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# taz.de -- Mundraub.org über Fallobst: „Die Stadt ist ein Proviantlager“
> Obst? Gemüse? Frei verfügbar, überall, für alle. Andie Arndt von
> mundraub.org will aber nicht nur ernten. Sondern auch für die
> Allgemeinheit pflanzen.
Bild: Herbst ist Erntezeit: Äpfel an einem Baum in Düsseldorf
taz.am wochenende: Frau Arndt, beim Spazierengehen durch die Stadt sein
Essen sammeln – das geht?
Andie Arndt: Absolut. Mundräuber leben nach dem Motto „Die Stadt ist dein
Garten.“ Und das ist nicht nur ein Slogan. Bei mir war das auch so. Ich
wohne im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, und es fing an, dass ich
Haselnussbäume um die Ecke entdeckte und realisierte, dass das nicht nur
irgendwelche Bäume sind …
… sondern dass Essen daran hängt.
Wenn man sich einmal auf dieses Erlebnis eingelassen hat, fängt man an, die
Stadt mit anderen Augen zu sehen und als Proviantlager. Dann entwickelt man
auch ein bestimmtes Gefühl dafür, welche Zutaten man vor der Haustür
findet. Ich habe mir eben noch mal die Karte auf mundraub.org im Netz
angesehen: Allein in Berlin und Potsdam haben wir über 3.000 Einträge, von
über 25.000 Einträgen bundesweit.
[1][Mundraub.org] – was ist das?
Eine interaktive Karte im Netz mit Fundorten von frei verfügbarem Obst und
Wildkräutern, auch Pilzen. Jeder kann dort seine Stellen eintragen und mit
anderen teilen, wenn sie, das ist ganz wichtig, nicht auf privaten
Grundstücken liegen.
Ganz überwiegend sind es Obstbäume, die da verzeichnet sind.
Richtig. Meistens Äpfel, dann Birnen oder Kirschen und Obststräucher wie
Brombeeren und Himbeeren.
Warum sind es gerade so viele Apfelbäume?
Das gilt nur für Berlin und Brandenburg – und hat historische Gründe. Schon
Friedrich II. hat zur Verpflegung der Soldaten und der Landbevölkerung
Obstbaumalleen anpflanzen lassen.
Also gibt es auch von Region zu Region Unterschiede?
Für den Obstbaumbestand rund um die Hauptstadt ist das sogar untersucht
worden. Im Osten gibt es mehr Obstbäume als im Westen Berlins, nämlich neun
Bäume auf einen Hektar gegenüber zwei im Westen. Ein Grund dafür ist: Vor
der Wende erlaubten Behörden im Westen eher, Obstbäume zu fällen. Aber es
gibt noch mehr Unterschiede: Maronen, also Esskastanien, findet man im
Süden Deutschlands mehr, und die Kornelkirsche, das sagt uns jedenfalls ein
Mundraubnutzer, ist im Westen auch mehr verbreitet als im Osten.
Ist es auch möglich, in der Stadt einen Salat zu sammeln?
Natürlich. Das beste Beispiel ist der Blattsalat von Baum. Er besteht aus
jungen Blättern der Linde, von Spitzahorn und Knospen der Eberesche. Solche
Bäume findet man auch in öffentlichen Parks.
Ich denke bei Salat auch an junge Brennnessel oder Löwenzahn.
Warum nicht? Oder probieren Sie mal die Blätter der Alpen-Johannisbeere.
Die schmecken nach Champignons.
Hört die Saison für Mundräuber nie auf?
Man findet Essbares von Frühling bis Herbst. Es beginnt im Frühjahr mit
Wunderlauch …
… ein naher Verwandter des Bärlauchs …
… und geht dann weiter mit dem Baumsalat, und dann kommen schon die
Kirschen, die Mirabellen, die Birnen, Pflaumen, Äpfel und Nüsse. Und ich
habe auch schon Maronen direkt am Alexanderplatz gesammelt. Man wird da
natürlich angeschaut, als wäre man irre, aber das muss man als Mundräuber
aushalten.
Misteln sind in Berlin auch sehr verbreitet.
Man sollte sie nach dem ersten Frost ernten und Marmelade kochen. Schmeckt
nach Nutella, ist aber viel Arbeit.
Sie haben gesammeltes Obst und Kräuter also auch selbst immer auf dem
Speiseplan.
Ja, natürlich.
Gibt es dann auch einen Alltagsklassiker, so wie Nudeln mit Pesto?
Da schlage ich Spaghetti mit Wunderlauch-Pesto vor, vorausgesetzt, man hat
im Frühjahr genug gesammelt und verarbeitet. Und gerade gibt es bei mir
dauernd eingelegte Pflaumen.
Es gibt inzwischen immer mehr Projekte, die Stadtnatur essbarer zu
gestalten.
Das ist das Konzept der „essbaren Stadt“. Die eigentliche Idee ist,
öffentliche Plätze und Straßen mit Obstbäumen und -sträuchern zu
bepflanzen. Wir von Mundraub sind da sehr aktiv und erstellen auch immer
wieder Konzepte. Aber es ist ein Geduldsspiel. Oft bleibt es bei
Willensbekundungen. Wir haben deshalb mit einem eigenen Projekt begonnen.
Es heißt „Nachwuchs“.
Ich schätze, es geht um Obstbäume.
Ja, die Obstbäume, die man jetzt noch findet, sind zum größten Teil
vernachlässigt und werden auch nicht nachgepflanzt. Am Anfang ging es
Mundraub nur darum, darauf aufmerksam zu machen, was es alles für Schätze
in der freien Natur gibt. Mittlerweile sind wir einen Schritt weiter. Wir
wollen nicht nur ernten, was wir nicht gesät haben, sondern uns auch an der
Pflanzung und Pflege beteiligen. Wir suchen mit unserer Community und den
Kommunen nach geeigneten Plätzen für Neuanpflanzungen. Damit auch spätere
Generationen frei Früchte naschen können.
Warum wird nicht überall mehr Essbares angepflanzt?
Gute Frage. Ich höre immer wieder die gleichen Argumente: Ein Auto könnte
beschädigt werden, wenn ein Apfel vom Baum fällt. Die Oma könnte auf dem
Obst ausrutschen, das auf dem Gehweg liegt. Das Kind könnte von einer Wespe
gestochen werden, die von dem Obst angelockt worden ist. Aber ehrlich:
Diese Argumente finde ich nicht sehr überzeugend.
Wie soll man beginnen, wenn man sich sein Essen sammeln will?
Für den Anfang empfehle ich, sich an der Mundraub-Map zu orientieren. Mit
der Zeit entwickelt man dann ein Auge für Essbares. Ich habe gerade einen
neuen Baum mit Maronen entdeckt. Bis die reif sind, wird es wahrscheinlich
November.
3 Oct 2016
## LINKS
[1] http://mundraub.org/
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Obst
Gemüse
Stadtökologie
Pflanzen
Ernährung
Adventszeit
Schmuck
Schwerpunkt taz Leipzig
Apfel
Stadtnatur
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eintragen. Täglich kommen 50 bis 100 neue Bäume dazu.
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