# taz.de -- Bäcker über die Abhängigkeit der Zunft: „Ich bin nur das Anhä… | |
> Er unterwirft sich nur seinem Sauerteig, sagt der Freibäcker Arnd Erbel. | |
> Er sei frei – vom Kapitaldienst bei den Banken und von Mehltypen. | |
Bild: Wer sein Brot einmal selbst gebacken hat, wird sich sehr wahrscheinlich a… | |
taz: Herr Erbel, lassen Sie uns über Sauerteig reden, eine wichtige Zutat | |
beim Brot, ein Triebmittel wie die Hefe. Aber was ist der Unterschied? | |
Arnd Erbel: Bei beiden sind Hefebakterien wichtig. In der Hefe stecken sie | |
in einer Reinkultur, die man sofort zum Backen verwenden kann. Ein | |
Sauerteig entsteht durch natürliche Gärung. Er enthält unterschiedliche | |
Hefen, außerdem Milchsäurebakterien. Die fängt er aus der Luft. Man muss | |
die guten von den schlechten trennen, sie behüten und aufpäppeln. Mit dem | |
fertigen Sauerteig rührt man dann einen Vorteig an. | |
Päppeln? Das klingt ein bisschen so, als ob der Sauerteig ein Kind wäre. | |
Wenn man mich hört, dann könnte man schnell auf den Vergleich kommen. So | |
ein Teig ist gefräßig. Die Mikroorganismen wollen immer Wasser, Mehl und | |
sie lieben bestimmte Temperaturen. Und der Bäcker will, dass manche | |
Bakterien die Oberhand behalten und außerdem ein gewisses Maß an Essig- und | |
Milchsäuren, die der Sauerteig neben dem zum Treiben wichtigen Kohlendioxid | |
produziert. Ich teile mir mit meinem Sauerteig die Wohnung. | |
Die Wohnung? | |
Er ist die Mutter für all die Sauerteige in der Backstube. Jetzt im Winter, | |
wenn die tagsüber abkühlt, nehme ich ihn mit. Und in der Wohnung verlangt | |
er nach einem speziellen Platz. Da bring ich ihn dann hin. Eigentlich bin | |
ich nur das Anhängsel. Ich nenne mich zwar Freibäcker, aber in der | |
Beziehung zu meinem Sauerteig bin ich ganz unfrei. | |
Er begleitet Sie auch auf Reisen? | |
Ja sicher. Und auch schon mal ins Kino, wenn ich keinen Babysitter finde, | |
der die Temperatur kontrollieren kann. In der Regel weiß ich zwar, wie der | |
Sauerteig sich entwickelt. Aber das ist ein emergentes System. | |
Ein was? | |
Etwas, das plötzlich über sich hinauswachsen kann. Kurz: Der Sauerteig | |
macht gern mal, was er will. Wie die Mikroorganismen sich verhalten – da | |
passiert noch immer Unerklärliches. Eigentlich freut mich das. Ich | |
bezweifele, dass da jemand genau durchsteigt. | |
Das klingt wirklich, als wäre der Sauerteig viel mehr als nur eine Zutat. | |
Er ist mehr als ein Rohstoff und auch mehr als die Summe seiner Zutaten. | |
Für mich hat das etwas Sinnstiftendes. Es ist eine Freundschaft. Ich und | |
mein Sauerteig reifen gemeinsam. | |
Dann hat er sicher auch einen Namen. | |
Friendship Sourdough. Und zwar, weil ich immer Sauerteige von Reisen | |
mitbringe. Außerdem haben Freunde und Kollegen aus aller Welt auch immer | |
Kulturen als Geschenk dabei. Weil ich nicht alle parallel pflegen kann, | |
gebe ich die Kulturen meist zu meinem Friendship Sourdough. Dort können sie | |
dann gemeinsame Sache machen. | |
Der Sauerteig findet immer mehr Freunde, auch unter Hobbybäckern. | |
Wunderbar. Das hebt das Urteilsvermögen. Wer sein Brot einmal selbst | |
gebacken hat, wird sich sehr wahrscheinlich auf die Suche nach gutem Brot | |
machen. | |
Aber deshalb ist Sauerteig nicht das Nonplusultra für jedes Brot? | |
Ganz und gar nicht. Nehmen Sie zum Beispiel das Baguette. Vor ein paar | |
Jahren sind in Frankreich viele Handwerksbäcker auf die Idee gekommen, | |
dafür Sauerteig zu verwenden, um sich von der Industrie abzusetzen. Wer | |
„artisanal“, handwerklich, auf sein Schild schreiben wollte, machte | |
„Baguette au levain“, also mit Sauerteig. So kann der Mensch von einem | |
