# taz.de -- Slow-Food-Experte über regionale Küche: „Keine Hitparade mit Ko… | |
> Wie es ums kulinarische Nord-Süd-Gefälle in Deutschland steht und was | |
> sein Slow-Food-Genussführer empfiehlt, erklärt Wieland Schnürch. | |
Bild: Auf die Zutaten kommt es an! | |
taz.am wochenende: Herr Schnürch, der neue Genussführer von Slow Food | |
erscheint. Er ist in den vergangenen Jahren ein Gradmesser für die | |
regionale Küche in Deutschland geworden. Wie ist die Lage? | |
Wieland Schnürch: Es gibt einen Umbruch. Wir erleben einen | |
Generationswechsel in der regionalen Küche, und der ist mit einer | |
Renaissance verbunden. | |
Woran erkennen Sie das? | |
Wir sehen: Alteingesessene Traditionslokale, die lange von einer Familie | |
geführt wurden, haben Probleme, Nachfolger zu finden. Viele schließen. Es | |
wird schwierig, wenn man nur den alten Stiefel durchzieht. Auf der anderen | |
Seite gibt es eine ganze Reihe von jungen Wirten und Köchen, die die | |
Regionalität wiederentdecken. | |
Tatsächlich? | |
Das fängt schon beim Namen an. Lokale wie „Der goldene Adler“ oder „Zum | |
röhrenden Hirsch“ finden Sie immer weniger. Ich könnte Beispiele von Bayern | |
bis Schleswig-Holstein nennen. Hier sind junge Leute unterwegs, die | |
versuchen, sich mit einer neuen Konzeption abzuheben, und erfreulicherweise | |
gleich auf Bioprodukte setzen. Wir erleben eine Renaissance der regionalen | |
Küche über den Umweg der regionalen Produkte. | |
Der Genussführer verkauft sich ähnlich gut wie der Guide Michelin und der | |
Gault Millau. Was unterscheidet ihn von den traditionellen Führern? | |
Wir haben eine andere Konzeption. Uns geht es nicht nur um die Begutachtung | |
von Speisen und Getränken. Das ist eindimensional. Es gibt auch keine | |
Hitparade mit Sternen, Hauben oder Kochlöffeln. Wir wollen nicht die | |
Konkurrenz unter den Wirten befeuern, sondern wir sehen sie als Teil eines | |
Netzwerkes, das wir schaffen wollen: ein solidarisches Miteinander von Gast | |
und Koch. Rankings helfen da wenig. | |
Der Genussführer ist noch umfangreicher geworden. | |
Insgesamt sind es jetzt rund 500 Lokale. 150 davon sind neu. | |
Was sind die Kriterien? | |
Es sind die Kriterien von Slow Food: gut, sauber und fair. Zentral ist, | |
dass die Küche regional ist und dass die Grundprodukte aus der Region | |
kommen. Wir möchten kurze Wege, aber auch Überprüfbarkeit, etwa bei den | |
Haltungsbedingungen von Nutztieren. Das bringt Transparenz und | |
Nachhaltigkeit. | |
Wann sind Sie streng? | |
Wenn irgendwelche Dinge aus dem Chemiebaukasten der Nahrungsmittelindustrie | |
zum Einsatz kommen, obwohl man uns das Gegenteil versichert hat. | |
Regionale Küche heißt auch regionale Rezepturen? | |
Selbstverständlich. Noch ist es um die regionale Küche nicht gut bestellt, | |
auch wenn das Wort „regional“ ständig im Munde getragen wird. Die | |
internationale Küche ist immer noch stark auf dem Vormarsch und hat in den | |
letzten Jahrzehnten hierzulande einen ziemlichen Kahlschlag verursacht. Der | |
regionalen Küche auch als Kulturgut wieder zu mehr Stellenwert zu | |
verhelfen, darum geht es uns mit dem Genussführer. Und wir sehen: Es gibt | |
für uns wie für die Wirte noch genug zu entdecken. | |
Mit dem traditionellen Schweinebraten fährt man bei Ihnen trotzdem gut? | |
Wir haben nichts gegen Auffrischung der Rezepturen bis hin zu einem | |
mediterranen Einschlag bei bestimmten Klassikern. Das entspricht dem | |
Zeitgeist und den Bedürfnissen des Publikums, das es heute ein bisschen | |
frischer, ein bisschen leichter, ein bisschen moderner haben will. | |
Wie ist das in den Großstädten? Dort ist heute kulinarisch die ganze Welt | |
vertreten. | |
Auch hier gibt es Neuzugänge. Aber ich gebe zu, in München, Frankfurt, | |
Stuttgart, auch in Berlin tut sich die traditionelle Küche noch schwer. In | |
den norddeutschen Großstädten hat sich die regionale Küche dagegen mehr | |
erhalten. Aber insgesamt hat sie ihre Bastionen immer noch auf dem flachen | |
Land, auch in ihrer modernisierten Form. | |
Und was machen junge Neueinsteiger anders? | |
Da liegt der Fokus nicht mehr – wie in der Sterneküche – auf ausgefallenen | |
Zutaten oder komplizierten Herstellungstechniken. Sondern es geht um die | |
Qualität des Grundproduktes. Und wenn das vom Nachbarfeld stammt, man den | |
Bauern kennt und das auch dem Kunden vermitteln kann, dann ist das die Art | |
von Transparenz, die Slow Food vorschwebt. | |
Bislang schien die regionale Küche ihren Schwerpunkt im Süden zu haben. Hat | |
sich das verändert? | |
Das kulinarische Nord-Süd-Gefälle wirkt in Deutschland wie eine Art | |
Gesetzmäßigkeit, übrigens auch, wenn man sich andere Restaurantführer | |
ansieht. Aber wir sind dabei, das zu überwinden. In Schleswig-Holstein und | |
an der gesamten Küste haben wir eine ganze Menge neue Lokale reinbekommen, | |
und auch der Osten hat stark zugelegt. In der Lausitz haben wir das erste | |
sorbische Lokal aufgenommen. Das mag jetzt komisch klingen, aber man darf | |
das nicht vernachlässigen, auch die sorbische Küche ist Teil der deutschen | |
Regionalküche. | |
Haben Sie auch was für Veganer und Vegetarier im Buch? | |
Wir haben eine Handvoll vegetarischer Restaurants aufgenommen. Ich finde | |
aber wichtiger, dass kaum ein Lokal im Führer noch die Kässpätzle oder | |
irgendeinen Alibi-Salat anbietet. Die Vegetarier werden als Kundengruppe | |
ernster genommen. Und deshalb gibt es mehr Gemüsegerichte, mit neuen | |
Rezepturen bis hin zu verwegenen Kombinationen. | |
Es geht also schon weg von der alten deutschen Fleischküche. | |
Ja. Und das liegt uns auch am Herzen. Der Fleischkonsum ist in Deutschland | |
ohnehin zu hoch. Und mehr vegetarische Gerichte auf der Karte führen auch | |
dazu, dass das Fleisch wieder eine Aufwertung erfährt. | |
6 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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