Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kochbuch über türkische Küche: Jenseits des Döners
> Der Spitzenkoch Musa Dağdeviren revitalisiert das kulinarische Erbe der
> Türkei. In „Türkei, das Kochbuch“ stellt er es auch deutschen Lesern vo…
Bild: Fleischbällchen mit Petersilie (links), Schafshirtensalat (rechts) – z…
Und dann gibt es da noch die Geschichte von dem Hühnerdiebstahl vor der
Hochzeit. Ein alter Brauch [1][in der Türkei]. Wenige Tage vor dem Fest
taucht die Braut mit einer Schar Freunden mitten in der Nacht vor dem Haus
des Bräutigams auf, es wird getanzt und so viel Lärm gemacht, dass,
abgelenkt vom allgemeinen Getöse, der Hühnerstall leergeräumt werden kann.
Das Geflügel kommt beim Hochzeitsmahl auf den Tisch.
Von der Rolle, die ein bestimmtes Gericht im Alltag spielt, auf Hochzeiten
oder zu anderen Anlässen, erzählt Musa Dağdeviren viel, meist wie nebenbei
und in kurzen Absätzen, aber immer sehr anschaulich. Sein „Türkei, das
Kochbuch“ vermittelt auf über 500 Seiten deshalb nicht nur einen Blick in
die Küche, sondern auch einen Blick aus der Küchentür hinaus auf den Alltag
des Landes.
Musa Dağdeviren ist spätestens seit vorigem Jahr über die Grenzen seines
Landes hinaus bekannt. Er wurde in einer Folge [2][der Netflix-Serie
„Chef’s Table“] porträtiert. Der Istanbuler Koch ist Archivar des
kulinarischen Erbes seiner Heimat. Das ist zum Teil in alten Kochbüchern
bewahrt, noch mehr aber basiert es auf mündlich weitergegebenem Wissen.
Dağdeviren sammelt beides. Seit über zwei Jahrzehnten bereist der
59-Jährige die Türkei auf der Suche nach regionalen Rezepten und dabei
interessiert ihn immer auch der soziale, kulturelle und agrarische Kontext
der Gerichte, ganz so wie bei dem Huhn in Milchsauce, das in Ostanatolien
„Braut-und-Bräutigam-Huhn“ heißt.
In der Türkei heißt es über Dağdeviren, dass er das Essen ausgräbt, das
seine Heimat vergessen hat. Und da gibt es einiges: Die türkische
Speisekarte ist das Jahrtausende alte Erbe eines Vielvölkerstaates:
Phryger, Hethiter, die Griechen und Römer, Byzantiner und anatolische
Seldschuken hinterließen alle ihre Spuren im Osmanischen Reich. [3][Das
Land und seine Küche] sind ein Produkt dieser Geschichte, mit Einflüssen
aus Mesopotamien und der Levante, aus dem Kaukasus und vom Balkan. Doch
kaum jemand bietet Urlaubern mehr an, als die in der Heimat bekannte
Imbissküche aus Döner, Köfte und Börek.
## Erst lernte er grillen, dann kochen
Dağdeviren hat einst auch mit einem Grill begonnen. Er stammt aus Gaziantep
im Südosten des Landes, an der Grenze zu Syrien. Schon mit fünf musste er
in der Backstube seines Onkels mitarbeiten und lernte anschließend Bäcker.
1977 ging er, noch keine zwanzig, nach Istanbul und wurde Kebab-Experte.
Erst im Militärdienst Mitte der 80er-Jahre, erzählt er in der
Netflix-Dokumentation, merkte er, dass er außerdem Talent zum Kochen hatte.
1987 eröffnete er auf der asiatischen Seite Istanbuls das „Ciya“ und
stellte dort bald Gerichte aus der Bauernküche auf die Karte: vegetarische
Vorspeisen, Eintöpfe, Pilaws aus allen Ecken der Türkei. Das Essen
veredelte er mit klassischer Musik, die im Hintergrund lief.
Heute gibt es in Istanbul Dutzende Restaurants, deren Köche sich auf die
regionalen und saisonalen Wurzeln der türkischen Küche besinnen. Neolokal
nennt man das dort, und Aylin Öney Tan, Gastro-Kritikerin bei der
Tageszeitung Hurriyet, nennt Dağdeviren den Pionier dieser Bewegung.
„Türkei, das Kochbuch“ ist auch deswegen eine so spannende Neuerscheinung.
