Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Vielfalt der türkischen Küche: „Fleisch spielt da eine Nebe…
> Die türkische Küche ist so viel mehr als Döner und Baklava, sagt Orhan
> Tançgil. Vielen Türken fehlt aber der Mut, zu sagen: Das ist was richtig
> Geiles.
Bild: Von allem was dabei: Meze sind die türkischen Tapas.
taz: Herr Tançgil, man kennt Döner, Börek, Baklava. Aber da hört das Wissen
in Deutschland über türkische Küche doch eigentlich schon auf, oder?
Orhan Tançgil: Ich würde noch Lahmacun hinzunehmen, die türkische Pizza,
und vielleicht Kısır – Bulgursalat –, nicht zu verwechseln mit dem
marrokanischen Tabbouleh. Aber ja, das war es dann schon.
Woran liegt das?
Neunzig Prozent der türkischen Gastronomen konzentrieren sich auf die
deutsche Kundschaft, das Angebot ist deshalb sehr fleischlastig und …
… doch auch immer zum Verwechseln ähnlich?
Ich sage dazu immer „Copy-und-paste-Speisekarte“. Man muss nur das Logo
austauschen. Die Gastronomen folgen einem einfachen Prinzip: Warum soll man
etwas neu erfinden, wenn es schon ein erfolgreiches Konzept gibt? Also
versuchen sie, dem Grill nebenan Kunden abzuwerben und eröffnen einen
zweiten und dritten Grill daneben.
Einmal Döner, immer Döner …
Was ihn zum beliebtesten Fast-Food-Gericht in Deutschland gemacht hat.
Damit wird mehr Geld umgesetzt als mit Hamburgern. Die Kehrseite der
Entwicklung ist eine Industrie, die Spieße fertig anliefert, die Soßen und
das geschnittene Gemüse. Um einen Dönerladen zu eröffnen, muss man heute
nicht mehr kochen können.
Aber es kann doch nicht nur an den Gastronomen liegen, dass die Sicht auf
die türkische Küche so beschränkt ist.
Deshalb haben wir auch vor acht Jahren „KochDichTürkisch“ gegründet,
zunächst ein Foodblog, heute ein Ladenlokal, in dem wir Kochkurse geben,
türkische Zutaten vertreiben und inzwischen auch Bücher verlegen.
Und was kochen Sie da?
Türkische Mamaküche, also sehr bodenständig. Darunter sind viele
Gemüsegerichte und Eintöpfe. Sie sind die Grundlage der Sofralar. So nennt
man die gedeckten Tafeln in der Türkei. Fleisch spielt da eine Nebenrolle.
Was macht den Zauber der türkischen Küche aus?
Ihre Vielfalt. Die Palette ist so unterschiedlich, man findet einfache
mediterrane Sachen genauso wie hochkomplexe Gerichte, die sogar Süße,
Schärfe und Deftiges vereinen. Wie etwa Hünkar beğendi – Sultans Entzücken
–, ein Lammragout auf cremigem Auberginenpüree.
Vielfalt sagt man vielen Küchen nach.
Es ist eine Vielvölkerküche, die kaum auf einen Nenner zu bringen ist. Die
Türkei ist so groß und war für so viele Völker Siedlungsraum, fast alle
haben ihr kulinarisches Erbe hinterlassen. Es gibt sogar Gerichte, die
schmecken beinahe russisch, erinnern an Borschtsch.
Mit Italien verbinde ich Tomate und Basilikum, mit Griechenland Joghurt und
Gurke. Was wäre die türkische Entsprechung?
Als Vorspeise: Melone und Weißkäse. Im Sommer Wassermelone, im Winter
Honigmelone. Das passt ausgezeichnet zum Raki.
Die Deutschen haben einst die Liebe zur italienischen Küche aus dem Urlaub
nach Hause gebracht. Warum klappt das nicht mit der türkischen – obwohl die
Türkei auch ein beliebtes Reiseland ist?
Die Deutschen sind kulinarisch sehr neugierig. Das erlebe ich auch bei uns
im Laden. Aber türkische Ware ist in den Supermärkten nicht so präsent. Da
findet man etwa viele Zutaten aus der italienischen Küche. Aber das
türkische Angebot beschränkt sich auf zwei, drei Produkte.
Sie meinen, das Interesse ist da, aber das Angebot zu klein.
