| # taz.de -- Sogenannte Clan-Kriminalität: 213 Tatverdächtige in Berlin | |
| > Wer zu vermeintlich kriminellen Clans gezählt wird, unterscheidet sich | |
| > stark von Bundesland zu Bundesland. Und die Kategorien sind höchst | |
| > umstritten. | |
| Bild: Fett im Geschäft: Der Tabak- und Alkohol-Laden „Razzia“ auf der Herm… | |
| BERLIN taz | Die jüngste Razzia gegen die sogenannte „Clan-Kriminalität“ … | |
| Berlin ist erst wenige Tage alt. Die Razzia davor ist nicht viel länger | |
| her. Denn fast wöchentlich begeben sich Dutzende Berliner Polizist*innen in | |
| verschiedene Bezirke, sperren Straßen ab und [1][durchsuchen Shisha-Bars], | |
| Wettbüros oder Privatwohnungen, in denen Aktivitäten im Umfeld dieser | |
| „Clan-Kriminalität“ vermutet werden. | |
| Oft sind Ordnungs- und Finanzämter, Steuerfahndung, Lokalpolitiker*innen | |
| und ein Medientross anwesend. So erzählt zum Beispiel der Neuköllner | |
| Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) regelmäßig vor Kameras von seiner | |
| „Null Toleranz Politik“. Die Botschaft: Der Staat duldet kein Vergehen – | |
| egal wie klein es sein mag – aus den entsprechenden Milieus. Die | |
| Beamt*innen finden tatsächlich manchmal Schusswaffen oder harte Drogen – | |
| manchmal aber auch nur [2][unverzollten Shisha-Tabak, importierte | |
| Getränkedosen ohne Pfand oder weniger]. Einige Journalist*innen verfassen | |
| dennoch jedes Mal vage gehaltene Artikel, die sich wie Pressemeldungen der | |
| Polizei lesen. | |
| Zwei bisher unveröffentlichte Anfragen der Linken-Abgeordneten Anne Helm | |
| und Niklas Schrader, die der taz vorliegen, liefern nun Fakten aus der | |
| Senatsverwaltung für Inneres. Demnach wurden seit August 2019 in der | |
| Hauptstadt insgesamt 213 Personen als Tatverdächtige mit Clan-Bezug | |
| gezählt, darunter 16 Minderjährige. 38 weitere Personen wurden dem | |
| erweiterten Umfeld zugeordnet. Zum Vergleich: Im ländlich geprägten | |
| Niedersachsen wurden im Laufe des vergangenen Jahres 1.646 Beschuldigte mit | |
| Clan-Bezug gezählt. Woher kommt diese statistische Diskrepanz? | |
| Um eine Erklärung dafür zu finden, muss eine andere Frage gestellt werden: | |
| Wie wird überhaupt gezählt? In der Antwort der Senatsverwaltung heißt es: | |
| Für die Erstellung der Statistik „erfolgt durch die Polizei Berlin eine | |
| umfangreiche Einzelfallprüfung anhand der Definition Clankriminalität.“ | |
| Diese Definition umfasse eine „Ausrichtung auf patriarchalisch-hierarchisch | |
| geprägte Familienstruktur“, „eine mangelnde Integrationsbereitschaft“, o… | |
| „das Provozieren von Eskalationen“. | |
| Fokus auf die Herkunft | |
| Für Schrader, Sprecher für Innenpolitik der Linksfraktion im | |
| Abgeordnetenhaus, stellt die Statistik selbst ein Grundproblem dar: „Ich | |
| halte es für mehr als bedenklich, wenn die Polizei durch diese Art der | |
| Datenerfassung ihren Fokus auf die Herkunft und auf die | |
| Familienzugehörigkeit legt“, sagt er. Die Statistik leiste Stigmatisierung | |
| und rassistischer Diskriminierung Vorschub. „Kriminalistisch relevant ist | |
| der Bezug zu Straftaten und sonst nichts.“ In der rot-rot-grünen Koalition | |
| sorgt das Thema für Diskussionen. | |
| Ist die Zahl 213 eher hoch oder eher niedrig? Ist sie verhältnismäßig mit | |
| Blick auf die „Null Toleranz Politik“, die vor allem Berliner | |
| SPD-Politiker*innen vorantreiben? | |
| Auch hier ist ein Blick auf die Erhebungsmethodik wichtig, um einzelne – | |
| vor allem urban geprägte – Regionen in Deutschland vergleichen zu können. | |
| Vier Bundesländer definieren sich als Zentren der „Clan-Kriminalität“: | |
| Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin. Die jeweiligen | |
| Innenminister würden beim Thema gerne enger kooperieren – dem stehen | |
| unterschiedliche Zählweisen und Ermittlungsstrategien in den jeweiligen | |
| Bundesländern im Weg. | |
| ## Niedersachsen geht nach Namen | |
| In Niedersachsen schauen die Sicherheitsbehörden vor allem auf den | |
| [3][Familiennamen einer tatverdächtigen Person]. Das Landeskriminalamt | |
| Niedersachsen hat eine Liste mit Nachnamen definiert, die auf eine | |
| vermeintliche Zugehörigkeit zu einem Clan hindeuten sollen. Das heißt: | |
| Kommt jemand mit dem „falschen Namen“ irgendwie in Berührung mit der | |
| Polizei, landet die Person fast automatisch in der [4][Niedersächsischen | |
| Clan-Statistik]. | |
| Einen Schritt über die Landesgrenze sieht es schon anders aus: In Bremen | |
| konzentrieren sich die Behörden laut eigenen Angaben auf 50 bis 100 | |
| Individuen, um die Ermittlungen mehr zu fokussieren. Zumindest Quantitativ | |
| sieht es dort so aus wie in Berlin. Schrader vermutet trotz der Beteuerung | |
| des Senats, Einzelfallprüfungen durchzuführen, dass auch in der Hauptstadt | |
| „allein der falsche Name ausreichen kann, um in den polizeilichen Fokus zu | |
| geraten.“ | |
| In Berlin braucht es – zumindest offiziell – für eine Aufnahme in die | |
| Clan-Statistik einen triftigen Grund. Die Hürden sind auf Papier hoch: In | |
| Deutschland ist die Erhebung ethnischer Merkmale aus historischen Gründen | |
| umstritten. Die deutsche Geschichte lehrt, dass die systematische | |
| Datenerhebung der Ethnie egal in welchem Kontext durchaus in einer | |
| ultimativen Katastrophe münden kann. [5][Einige Innenminister setzen sich | |
| über diese Bedenken hinweg]. | |
| In Berlin wacht laut Senatsverwaltung zusätzlich die Datenschutzbeauftragte | |
| über die Clan-Statistik. Die Verarbeitung der Daten unterliege „erhöhten | |
| Anforderungen“ und müsse „verhältnismäßig“ sein. Die Senatsverwaltung | |
| stellt aber auch fest: Ob die Voraussetzungen für die | |
| Datenschutzrichtlinien „im Einzelfall erfüllt sind, entscheidet die | |
| Polizei“. | |
| 27 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Grossrazzien-in-Berlin-Neukoelln/!5587218 | |
| [2] /Jahresbilanz-zur-Clankriminalitaet/!5686726 | |
| [3] https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-05/diskriminierung-clan-kriminalitaet… | |
| [4] /Niedersachsens-Lagebild-Clankriminalitaet/!5689787 | |
| [5] /Muslimfeindlichkeit-in-Debatte-um-Clans/!5656623 | |
| ## AUTOREN | |
| Mohamed Amjahid | |
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