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# taz.de -- Verschwendung beim Bäcker: Brot für den Mülleimer
> Große Mengen von Lebensmitteln landen nicht im Mund, sondern in der
> Tonne. Forscher aus Münster zeigen: Die Industrie könnte mehr dagegen
> tun.
Bild: Zu lecker für die Mülltonne.
KÖLN taz | Zur „Happy Hour“ bei der Münchener Hofpfisterei gibt es
Gehaltvolles zum kleinen Preis: dunkles Bauernbrot, Sonnenblumenvollkorn-
oder Schwabenlaib. Mit der Aktion kurz vor Ladenschluss will die
Bäckereikette ihre Ware vor der Mülltonne bewahren – laut Schätzungen das
Schicksal von jedem fünften Brot.
Doch so handeln nicht alle Bäckereien: Nach einer bisher unveröffentlichten
Studie der Fachhochschule (FH) Münster bleiben teils enorme Mengen Brot und
Kuchen zurück: In den Filialen von sechs untersuchten Bäckereiketten
blieben in einer Messwoche durchschnittlich 2,7 Tonnen an Backwaren übrig –
im Schnitt zehn Prozent der Ware. Überprüft haben die Forscher regionale,
unterschiedlich große Ketten, die zwischen zwei und 40 Filialen haben.
Viele der unverkauften Waren landen im Müll.
Dabei sind Strategien gegen die Verschwendung oft verblüffend einfach, wie
Experten jetzt auf einer Tagung an der Fachhochschule Münster gezeigt
haben. Guido Ritter, Professor für Lebensmittelrecht und -sensorik an der
FH Münster, hat sich die sechs Bäckereiketten mit Kollegen genauer
angeschaut. Und festgestellt, dass sie sich vorwiegend auf die Qualität
konzentrieren, aber grundlegende Zahlen nicht im Blick haben: „Sie backen
gute Brote, sammeln aber keine Zahlen darüber, wie viele davon in der
Auslage liegen bleiben.“ Dabei liegt der Warenwert, den die Firmen durch
nicht verkauftes Brot verlieren, im Schnitt bei fast 16.000 Euro pro Woche.
Mit besserer Planung, etwa mehr Kommunikation zwischen Backstube und
Filialen, müssten weniger Schrippen & Co weggeworfen werden, so die
Wissenschaftler. Auch ein genauer Blick auf kommende Feiertage und das
Wetter könne beim Abschätzen der Produktionsmenge helfen: Bei Regen gehen
die Verkäufe insgesamt zurück. Wenn es warm wird, verkauft sich die
Sahneschnitte schlechter.
Eine nicht-repräsentative Umfrage der Wissenschaftler unter 500 Menschen
ergab zudem, dass fast alle auch Brot vom Vortag kaufen würden – das wird
aber oft nicht angeboten. Schade, findet Ritter: „Teils schmeckt das Brot
am zweiten Tag sogar noch besser als am ersten, zum Beispiel Roggenbrot.
Das weiß der Kunde aber nicht. Er ist an Convenienceprodukte und ein
Überflussangebot gewöhnt.“
## Backbranche sieht Verantwortung bei Kunden
Daher sieht die Backbranche die Verantwortung auch bei den Kunden: „Der
Verbraucher hat wenig Verständnis dafür, wenn nicht jede Ware jederzeit
frisch angeboten wird, auch abends, kurz vor Ladenschluss“, sagt Peter
Becker, Präsident des Zentralverbands des Bäckerhandwerks. Die Branche
müsse daher mit Warenrückläufen von bis zu zehn Prozent kalkulieren. Er
gesteht aber: „Eine bessere Planung ist eine kleine Stellschraube.“
Sparen könnten Firmen nach einer weiteren Studie der FH Münster auch in
Betriebskantinen mit Büfett. In fünf untersuchten Großküchen wurde im
Schnitt ein Fünftel aller Speisen entsorgt statt gegessen. Zu viel Essen
liege etwa in der Ausgabe. Auch nehmen sich die Gäste häufig größere
Portionen, als sie letztlich aufessen. Bessere Absprachen zwischen Küche,
Spülpersonal und Essensausgabe könnten das ändern, so die Forscher. Und
kleinere Teller – zur Mäßigung der Kunden.
Die Bundesregierung denkt derweil nicht über konkrete Schritte nach, um die
Unternehmen zu besserer Planung zu drängen: Sie „setzt bei ihren Maßnahmen
zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung nicht auf rechtlich
verbindliche Ge- oder Verbote“, heißt es in der Antwort auf eine kleine
Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion von Mitte Oktober. Stattdessen:
Information, Aufklärungsaktionen, freiwillige Vereinbarungen.
„Postkarten und Schau-Kochaktionen allein lösen das Problem nicht“,
kritisiert die verbraucherpolitische Sprecherin der
Grünen-Bundestagsfraktion, Nicole Maisch. Dabei plant die EU bereits eine
geänderte Abfall-Richtlinie, die einen Zielwert für die
Lebensmittelverschwendung enthalten soll: Bis 2025 soll die Menge um 30
Prozent sinken.
Immerhin: Einzelne Betriebe gehen voran. Der Klinikkonzern Vivantes hat es
nach eigenen Angaben geschafft, seine Abfälle bei der Versorgung von
Patienten in einem Jahr um zehn Prozent zu mindern. Durch die „Happy Hour“
der Hofpfisterei in München hat sich die Zahl der nicht verkauften Brote
laut Firma halbiert. Auch ein Restbrotladen gehört zum Konzept. Was gar
nicht mehr verkauft werden kann, bekommt ein Ökobauer – damit wenigstens
die Schweine satt werden.
21 Nov 2014
## AUTOREN
Moritz Schröder
## TAGS
Brot
Lebensmittel
Ernährung
Bäcker
Nahrungsmittel
Vegetarismus
Einzelhandel
Ernährung
Gastronomie
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