Die klassische türkische Küche in ihrer modernen Form muss heute keinen
Vergleich mit Italien und Frankreich scheuen. Doch im Ausland schafft sie
es kaum, Fuß zu fassen. Und genauso wenig die Literatur, über die man einen
Einstieg in diese kulinarische Welt bekäme. Dem deutschen Publikum hat
zuletzt die schottische Autorin Ghillie Basan in einer größeren Auflage die
türkische Küche näher gebracht. Sie hatte einige Zeit am Bosporus gelebt
und hat die Rezepte für den westeuropäischen, an die italienische Küche
gewohnten Gaumen angepasst. Über zehn Jahre ist das her.
## Lamm, Paprika, Joghurt, Ziegenkäse – und noch viel mehr
Nun ein Buch für ein internationales Publikum herauszugeben, mit vielen
Gerichten, die sogar in der Türkei in Vergessenheit geraten sind, das ist
mutig – und wieder eine Pioniertat. 550 Rezepte fasst der Band, nach Gängen
geordnet, nicht nach Regionen. Er ist trotzdem ein Atlas der türkischen
Küche entstanden, der zwar von den typischen Zutaten wie Lamm, Paprika,
Joghurt und Ziegenkäse bestimmt wird, aber genauso zeigt, wie falsch es
wäre, die Küche einfach darauf zu reduzieren.
Technisch gesehen sind die Rezepte nicht kompliziert, aber auch für
ambitionierte Köche – oder Bäcker – gibt es Futter. Ein Rezept zur
Herstellung von Sucuk etwa, der türkischen Knoblauchwurst. Oder für einen
Sauerteigstarter aus Kichererbsen. Für die Herstellung von Dizme Mantı,
offene Nudelschiffchen gefüllt mit einer Hackfleischmasse, die im Ofen
gebacken werden, wird man beim ersten Mal sicher viermal so lange brauchen
wie die im Rezept angegebenen dreißig Minuten Zeit. Aber das lohnt sich.
Natürlich gibt es auch ein großes Kebab-Kapitel, aber die Abschnitte über
Dolmas (gefülltes Gemüse) oder Pilaws – so etwas wie Paella des östlichen
Mittelmeers – sind viel spannender.
Interessanterweise ist das Buch bisher nur auf Englisch und Deutsch
erschienen. Auf Türkisch hat Dağdeviren die Rezepte in seinem Magazin Essen
und Kultur veröffentlicht, aber nicht in gesammelter Form. „Dabei“, sagt
Aylin Öney Tan, „wären auch viele Türken erstaunt, wie viele Gerichte der
türkischen Küche es gibt, von denen sie noch nie gehört haben.“
28 Dec 2019
## LINKS
[1] /Tuerkei/!t5404167
[2] https://www.youtube.com/watch?v=FWDF4uTlOto
[3] /Die-Vielfalt-der-tuerkischen-Kueche/!5265171
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Türkei
Kochen
Kochbuch
türkische Küche
Reiseland Türkei
Kochbuch
Kochbuch
Kulturgeschichte
Schwerpunkt Türkei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die kulinarische Handschrift Diyarbakırs: Der Ochsenschwanz schmort schon
Substanzloses Weißbrot? Nicht im südosttürkischen Diyarbakır. Ein kleiner
Rundgang mit ofenfrischem Fladenbrot, rotem Basilikum und gegrillter Leber.
Die besten Kochbücher des Jahres: Oft kopiert, nie erreicht
Ruth Rogers und Rose Gray haben das River Café in London zur Legende
gekocht. Nun gibt es ihre Rezepte endlich in einer deutschen Gesamtausgabe.
Kochbuch von Autor Alexandre Dumas: Foodie im 19. Jahrhundert
Der Schriftsteller Alexandre Dumas war genusssüchtig und kochbegeistert.
Sein „Wörterbuch der Kochkunst“ gibt Einblick in die Küche von 1870.
Germanistin über Kochbuchklassiker: „Ein Projekt der Emanzipation“
Seit über 100 Jahren gibt es das „Bayerische Kochbuch“. Regina Frisch hat
seine Geschichte aufgeschrieben. Ein Gespräch über frühe Flexitarier und
Eintopfnazis.
Die Vielfalt der türkischen Küche: „Fleisch spielt da eine Nebenrolle“
Die türkische Küche ist so viel mehr als Döner und Baklava, sagt Orhan
Tançgil. Vielen Türken fehlt aber der Mut, zu sagen: Das ist was richtig
Geiles.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.