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# taz.de -- Die Schönheit des Kochens: „Zeit ist die wertvollste Zutat“
> Wir müssen wegkommen vom linearen Kochen, fordert Claudio Del Principe.
> Im Gespräch verrät er das Geheimnis des perfekten Ossobuco.
Bild: Wie lange braucht ein gutes Gulasch? So lange, wie es braucht
taz am wochenende: Herr Del Principe, heutzutage wird mit schneller Küche
geworben. Auf den Verpackungen funktionieren die Rezepte im Handumdrehen,
Kochbücher mit simplen Blitzrezepten verkaufen sich gut.
Claudio Del Principe: Eine fette Lüge. Der Geschmack bleibt auf der
Strecke. Man muss dafür nur ein Glas Fertigsauce mit dem Sugo vergleichen,
das eine Stunde langsam auf dem Herd geköchelt hat.
Ist Zeit eine Zutat?
Ja. Für mich die wertvollste. Und sie kostet wenig, macht nicht dick, und
eigentlich hat jeder genug davon. Es gibt keinen Grund, damit zu geizen.
Es geht eher was schief, wenn man sie zu klein bemisst?
Man sollte den Gerichten immer ihre Zeit geben. Neulich habe ich mit einem
Bekannten Ossobuco gekocht, geschmorte Kalbshaxe. Er hetzte damit, drehte
das Gas so weit auf, dass im Topf kleine Blasen aufstiegen. Ich sagte, das
ist zu heiß, und nahm wieder Hitze weg. Er sagte, aber dann kocht es doch
nicht. Bald blubberte es wieder. Zwei, drei Mal ging das so. Dann sagte
ich: Komm runter, das Fleisch nimmt einfach ein Entspannungsbad. 80 Grad
reichen locker. Wenn es blubbert, dann wird es einfach trocken und zäh. Wir
haben Zeit.
Rund anderthalb Stunden verwenden die Deutschen täglich für
Nahrungszubereitung und Ernährung. Für alle Mahlzeiten. Sie sagen: Warum
soll ich mich lange an den Herd stellen, die Teller sind doch ohnehin so
schnell leer.
Der Klassiker. Das höre ich auch oft von allein lebenden Menschen. Auch in
der Form: Nur für mich kochen, das lohnt sich doch gar nicht. Das macht
mich traurig.
Was entgegnen Sie?
Man füllt seine Zeit mit Schönheit. Ein schönes Gemüse allein nur
anzuschauen und sich vorzustellen, was daraus werden könnte. Die Arbeit, es
zu putzen, zu schneiden. Und wie schneide ich es, auf welchem Brett, mit
welchem Messer? Das ist für mich schon wahnsinnig gut ausgefüllte Zeit.
Und es geht erst einmal gar nicht so sehr um das Fertigwerden.
Es gibt Leute, die gehen ins Fitnesscenter, die sind da glücklich. Oder es
gibt Leute, die gehen in den Wald und tanken bei einem Spaziergang Energie.
Und ich gehe in die Küche. Das ist mein Waldspaziergang. Dabei tanke ich
Energie. Es ist Zeit, die ich mit Küchenarbeit verbringen darf. Das ist
Zeit für mich, die kann ich genießen, kann meine Gedanken fließen lassen
und zu einer inneren Ruhe kommen.
Sie haben italienische Wurzeln und sind oft dort. Wird in Italien mit Zeit
anders umgegangen?
Ganz sicher beim Essen. Die Mahlzeit ist immer noch das gesellschaftliche
Schmiermittel und omnipräsent. Sogar wenn man Freunde auf der Straße
trifft, ist schnell Thema, wann, wo und was der andere gerade gegessen hat
oder gleich essen wird.
Es hat seinen Grund, dass die Slow-Food-Bewegung ausgerechnet in Italien
entstanden ist.
Ja, Essen nimmt mehr Platz ein. Auf dem Land kann man auch noch beobachten,
wie das gesellschaftliche Leben erstirbt, wenn abends die Fanfare von TG1
durch die Fensterläden dringt – weil dann alle Nachrichten schauen und weil
gegessen wird. Zwei Stunden dauert das, ab 22 Uhr füllt sich dann wieder
die Piazza, es ist magisch.
Aber für das Kochen ist auch immer weniger Zeit.
Leider ja. Es gibt in italienischen Kochbüchern eine Mengenangabe, die mit
„QB“ abgekürzt wird: quanto basta. Das bedeutet: so viel, bis es genug ist.
Fragt man eine italienische Mamma, wie viel Gramm sie für was verwendet,
wird sie oft sagen, das ist relativ. Etwa beim Nudelteig. Es kommt aufs
Mehl, das Wetter, die Größe der Eier, vielleicht auch den Hausfrieden an,
wie viel man hineingibt. Das ist eine Sache der Erfahrung, die kommt nur
mit der Zeit. Deshalb finde ich, das „QB“-Prinzip gilt auch für die Zeit.
Exakte Zeitangaben in Rezepten sind also hinderlich?
Oft sind sie gar nicht notwendig. Zum Beispiel bei Schmorgerichten. Ich
komme noch einmal auf das Ossobuco zurück. Die Kalbsbeinscheiben sollen
nach Rezept eineinhalb Stunden schmoren. Aber ich achte überhaupt nicht auf
diese Angaben. Ich bereite Schmorgerichte meist am Vortag zu …
… aufgewärmt schmecken sie ja ohnehin noch besser …
… dann geh ich immer wieder hin zum Topf und steck die Gabel hinein und
entscheide irgendwann: so, jetzt ist es gut, und dreh den Herd ab. Und wenn
es manchmal vier oder fünf Stunden dauert, dann ist das Fleisch nachher
eben butterzart.
Da steht man aber lange in der Küche.
Nein, man kann nebenher arbeiten, lesen, das Schmorgericht kocht sich doch
von allein. Ich glaube, wir müssen wegkommen von der Idee des linearen
Kochens. Die meisten Leute fahren ihre Küche nur für ein Gericht von null
auf hundert hoch. Nach jedem Arbeitstag für ein Essen einzukaufen und zu
kochen, das ist Stress, total unökonomisch.
Und was ist das Gegenteil von linearem Kochen?
Parallel zu kochen, zeitversetzt. Es ist doch gar nicht notwendig, immer
alles à la minute herzustellen. Ein Ossobuco ist eine wunderbare
Gelegenheit. Während es vor sich hin köchelt, habe ich Zeit, um Nudelteig
herzustellen, Brühe oder eine Tomatensauce aufzusetzen. Im Ofen ist auch
noch Platz, um Zucchini oder Auberginen zu backen. Das kommt alles in den
Kühlschrank. Und ein paar Tage später Pasta aus frischem Teig herzustellen,
das dauert wirklich nicht lange. Die Zeit habe ich immer.
8 Apr 2018
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Kochen
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Japan
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Brot
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Ernährung
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