Ich vermisse den Mut, dass Türken über ihr Essen sagen: Das ist was richtig
Geiles. Ich habe das neulich auf einem Markt erlebt. Wir haben
Kichererbsen-Lamm-Eintopf mit Reis verkauft. Als ich das meiner Mutter
erzählte, war sie perplex: Das ist doch nur Hausmannskost, sagte sie, das
habt ihr präsentiert? Aber viele Türken, die bei uns an den Stand kamen,
erinnerten sich an das Essen ihrer Mama und fanden das supercool.
Es kommen inzwischen immer mehr Kochbücher zur türkischen Küche heraus.
Ein Trend, der zeigt, wie groß das Interesse ist. Früher waren solche
Bücher sehr touristisch und klischeebeladen, sie kamen selten ohne das
obligatorische Bild von Kopftuchfrauen im Dorf aus. Das hat sich sehr
geändert. Istanbul ist international unglaublich in. Den Trend haben auch
Kochverlage erkannt, deshalb gibt es viele Bücher zu Mezze, den Vorspeisen
an der Raki-Tafel. Aber über türkische Mamaküche gibt es noch viel zu
wenig.
Sie meinen die Rezepte, die von Mutter zu Tochter weitergegeben werden.
In der Türkei ist die Kultur sehr lebendig, dass Mütter sagen: Stell dich
daneben und schau mir zu. Das liegt daran, dass die Menschen für ein Rezept
gar keine Worte haben. Es ist in Fleisch und Blut übergegangen, und es wird
nach Augenmaß, Fingergefühl und Gaumen gekocht. Das ist zwar schön, macht
aber auch Probleme. Viele türkische Kochbücher etwa sind für Hausfrauen
gemacht, es gibt zwar eine Zutatenliste, aber keine Mengenangaben. Wir
haben uns entschieden, diese Küchenkultur auf Deutsch zu bewahren. Und wir
werden die Bücher auch auf Türkisch herausbringen.
Haben Sie denn den Eindruck, dass sich in der türkischen Gastronomie etwas
verändert?
Ja, es gibt eine Abkehr von der Imbissküche. Viele Türken haben in den
letzten Jahren eher italienische oder sogar Steak-Restaurants aufgemacht,
weil die ein besseres Image haben. Da findet man inzwischen Gerichte der
türkischen Küche auf der Tafel. Außerdem gibt es eine Handvoll Restaurants,
die ihre Speisekarte mit türkischer Regionalküche füllen.
Was sollte in fünf Jahren jedes Kind über die türkische Küche wissen, was
heute noch niemand weiß?
Unter den fünf Lieblingsgerichten der Deutschen sind: Spaghetti Bolognese,
Nudeln mit Sauce und Pizza. Ich fände es toll, wenn auch einmal ein
türkisches Gericht dabei wäre. In den Supermärkten sieht man immer öfter
Bulgur-Salat. Aber ehrlich: Den kann ich noch nicht empfehlen. Ich würde
mich über Börek freuen.
12 Jan 2016
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Döner
Kochen
Türkei
Kühlschrank
Essen
Jerusalem
Fische
Essen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kochbuch über türkische Küche: Jenseits des Döners
Der Spitzenkoch Musa Dağdeviren revitalisiert das kulinarische Erbe der
Türkei. In „Türkei, das Kochbuch“ stellt er es auch deutschen Lesern vor.
Pepe Dayaw über die Kunst des Kochens: „Mit Essensresten sollte man spielen�…
Pepe Dayaw ist ein Restekünstler. Er besucht Menschen zuhause und kocht mit
dem, was sie noch im Kühlschrank haben.
Alltagsforscher übers Abendbrot: „Der ganze Tag kommt auf den Tisch“
Das Abendbrot kennt keine Hierarchien. Es ist die demokratische Mahlzeit
schlechthin, finden zwei Alltagsforscher.
Falafelbäcker in Jerusalem: „Juden haben die Falafel geklaut“
Äußerlich und im Geschmack unterscheiden sich jüdische und arabische
Falafeln nicht. Differenzen gibt es trotzdem in Jerusalem.
Fischereiwirt übers Räuchern: „Rauch versiegelt den Fisch“
Räuchern ist so einfach wie grillen, sagt der gelernte Fischereiwirt
Michael Wickert. Man braucht nur eine Tonne oder einen Kugelgrill.
Gastro-Kurator über Esswerkzeuge: „Löffel sind perfekt für Fast-Food“
Stäbchen verleiten zum Teilen, sagt Martin Kullik. Und erklärt, warum man
Tiramisu mal mit den Händen essen sollte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.