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# taz.de -- Drei-Sterne-Koch über gutes Arbeitsklima: „Früher gab es Schien…
> In Kevin Fehlings Restaurant in der Hamburger Hafencity gibt es weniger
> Stress für Koch und Gast. Bei der jüngeren Generation sieht er eine
> geänderte Arbeitseinstellung.
Bild: Kocht mit seinem Team auf offener Bühne: Kevin Fehling.
taz: Spitzenküche wird oft mit einem schlechten Arbeitsklima in Verbindung
gebracht: Köche werden angeschrien, leiden unter Burnout und kündigen. Wie
viele Leute haben Sie in diesem Jahr verlassen, Herr Fehling?
Kevin Fehling: Mich haben schon einige Köche verlassen, weil das ganz
normal ist. Mindestens anderthalb Jahre, maximal drei Jahre, dann wird es
für einen Jungkoch in den Gesellenjahren Zeit, neue Küchenstilistiken zu
sehen.
Und was hat der Jungkoch vorher bei Ihnen erlebt?
Wir wollten genau das, was ich früher in unterschiedlichen Küchen erlebt
habe, nicht weitergeben. Die positiven Dinge ja, die negativen nein.
Deshalb haben wir eine sonderbare Arbeitsatmosphäre hier. Es gibt eine
überdurchschnittliche Bezahlung, eine sehr hohe Trinkgeldbeteiligung. Wir
haben angenehme Arbeitszeiten. Um 14 Uhr beginnt bei uns der Arbeitstag und
endet um 23 Uhr. Dazwischen haben wir noch eine Dreiviertelstunde Pause.
Das gibt es so in der Drei-Sterne-Gastronomie nicht.
Warum kriegen das andere Drei-Sterne-Restaurants nicht hin?
Das liegt an unserem Konzept. Dadurch, dass wir jeden Abend nur für 20
Gäste kochen und nur ein Menü haben. Die ersten zehn Gäste erscheinen um 19
Uhr, um 20 Uhr die darauffolgenden zehn. Es gibt bei uns nicht mehr dieses
geordnete Chaos einer Sternegastronomie. Ich stand da auch als Küchenchef
am Pass und habe kontinuierlich nur annonciert, Befehle gegeben, damit
alles zur richtigen Sekunde auf den Teller gesetzt wird. Aber dadurch, dass
wir teilweise schon an der Musik hören, wo wir in der Gangabfolge sind,
unterhalten wir uns gar nicht mehr. Es läuft alles nur durch Kommunikation
mit den Augen.
Ist es eine zusätzliche Herausforderung, in einer offenen Küche vor den
Gästen zu kochen?
Da muss man sich erst mal dran gewöhnen. Aber wir waren schon in
Travemünde, wo wir zehn Jahre tätig waren, sehr gut organisiert. Auch dort
haben wir in der Küche nicht miteinander gesprochen. Es floss alles
ineinander. Ich war schon immer der Typ, der versucht, positiv zu
motivieren statt mit Power. Wenn ich jemandem für ein halbes Jahr richtig
Power gebe, dann ist das effektiv – aber nur für ein halbes Jahr. Wenn
etwas schiefläuft, setzen wir uns zusammen und reden fünf Minuten darüber.
Wenn ich Menschen anschreie, geht es da rein, da wieder raus aus dem Ohr
und bei mir bleibt es im Herzen hängen.
Hat das auch etwas mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun?
Mich konnte man damals noch so schlecht behandeln. Es gab Schienbeintritte,
es gab von morgens bis abends Psychoterror, Schreiereien. Ich hatte meine
Ziele. Ich wollte immer einen Michelin-Stern erkochen, deshalb habe ich das
mit mir machen lassen.
Und die Jungen?
Die Generation von Köchen zwischen 20 und 26, wie sie hier sind, machen das
nicht mehr mit. Die wollen lieber mehr Freizeit – aber die wollen auch
einfach schön kochen. Das war für mich nicht so nachvollziehbar, denn ich
hatte immer dieses Ziel vor Augen: Sterne, Sterne, Sterne – was ja auch gut
ist. Viele von denen sagen: „Kann sein, dass es irgendwann kommt, aber es
muss nicht zwingend sein. Ich will gut kochen.“ Es gibt dort mittlerweile
eine ganz andere Leichtigkeit.
Aber die haben nicht weniger Ehrgeiz?
Nein. Weniger Ziele.
Was ist der Unterschied?
Der Ehrgeiz ist, das Essen für den Moment, so wie es erwartet wird, perfekt
auf den Teller zu bringen; zu wissen, was davon abhängt und dass wir uns
keine Fehler erlauben dürfen. Ein Ziel ist, wenn ich ein bisschen weiter in
die Zukunft blicke und sage: Ich bin jetzt 25 und will mit 30 Jahren
unbedingt Küchenchef sein, ich möchte mit 35 das und das verdienen. Der
Unterschied ist: Die leben eher den Moment.
