# taz.de -- Kurator über Kochen und Kunst: „Sterneköche sind keine Künstle… | |
> Ulrich Krauss vereint in seinem Projektraum Kochen und Kunst. Ein | |
> Gespräch über Galeristen-Gastlichkeit, griechische Göttersöhne und | |
> geckenhafte Gastrokritik. | |
Bild: Speisen zwischen Skulpturen | |
taz am wochenende: Herr Krauss, Köche, [1][vor allem Sterneköche], werden | |
von Restaurantkritikern oft als Künstler bezeichnet … | |
Ulrich Krauss: Das sagt aber mehr über die Kritiker aus, die sich eitel als | |
Kunstkritiker aufspielen wollen. | |
Sie sind Koch und Künstler und kennen den Unterschied! | |
Selbst wenn man in den höchsten Charts arbeitet, hat das nie etwas mit | |
Kunst zu tun. Das ist ein Handwerk. Natürlich braucht man Kreativität, | |
Intuition, Einfühlungsvermögen, um zu kochen. Aber Kunst geht auch immer in | |
die Richtung des Sinnlosen, des Überflüssigen und des Widersprüchlichen. | |
Kunst will provozieren und nicht nur einen schönen Teller produzieren. | |
Kochen ist eine Dienstleistung. | |
Also: Kunst kann genießbar sein, muss es aber nicht? | |
Nehmen wir das Tier. Daran soll auf dem Teller nichts mehr erinnern. Als | |
ich nach Berlin kam, damals habe ich Performancekunst gemacht, war genau | |
das ein Thema eines meiner Projekte. Ich habe in der Galerie eine Situation | |
geschaffen, die an barocken Stillleben und Malereien orientiert war, und | |
zwei tote Hasen darin liegen gehabt, die sich dann durch den performativen | |
Prozess verwandelt haben. Jeder Schritt war als Bild gedacht und eben auch | |
nicht essbar. Das ging im wahrsten Sinne des Wortes an die Innereien, auch | |
für das Publikum. Das ist für mich eher Kunst. | |
Sie haben in den 80er Jahren Kunst studiert. Wie kommt man anschließend ans | |
Kochen? | |
Ich komme aus einer Metzgerfamilie, aber dafür habe ich mich als Kind | |
eigentlich nie interessiert und mein Ding gemacht. Nach dem Studium hatte | |
ich dann das Gefühl, mir fehlt ein Fundament. Das führte zu einer | |
Rückbesinnung, wo ich herkomme, und schließlich in die Küche, in die Lehre | |
bei Franz Keller in Hattenheim. | |
Als Koch arbeiten Sie seit zwanzig Jahren mit Künstlern zusammen. Wie hat | |
das angefangen? | |
Ich bin 1991 nach Berlin gekommen und habe dann neun Jahre in verschiedenen | |
Restaurants gearbeitet und parallel Kunstprojekte aufgezogen. 2000 war ich | |
davon so abgegriffen, dass ich beschloss, einen Ort zu gründen, um Kunst | |
und Kochen zusammenzubringen. | |
Dieser Ort ist [2][das Zagreus]. Sie laden dort Künstler ein, Sie | |
veranstalten parallel Abendessen, aber es ist keine Galerie? | |
Nein, es ist ein Projektraum. Ich arbeite punktuell mit Künstlern zusammen, | |
die bereit sind, sich in einem Rahmen zu bewegen, in dem auch gegessen und | |
getrunken wird. | |
Es gab Aktionen, da wurde im Stillen gegessen oder zu einer | |
Radioübertragung der Fußballweltmeisterschaft. Der Raum war zum Sonnendeck | |
eines Schiffes umgestaltet, als Picknickwiese. Oder man hat im Gelände | |
einer Modelleisenbahn gegessen. Welche Rolle haben Sie dabei? | |
Ich bin nur der Koch. Es kommt alles auf die Idee des Künstlers an, wie er | |
diesen Raum bespielen will. Es entsteht eine eigene Atmosphäre, und in der | |
wird gegessen. Das Ziel ist eine Symbiose des Essens und des Raums. | |
Warum der Name Zagreus? | |
Ich habe mich mal viel mit griechischer Mythologie beschäftigt. Zagreus ist | |
der Sohn von Zeus, der von den Titanen zerrissen, gebraten und verschlungen | |
wird. Das ist das Thema Essen. Es gibt eine Version, in der aus der Asche | |
des Zagreus und der Titanen das Menschengeschlecht entsteht. Ein Gott kann | |
aber nicht sterben, Zagreus haust in der Unterwelt und wird dann als | |
Dionysos wiedergeboren, der Gott des Weins, der Freude und der Ekstase. Die | |
Geschichte steht für den Kreislauf des Lebens, für Entgrenzung. Das schien | |
mir ganz passend für das Projekt hier. | |
Wie ergeben sich die Projekte? Kommen die Künstler auf Sie zu? | |
Mittlerweile ja. Die melden sich und stellen mir ein Konzept oder eine Idee | |
vor. Und wenn ich das gut finde, diskutieren wir, wie das in dem Raum | |
verwirklicht werden kann. | |
Bringen die Künstler auch schon das gastronomische Konzept mit? | |
Selten, die meisten sind bildende Künstler. Aber dementsprechend kommen die | |
oft auf ganz verrückte Ideen, die dann nicht so typisch sind für | |
Gastronomie. Oft sind sie abstrakt, es geht um Konsistenz, Farben oder | |
einen anderen Blickwinkel auf die Situation des Essens. Denn einfach ein | |
paar schöne Bildchen aufzuhängen, das wäre zu wenig. Es muss schon in | |
irgendeiner Form der Funke überspringen auf den Tisch. Das ist für mich der | |
rote Faden. Das darf auch sehr spielerisch sein, das ist mir wichtig. | |
Was ist das nächste Projekt? | |
Ich habe [3][Miriam Lenk zu Gast]. Sie ist Bildhauerin. Ihre | |
Keramikskulpturen erinnern an Korallenriffs genauso wie an barocke | |
Frauenkörper. Wir werden auf dem Tisch ein komplettes Set von Schalen und | |
Tellern haben, die Teile der Skulpturen zu sein scheinen. Unsere Idee: Das | |
Geschirr wird die ganze Zeit auf dem Tisch bleiben, nur das Essen wechselt | |
darin. Es wird eingefüllt, eingeschüttet, hineingelegt. Das heißt, es gibt | |
keine klassischen Gänge, sondern eine Folge von mehr oder weniger flüssigen | |
Speisen, die aber aufeinander aufbauen. Und Kellner oder Koch stehen | |
ständig hinter dem Gast und gießen was Neues ein. | |
9 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Sternekoch-ueber-Genuss/!5815481 | |
[2] https://www.zagreus.net/ | |
[3] https://deeds.news/2022/02/meerschaum-gewoge-skulpturen-von-miriam-lenk-und… | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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