# taz.de -- Transgender mit Leib und Seele: Die dunkle Seite der Hexendichterin | |
> Die Tweets der Autorin J.K.Rowling dazu, was echte Frauen ausmacht, | |
> bescheren der neuen taz.berlin-Kolumnistin Michaela Dudley | |
> Hitzewallungen. | |
Bild: Unbeliebt bei trans*Personen: Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling | |
„Ich bin eine Frau ohne Menstruationshintergrund, aber in der Regel mit | |
Herzblut“, so heißt es in einem aus meiner Feder stammenden Chanson. Als | |
Kleinkünstlerin singe ich es im Brustton tiefer Überzeugung. Sogar eine | |
ganze Oktave tiefer als einige erwarten. Es entspringt dem Tal, das wir | |
meinetwegen gerne als „Silicon Valley“ etikettieren dürfen, und ich bin | |
nicht darauf bedacht, es gleichsam in meinem Busen zu verschließen. | |
Denn ich bin eine trans* Frau. Keine Travestie-Darstellerin, wohl bemerkt. | |
Bei mir handelt es sich also nicht etwa um die theatralische Karikatur, | |
sondern um tatsächliche Charaktereigenschaften. Denn selbst im Alltag lebe | |
ich als Transgender-Person, und zwar mit Leib und Seele. | |
Dabei stehe ich dazu, dass ich vor 59 Jahren gewissermaßen mit dem dritten | |
Standbein auf die Welt gekommen bin. Über diese biologische Begebenheit bin | |
ich selber gestolpert und landete zeitweilig in einer Sackgasse voller | |
Schamgefühle. Doch ich bin längst aus dem Schrank der Heimlichtuerei | |
herausgekommen. Für mich ist es mittlerweile das Natürlichste, das Leben in | |
Eigenregie zu gestalten und zu genießen. | |
Allerdings sieht J. K. Rowling es ganz anders. Die Hexendichterin macht | |
erneut einen Besenritt, und zwar im transphoben Tiefflugmodus. Schon im | |
Sommer sorgte sie für Empörung, als ihre Tweets zum Thema Monatsblutungen | |
das Internet durchströmten. Es ließ mich nicht kalt. Ich verspürte sogar | |
eine Hitzewallung, die nicht auf die Hormonersatztherapie zurückzuführen | |
war. | |
Die in Edinburgh wohnende Literatin macht es zu ihrer Aufgabe, an der Tür | |
zur Damentoilette zu stehen und den Menschen unter den Rock zu gucken. | |
Spannend. Aber was tragen seit Jahrhunderten selbst die „echten Kerle“ in | |
Schottland? Röcke. Ungeachtet dessen setzte sie ihr Gezwitscher fort und | |
erklärte, nur wer mit einer Vulva geboren werde, könne sich als Frau | |
bezeichnen. | |
„Böses Blut“ hat sie nun dazu erzeugt. Buchstäblich. So heißt der deutsc… | |
Titel ihres jüngsten Romans „Troubled Blood“, ihres fünften Werkes um den | |
Privatdetektiv Cormoran Strike. Darin soll Strike einen aus den 1970er | |
Jahren stammenden Cold Case lösen. Spoiler-Alarm: Ein Serientäter | |
verkleidet sich als Frau, foltert seine weiblichen Opfer zu Tode und | |
schlüpft anschließend zum Onanieren in ihre Unterwäsche. Das hat bei | |
Rowling System. Bereits in „Seidenspinner“, dem zweiten Buch derselben | |
Reihe, wäre der Held beinahe von einer trans* Frau erstochen worden. | |
Es ist evident, dass die Harry-Potter-Erfinderin eine fetischartige | |
Faszination mit „Cross Dressers“ hat. Dabei bedient sie üble Stereotypen, | |
wonach trans* Frauen nichts als geistig instabile, gewalttätige und sich | |
auf der Damentoilette aufgeilende Männer in Weiberklamotten seien, von | |
denen Cis-Frauen, Kinder und die heteronormative Weltordnung existenziell | |
bedroht seien. | |
Doch damit nicht genug. Rowling veröffentlicht ihre Krimis unter dem | |
Pseudonym Robert Galbraith. Weshalb ist das merkwürdig? Tatsächlich gab es | |
einst einen Nervenarzt namens Robert Galbraith Heath (1915–1999), der als | |
Vorreiter der Konversionstherapie versuchte, Homosexuelle mittels | |
Elektroschocks zu heilen. Zufall? | |
In einer Demokratie ist die Würde des Menschen, nolens volens, unten | |
antastbar. Selbstverständlich hat auch J. K. Rowling das Recht, ihre Bücher | |
nach eigenem Belieben zu verfassen. Für mich als Kabarettistin, | |
Journalistin und gelernte Juristin ist die Meinungsfreiheit ein hohes, | |
heiliges Gut. Doch was spräche gegen eine Meinungsverantwortung? | |
Fakt ist, wenn Rowling ihre Twitter-Traktate veröffentlicht, steigen die | |
Chancen, dass eine weitere Transgender-Person irgendwo auf der Welt nicht | |
nur dem Misgendern, „dead-naming“ genannt, sondern auch dem Mord zum Opfer | |
fallen wird. So gesehen ist die Cancel Culture eine nachvollziehbare | |
Reaktion auf Rowling. Es geht nicht um Zensur, sondern um eine | |
Sensibilisierung dafür, dass auch die „verfassungskonforme Hetze“ | |
verheerende Konsequenzen haben kann. | |
27 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Michaela Dudley | |
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