Reich wird man ja nicht als Sternekoch.
Ich kenne keinen Sternekoch, der schlecht verdient.
Es gibt das Bonmot: Wer reich werden will, muss eine Pommesbude betreiben,
kein Sternerestaurant.
Das hängt vom Konzept ab. Es gibt viele Restaurants, die haben viele
unglaublich gute Köche, aber das falsche Konzept in der falschen Lage.
Was hat Ihnen den Mut gegeben, sich selbstständig zu machen?
Hätte man mich noch vor drei Jahren gefragt: „Möchtest Du Dich
selbstständig machen?“, hätte ich ihm den Vogel gezeigt. Aber nach zehn
Jahren war ich einfach durch mit Travemünde. Ich habe mich immer eher im
internationalen Vergleich gesehen unter den Kollegen. Das hat nichts mit
der Qualität oder der Suche nach Perfektion auf dem Teller zu tun. In
Deutschland sind die Köche mit die besten auf der ganzen Welt. Aber die
Konzepte sind einfach ein bisschen zu langweilig. Das hat mich gestört. Und
ich konnte mir nicht vorstellen dass bei Sterneköchen, selbst im Hamburger
Raum, die Restaurants unter der Woche oftmals nur halb voll sind.
Man sollte meinen, dass Leuten, die 300 Euro für ein Menü ausgeben, die
Lage oder das Ambiente gleichgültig sind.
Das ist nicht ganz so. Unsere Philosophie war von Anfang an: Fühl’ Dich wie
zu Hause! Es gibt hier nicht diese ungeschriebenen Gesetze der
Spitzengastronomie. Wenn hier jemand sitzt, bekommt er drei Sterne auf den
Teller, aber die Stimmung ist manchmal wie in einem Wirtshaus. Es gibt
nicht die Angst, dass die ganze Zeit jemand dasteht und mir beim Essen
zuschaut. Es gibt keinen Dresscode. Das Ziel ist einfach nur, die Gäste zu
beflügeln und ihnen eine schöne Zeit zu geben.
Sie kommen ohne einen Sponsor aus.
Am Anfang waren die Gäste so geflasht, dass wir zwei Monate im Voraus
ausgebucht waren, dann waren es drei. Viele Gäste sind mittlerweile
Stammgäste und buchen jeden dritten Monat. Das geht mittlerweile auch nicht
mehr, wir sind sieben Monate im Voraus ausgebucht. Da fragt man sich: Was
machen wir anders? Es gibt elf Drei-Sterne-Köche in Deutschland, aber wir
sind die Einzigen, bei denen das Konzept international Aufmerksamkeit
findet. Wenn man in Barcelona oder San Sebastian Essen geht, egal ob ein,
zwei oder drei Sterne, sieht man sofort: Das sind Konzepte.
Wie sieht Ihres aus?
Wenn ich durch die Tür trete, sehe ich das Licht, ich nehme unbewusst die
Akustik wahr, die Temperatur und den Geruch. Dann stehe ich jeden Abend um
20 Uhr hier und begrüße jeden Gast. Das vergessen die nie. Dann werden sie
platziert und bekommen nach japanischer Sitte ein warmes Tuch mit
ätherischen Ölen und reinigen sich. Und dann steht schon das erste Glas da.
Es dauert keine drei Minuten, da haben die schon das erste Amuse-Gueule. Es
gibt hier nicht mehr diese halbe Stunde Warten zwischen jedem Gang.
Innerhalb von 20 Minuten hat man fünf Amuse-Gueule gegessen und im
Idealfall ein Glas Champagner getrunken. Das heißt: Entertainment,
Geschwindigkeit.
Wie kam bei Ihnen der Gedanke auf, dass Sie sich drei Sterne erkochen
könnten?
Ich habe früh herausposaunt, auch in der Familie und unter Freunden, dass
ich Sternekoch werden möchte. Einen Stern wollte ich erkochen, das war mein
Lebenstraum, um auch mir selbst zu beweisen, dass ich es zu etwas gebracht
habe.
Schon ein Stern ist ja ein sehr hoch gestecktes Ziel. Woran haben Sie
gemerkt, dass ausgerechnet Sie das erreichen können?
Am Anfang geht es gar nicht so sehr um Kreativität, sondern um Aufopferung:
unglaublich viel lernen, sehr viele Stunden arbeiten für wenig Geld. Ich
hatte auch eine gewisse Art von Glauben: Ich wusste, dass ich das schaffe.
Es hat bei mir mit dem ersten Stern auch ein bisschen länger gedauert als
bei anderen. Das lag daran, dass ich nie meinen Altmeister kopieren wollte,
sondern versucht habe, meinen eigenen Stil zu finden. Deshalb waren die
ersten drei Jahre etwas holprig, aber heute sind wir umso authentischer auf
dem Teller.
In einem Porträt der Zeit klingt es so, als wären Sie zufällig in die Küche
geraten.
