Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kneipen und Kultur wieder dicht: Berlin, du bist so verwundbar
> Künstler:innen haben eine Wut im Bauch – und der Magen knurrt. Zwischen
> Panik und Pandemie stecken, findet ein Artensterben statt.
Bild: Geht den großen wie den kleinen Bühnen in Berlin und anderswo so
Licht aus, Vorhang runter. Hier in der Hauptstadt steppt der Bär eben
nicht. Corona hat auch ihn auf dem falschen Fuß erwischt, an der
Achillesferse sogar. Und mit ihm kommt eine ganze Zunft aus dem Takt. Es
herrscht Shutdown mit Lampenfieber. Ki. Keiner weiß so richtig, wann und
wie es weitergeht. Aber wir wissen, dass es nicht so weitergehen kann. Wir,
nämlich diejenigen, die zu den freischaffenden Künstler:innen dieser
Metropole zählen, tappen im Dunkeln und fühlen sich im Stich gelassen. Die
nun wieder verschärften Corona-Schutzmaßnahmen drohen uns den Boden unter
den Füßen völlig wegzuziehen.
Hals- und Beinbruch, wie es so schön heißt, eine selbstironische
Verballhornung des jüdischen Spruches Hatslokhe un Brokhe für „Erfolg und
Segen“. Die nun wieder verschärften Corona-Schutzmaßnahmen drohen uns
allerdings das Genick zu brechen und uns den Boden unter den Füßen völlig
wegzuziehen. Der Boden ist die Bühne, die Bretter, die vermeintlich die
Welt bedeuten.
Aber was für eine Bedeutung haben sie für diese Metropole, die sich gern
Weltstadt schimpft? Berliner Künstler:innen haben eine Wut im Bauch – und
der Magen knurrt. Während wir zwischen Panik und Pandemie stecken, findet
ein Artensterben statt.
Wie bei allen schwerwiegenden Entwicklungen ist natürlich
Anpassungsfähigkeit angesagt. Ich trage eine Maske. Die
Mund-Nasen-Bedeckung ist Pflicht und ja eine Frage der Rücksicht. Wiederum
vermisse ich die Maske in anderer Hinsicht. Die Requisite für das
Rampenlicht. Die Räumlichkeit, in der eine Visagistin mir vor und nach
meinen Kabarettgigs bei der „Denkmalpflege“ hilft …
## So gewöhnungsbedürftig
Ich weiche möglichst auf die virtuellen Bühnen aus, wohl anerkennend, dass
ein echter Green Screen heutzutage zur essenziellen Grundversorgung zählt.
Vor dem Hintergrund, vielmehr vor wechselnden Kulissen, mache ich mein
Kabarett und meine Keynotes weiter, so gewöhnungsbedürftig die räumlichen
und akustischen Einschränkungen auch sind.
Nicht minder frustrierend ist es, den verringerten Gagen von bereits
absolvierten Gigs hinterherzulaufen. Selbst renommierte Auftraggeber:innen
müssen wir wegen offener Rechnungen zur Rechenschaft ziehen, was Zeit und
Nerven kostet. Die Mitarbeiter:innen der Buchhaltung befinden sich im
Homeoffice, einem Zustand, den sie freilich als Urlaub mit Lohnfortzahlung
betrachten.
Mit Glück erreicht man sie doch am Telefon, allerdings während sie an der
Kasse einer Drogerie stehen. Sie müssen nicht aufstocken, vom
Toilettenpapier abgesehen. Wegen Corona und auch deshalb, weil sie so viel
Mist erzählen. Datenschutz, Computerprobleme. Man solle sich in Geduld üben
und, so nebenbei empfohlen, über Rücklagen verfügen.
Rücklagen? Selbst eine frisch ausgebildete Opernsängerin verdient in guten
Zeiten jährlich 9.000 Euro. Wie soll bei dem niedrigen Gehalt etwas auf die
hohe Kante gelegt werden? Sind Balletttänzer:innen und Filmemacher:innen
weniger systemrelevant als Bankkaufleute und Finanzbeamt:nnen?