Extrem ins andere fallen. Sauerteig ist bei einem Baguette fataler als bei | |
einem Roggenbrot, vor allem wenn ihm die Qualität fehlt. Denn Weißmehl hat | |
keine Substanz, um die Säure geschmacklich abzupuffern. Das Ergebnis ist | |
dann oft ein für meinen Geschmack zu saures Weißbrot. Es ist leider relativ | |
unkontrolliert, was mit Sauerteig passiert. | |
Wie meinen Sie das? | |
Na ja, es ist so: Wilde Hefen sind überall in der Luft. Und die freuen sich | |
auf ein Süppchen aus Mehl und Wasser. So wie auf Apfelsaft: Der beginnt mit | |
der Zeit auch zu gären. Irgendwann blubbert es. Dann hat man die Vorstufe | |
zu einem Sauerteig. Aber das hat mit Reife noch nichts zu tun. Kann sein, | |
dass der nur säuert, aber nicht treibt. Auf diesen „Umschlag“ in der | |
Qualität kommt es mir an. | |
Und wie drückt sich das aus? | |
Neben dem Aufgehen beispielsweise im Geschmack: Durch den Sauerteig | |
entsteht im Brot ein herzhaftes Aroma. Gelegentlich kann das aber auch | |
schiefgehen. Dann bekommt man unangenehme Säurespitzen. Interessant ist | |
auch das Phänomen der Haltbarkeit: Ein Bäcker kann ein Brot genauso backen | |
wie ein anderer, was Geschmack und Aussehen betrifft, aber das eine | |
schimmelt früher. Sauerteig ist eben nie gleich Sauerteig. | |
Haben deutsche Bäcker dafür mehr Verständnis als französische? | |
Hier ist die Kultur schon anders. Deutschland ist ein Roggen- und | |
Sauerteigland. Roggen kann ohne Säure nicht gebacken werden, sonst bleibt | |
das Brot im Inneren glitschig und teigig. Aber über die Qualität sagt das | |
wenig aus. Auf die wird bis heute nicht wirklich geachtet. Möglich gemacht | |
haben das vor allem die Säurepulver und Hefen aus der Industrie, die man | |
mit dem eigenen Sauerteig dem Brot zusetzen kann. Dann hat der Bäcker einen | |
willenlosen, kontrollierbaren Sauerteig. | |
Braucht ein Sauerteig, um wirklich gut zu sein, ein bestimmtes Alter? | |
Nein, ein Sauerteig braucht Reife. In der richtigen Umgebung angesetzt, wie | |
bei mir in der Bäckerei, hat man schon nach wenigen Wochen einen Teig, der | |
ähnliche Ergebnisse bringt wie mein alter Freund. | |
Wenn man mit Ihnen spricht, kann man das Gefühl bekommen, Brot ist eine | |
Wissenschaft. | |
Eigentlich würde es sich lohnen, über jedes einzelne Brot ein Buch zu | |
schreiben. Aber wer will so was lesen? Mein Tipp: Weniger über Brot lesen. | |
Wer ein paar Mal von Hand einen Teig knetet, erfährt viel mehr. | |
Warum nennen Sie sich Freibäcker? | |
Das ist anarchistisch gedacht. Ich bin selten gewillt, mich etwas anderem | |
als meinem Sauerteig unterzuordnen. Mir ist einfach die hochgradige | |
Abhängigkeit vieler Bäcker aufgestoßen. Von dem Kapitaldienst bei den | |
Banken, von der Werbung, die sie machen, von den Backmitteln und Mehltypen. | |
Davon bin ich einigermaßen frei. Ich kaufe das Getreide direkt vom | |
Biobauern, mahle es selbst oder lasse es mahlen. Mein Müller sagt immer, | |
das Mehl könnte er so keinem anderen Bäcker verkaufen. Bäcker mögen ihr | |
Mehl normalerweise so wie voriges und vorvoriges Jahr. Sie wollen sich | |
keinen Kopf darüber machen, ob es sich verändert. Ich will das. Ich freue | |
mich schon darauf, was die nächste Ernte bringt. | |
Gab es Freibäcker nicht auch schon mal im Mittelalter? | |
Das habe ich später auch erfahren. Es waren Bäcker, die die Hansestädte | |
damals den Zunftbäckern entgegengestellt haben, wenn es Preisabsprachen gab | |
oder mindere Qualität. Es war ein früher Verbraucherschutz. Ich sehe das | |
auch so. Weil ich eine Alternative biete. | |
1 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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