfS verloren: Eine "vorläufige | |
| Sicherheitsanalyse", die die Grundlage für die weitere Erkundung von | |
| Gorleben bieten soll, lässt das Ministerium nun bei der atomfreundlicheren | |
| Gesellschaft für Reaktorsicherheit erstellen. | |
| Die beauftragte mit der Durchführung Bruno Thomauske - den ehemaligen Chef | |
| der Atomsparte von Vattenfall, der nach dem Brand im AKW Krümmel 2007 | |
| seinen Job verlor und auf einen von RWE unterstützten Lehrstuhl an der | |
| Hochschule Aachen wechselte - für das Ministerium ist er ein "anerkannter | |
| Experte". | |
| Die Qualitätskontrolle für das Gutachten übernimmt das Institut für | |
| Endlagerforschung der TU Clausthal, das von den vier großen | |
| Energiekonzernen finanziert wird. Und im Ministerium wird das Ganze | |
| koordiniert und ausgewertet von Gerald Hennenhöfer, früher Manager beim | |
| Eon-Vorgängerkonzern und heute Chef der Abteilung für Reaktorsicherheit. | |
| Alternativen werden nicht erkundet. Unter Grünen-Umweltminister Jürgen | |
| Trittin hatte eine Expertenkommission noch empfohlen, mindestens drei | |
| unterschiedliche Regionen zu untersuchen. Nur so lasse sich der | |
| "bestmögliche" Schutz der Bevölkerung sicherstellen, den das | |
| Bundesverfassungsgericht etwa im Kalkar-Urteil verlangt habe. Doch weder | |
| Trittin noch sein Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) brachten die Suche voran. | |
| Bei dem Thema gibt es für keinen Politiker viel zu gewinnen. | |
| Gorleben hoch 3? Aufruhr hoch 3? Gott bewahre! - "Keine Diskussion über | |
| alternative Standorte, sonst zünden wir die ganze Republik an", warnte zum | |
| Beispiel Max Straubinger, Vize der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Das war | |
| im Frühjahr, direkt nachdem Röttgen erklärt hatte, Gorleben werde | |
| selbstverständlich "ergebnisoffen" geprüft. Gorleben? Ergebnisoffen? "Pah", | |
| macht Ute Vogt. "Die Regierung denkt doch gar nicht daran, in süddeutschen | |
| Unionsgefilden nach dichten Ton- oder Granitlagern zu suchen." | |
| Dass die Union Gorleben nicht kampflos aufgeben wird, zeigt sich auch an | |
| anderer Stelle im Untersuchungsausschuss. Warum wurde Gorleben ausgewählt? | |
| Zu dieser zentralen Frage des Ausschusses wird der Physiker Helmut | |
| Röthemeyer vernommen. Er schrieb die Studie, auf deren Basis die | |
| Kohl-Regierung 1983 entschied, Gorleben zu erkunden. | |
| In einem Entwurf riet er, parallel zu Gorleben andere Standorte zu | |
| untersuchen - in der Endfassung nicht mehr. Ute Vogt will wissen: Musste er | |
| seinen Bericht auf Druck von oben umschreiben. Der Physiker räumt ein, die | |
| Regierung habe den Wunsch geäußert, den Hinweis auf Alternativen zu | |
| streichen; dies habe er als Weisung verstanden. | |
| Doch weil Röthemeyer auch sagt, auf "sicherheitsrelevante fachliche | |
| Einschätzungen" habe die Regierung keinen Einfluss genommen, sieht sich | |
| auch die Regierung bestätigt. "Es gab keine Manipulation", folgert Reinhard | |
| Grindel, Obmann der Unionsfraktion. Der "Vorwurf der politischen | |
| Einflussnahme" sei "widerlegt", meint FDP-Mitglied Marco Buschmann. | |
| Die Koalition, daran lässt sie keinen Zweifel, will Gorleben durchdrücken. | |
| Doch dass sie wirklich an den Erfolg glaubt, bezweifelt der ehemalige | |
| Umweltminister und heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel entschieden. "Sie | |
| wussten immer, dass Gorleben ein virtuelles Endlager ist", warf er Union | |
| und FDP vergangene Woche im Bundestag vor. | |
| "Es wird scheitern." Dass es keine Alternative gebe, wenn Gorleben eines | |
| Tages vor Gericht gestoppt werde, nehme Minister Röttgen billigend in Kauf, | |
| mutmaßt Gabriel: "Dann werden Ihre Leute sagen: Lasst uns den Atommüll ins | |
| Ausland bringen, in die Weiten Sibiriens. Das ist das Ende Ihrer | |
| Strategie." | |
| 5 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| H. Gersmann | |
| M. Kreutzfeldt | |
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