Das ist ja bei den meisten so. Ich wollte eigentlich immer nur in der
Gastronomie arbeiten. Ziel war Food&Beverage-Manager, Hotel-Direktor. Wenn
ich mit meinen Eltern im Urlaub im Hotel war, hat es mich immer begeistert,
wie die Menschen nicht nur dort Urlaub machten, sondern dort lebten.
Das heißt, wenn Sie die Karriere eines Hoteldirektors eingeschlagen hätten,
wäre es Ihr Ziel gewesen, Direktor des „Vier Jahreszeiten“ zu werden.
Da hätten andere Dinge gefehlt, die ich heute besitze, um so gut kochen zu
können. Ich bin nicht so sehr rational intelligent, bei mir geht es mehr in
die emotionale Richtung. Natürlich habe ich Führungsqualitäten. Ich kann
auch eine Küche mit 20, 30 Köchen führen. Aber ich hatte immer diesen
Drang, besser werden zu wollen, und die Messlatte dafür war dieser Stern.
Braucht man eine Begabung, um Sternekoch werden zu können?
Eine Spur Talent gehört definitiv dazu, wenn man an den Punkt kommen will,
wo die Kreativität so extrem ist, dass man eine eigene Handschrift erkennt,
man vielleicht sogar auf dem Teller Trends setzt.
Als erstes muss man wohl sehr fein und differenziert schmecken können.
Ich nehme ganz viele Gerüche wahr. Das habe ich aber erst später gemerkt.
Als Kind wussten Sie das nicht?
Nein, auch nicht während der Ausbildung. Das kam alles erst später. Durch
einen Zufall, denke ich manchmal. Es ist halt auch Glück, neben dem Ehrgeiz
und der Aufopferung.
Wie ist Ihnen Ihre Begabung bewusst geworden?
Das war zum Beispiel bei der Bundeswehr. Ich war zuerst bei den
Fallschirmjägern und dann in der Küche. Man ging rein und las: 400 Liter
Kakao – okay, krieg ich hin und Gulasch, 50 Kilo. Die Zivilassistentinnen
hatten das meiste schon vorgeschnippelt und eigentlich brauchte man nur den
Eimer zu nehmen und alles zur richtigen Zeit in den großen Topf geben und
abschmecken. Das war total einfach. Dann habe ich aber gemerkt, wie viele
Koch-Kollegen zu mir kamen und fragten: Wie schmeckt das? Wie würdest Du
das jetzt kochen? Die konnten einfach nicht sagen, ist die Bolognese jetzt
fertig oder nicht. Man braucht halt auch ein Gefühl dafür. Man muss diese
Grammzahl beim Würzen in zwei Fingern und dem Daumen fühlen. Kochen ist
Timing, aber auch unglaublich viel Emotion.
Was für eine Emotion?
Ich koche zum Beispiel unglaublich gerne Hühnersuppen zu Hause. Meine
beiden Töchter lieben diese Suppe. Aber dann spiele ich mich darin richtig
fest. Ich weiß, es ist nur eine Hühnersuppe. Ich könnte für meine Kinder
eine Dose aufmachen, erhitzen und dann wären die auch satt. Aber ich weiß:
Jede Hühnersuppe, die ich koche, geht immer noch besser. Ich schaue der
Suppe beim Kochen zu. Ich probiere immer wieder den Fond, wie er sich
verändert. Früher habe ich ein Bukett-Gemüse mit dem Huhn aufgekocht,
ziehen lassen, passiert – fertig! Heute gibt es unterschiedliche Abstände.
Vielleicht lasse ich den Fond noch separat reduzieren, damit er mehr
Intensität bekommt.
Das hört sich mehr nach Zuwendung als nach Emotion an.
Wenn ich Gerichte kreiere, ist das der emotionale Teil. Ich hatte einmal
meine Tochter auf dem Arm und wollte ihr die Höhe des Universums deuten. Da
kam mir die Idee, ein Dessert zu kreieren aus der Sicht eines Kindes. Ich
habe mir die ganze Zeit meine Tochter vorgestellt, wie sie es aufmalen
würde.
Was kam dabei heraus?
Das Dessert hatte in der Mitte eine dünn gepustete Zuckerkugel, die mit
einem Mandarinen-Espuma gefüllt war. Das war die Sonne. Für den Mond
machten wir einen Silikonkautschuk-Abdruck von einem Märchenmond mit
Knollennase. Da kam ein Orangengelee rein. Dann haben wir den Großen Wagen
aufgezeichnet und mit kleinen Perlen symbolisiert. Dazu kam ein
Streuselkucheneis, weil gerade dieser Kuchenteig von Kindern gern gegessen
wird, mit einem warmen weißen Schokoladenschaum und einem Sternanis-Gelee.
Das sind dann schon Emotionen, wenn die Tochter plötzlich beim kreativen
Prozess unwissentlich dabei ist.
4 Dec 2017
## AUTOREN
Gernot Knödler
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