## In Selbstquarantäne
Niemand muss mich von der letalen Natur Coronas überzeugen. Sie ist alles
andere als eine herkömmliche, saisonale Grippe. Gute Bekannte von Mailand
bis nach Manhattan haben nicht weniger als vier Tote durch die Pandemie zu
beklagen, die weltweit mehr als eine Million Menschenleben auf dem Gewissen
hat. Zwei Berliner Freund:innen, eine davon eine Medizinerin, wurden
positiv getestet.
Im Frühjahr war ich in Selbstquarantäne, als ich es auf der Plauze hatte,
bis sich herausstellte, dass ich lediglich von einer schweren Bronchitis
heimgesucht wurde. Nächstes Jahr soll ich sechzig werden, ich zähle schon
zur Risikogruppe für Covid-19.
Zur Erklärung: Covid ist kurz für Corona Virus Disease. Und die Zahl „19“
entspricht dem IQ des typischen Coronaleugners. Von den selbsternannten
„Querdenkenden“ halte ich also herzlich wenig, und auch als eingefleischte
Veganerin stehe ich nicht auf pflanzliche Reichsbürger, ob mit oder ohne
Pommes.
Allerdings scheint Jazztrompeter Till Brönner mit seinem viralen Video
genau den richtigen Ton getroffen zu haben. Chapeau! Es ist #AlarmstufeRot.
Man kann Covid bekämpfen und gleichzeitig das Überleben des vielschichtigen
Künstlermilieus solidarisch garantieren. Kunst ist kein Luxus, sondern eine
Lebensnotwendigkeit, die hoffen lässt, unterhält, informiert und sogar
heilt. Eine Gesellschaft, die dies nicht würdigt, bleibt verwundbar.
8 Nov 2020
## AUTOREN
Michaela Dudley
## TAGS
Kolumne Frau ohne Menstruationshintergrund
Lockdown
Kultur in Berlin
Kolumne Frau ohne Menstruationshintergrund
Schwerpunkt Coronavirus
Mieten
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Kolumne Frau ohne Menstruationshintergrund
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Frau ohne Menstruationshintergrund: Zukunftsmus(i)k: Elons Elan
Tesla-Chef Elon Musk traf den „großartigen Kerl“ (Musk) Armin Laschet
(CDU): Die wollen was voneinander, vermutet Kolumnistin Michaela Dudley.
Ärmel hochkrempeln zum Wohle aller: Das Virus und die Verantwortung
Gerne aufs Schärfste kritisieren, meint unsere Autorin. Dezidiert, aber
bitte differenziert, solidarisch und eventuell sogar mit Lösungsansätzen.
Wohnungsnot in Berlin: Noch keine Herdenimmunität
Inkonsequent und ambivalent ist Berlin bei seiner Politik gegen
Mietsteigerungen und Wohnungsnot. Sogar New York macht's besser!
Die steile These: Streitet mehr über Coronaregeln!
Wer die aktuellen Maßnahmen kritisiert, gilt schnell als Coronaleugner.
Nicht Gegenvorschläge verunsichern, sondern die Einseitigkeit der Debatte.
Aktuelle Entwicklungen in der Coronakrise: Fast 20.000 Neuinfektionen
Nie wurden an einem einzelnen Tag in Deutschland so viele Neu-Infizierte
gemeldet. In den medizinischen Laboren stauen sich inzwischen wieder viele
Tests.
Aktuelle Entwicklungen in der Coronakrise: Merkel verteidigt Teil-Lockdown
Seit Montagmorgen sind neue, scharfe Coronaregeln in Kraft. Angela Merkel
mahnt, sich an die Vorgaben zu halten. Annegret Kramp-Karrenbauer ist in
Quarantäne.
Transgender mit Leib und Seele: Die dunkle Seite der Hexendichterin
Die Tweets der Autorin J.K.Rowling dazu, was echte Frauen ausmacht,
bescheren der neuen taz.berlin-Kolumnistin Michaela Dudley Hitzewallungen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.