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# taz.de -- Nationalpark Mavrovo in Mazedonien: Wo der Käse in die Welt kam
> Slow Food als Konzept funktioniert nicht, wenn es vor lauter Armut eh nur
> regionale Bioküche gibt. Doch „Tutto“ hat noch mehr Ideen für seine
> Heimatstadt.
Bild: Dichter Nebel liegt in den Tälern des Movrovo-Nationalparks.
Klar, ein Skopsko geht auch, das helle heimische Bier. Aber wenn Skendr Ame
seinen Schafskäse vorführt, ist ihm ein Rakija, ein Tresterschnaps, dazu
lieber. Oder auch zwei oder drei. Und dann muss man sich gemütlich
zurechtruckeln auf der Terrasse des Hotel Tutto in Jance, einem kleinen
Bergdorf im Mavrovo-Nationalpark. Denn Skendrs Erzählungen zu dem kleinen
Snack setzen grundsätzlich „vor Tausenden von Jahren“ an.
Als die Schafhirten samt ihren Familien mit den Herden herumzogen, außer
vom Fleisch nur von der Milch ihrer Tiere lebten. Wie sie dann in einer
Höhle auf Kefirbakterien stießen, bald Joghurt herstellten – und irgendwann
im Magen eines frisch geschlachteten Lammes geronnene Milch entdeckten und
probierten. „Das ist die Geschichte der Leute hier, wie der Käse in die
Welt kam“, endet Skendr und klatscht in die Hände. Mehr Rakija, mehr Brot,
mehr Schafskäse.
So sieht ein guter Abend für Tefik „Tutto“ Tefikowski aus, den Besitzer des
Hotels, das seinen Spitznamen trägt: Gäste aus dem Dorf und den Bergen
drumherum. Wenn ein paar interessierte Besucher von weiter weg dazukommen,
aus Europa, aus Italien, aus Deutschland, aus der Schweiz: gern. Aber das
ist nicht die Hauptsache: „Ich bin zurückgekommen, weil ich gesehen habe,
dass nicht nur die Häuser zerfallen, sondern auch die Gemeinschaft“, sagt
Tefik.
Seine Eltern kommen aus der Region, aber er ist in Ägypten aufgewachsen und
dann nach Italien gegangen, ins Piemont, wo er Bauunternehmer mit
Schwerpunkt Nachhaltigkeit wurde. Erst vor sieben Jahren drängte es ihn in
die alte Heimat. „Und als ich die schönen alten Häuser in Jance sah, um die
sich niemand kümmerte, war klar: Hier gibt es etwas zu tun.“
Außerdem habe ihn die Natur umgehauen, die zum Wandern und Klettern
einlädt. Der Mavrovo-Park mit seinen Bergen, unter denen der Golem Koreb
mit seinen 2.760 Metern herausragt, und Urwäldern ist eine der letzten
ursprünglichen Flusslandschaften Europas.
Hier leben Bären, Wölfe, die man nachts nach dem Rufen des Muezzin heulen
zu hören glaubt, Fischotter, fünf Dutzend endemische Fischarten. Und auch
die letzten hundert Balkanluchse haben hier ihr Revier. Jedenfalls, solange
das staatliche Energieunternehmen Elem nicht Ernst macht und den nationalen
Energieplan umsetzt. Denn das hieße, dass im Kerngebiet des Parks ein
Staudamm gebaut würde, der ganze Gebiete trockenlegen und andere unter
Wasser setzen würde.
## Irgendwie überleben
Aber Mazedonien ist ein armes Land, rund 350 Euro beträgt der monatliche
Durchschnittslohn, jeder Dritte ist arbeitslos. „Wir haben nichts, aber
irgendwie überleben wir doch“, sagen die Leute. In Jance baut der eine
Gemüse an, der andere hat Obstbäume im Garten, der Dritte sammelt Pilze und
Beeren, die er an Durchfahrende verkauft. Viele Häuser sind baufällig, die
Balkone bröckeln, manche Fenster sind notdürftig geflickt, die Dächer mit
aufgeschnittenem Kanisterblech gedeckt.
Tefik schien das Symbol dafür zu sein, dass in Jance alles auseinanderfiel.
„Es gab keinen Raum, wo man sich treffen konnte, feiern, trinken, tanzen“,
erinnert er sich. Das wollte er ändern und brachte so auch gleich Jobs mit.
Für Bauarbeiter, Handwerker, Angelernte: „Am Hotel und meinen Häusern hat
keine Bauindustrie mitgearbeitet“, sagt er. Beim Material hat er sich an
das gehalten, was ihm die Natur lieferte, Steine, Holz, Stroh – bis hin zum
Ökoputz. Und auch jetzt beschäftigt er zwölf Leute im Hotel, deutlich mehr,
als nötig wären. Aber Tefik will expandieren: „Da brauche ich Leute, die
wissen, was sie tun.“
## Schafkäse für den Minister
Irgendwie hängt dann auch der Schafhirte Skendr mit drin. Denn für sein
Restaurant hat sich Tefik vor ein paar Jahren dem Slow-Food-Gedanken
verschrieben: regionale Rezepte mit guten Zutaten aus
verantwortungsbewusster Landwirtschaft und artgerechter Tierhaltung.
Joghurt, Käse für besondere Gelegenheiten und Lammfleisch bezieht er von
Skendr. „Meinen Schafskäse essen hier sonst nur die Minister“, sagt der. Er
sei so teuer, dass er vor allem in den Export gehe.
Das Problem ist nur: Die Gäste aus der Region wissen Tuttos Angebot nicht
so richtig zu würdigen. Statt Schopskasalat und Tavèe gravèe, einem
würzigen Bohnengericht mit Paprika, Zwiebeln, Öl, Mehl und Tomaten, wollen
sie lieber Pizza, Curry oder Sushi – wenn sie schon mal essen gehen.
„Bioregionale Küche hat hier jeder jeden Tag“, sagt Tefik. Trotzdem will er
der Idee noch ein wenig Zeit geben. Vielleicht können ja ausländische Gäste
die Einheimischen überzeugen.
5 Oct 2014
## AUTOREN
Beate Willms
## TAGS
Mazedonien
Reisen
Essen
Slow Food
Jäger
Tierschutz
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