# taz.de -- Rechtsextremismus bei der Polizei: Von allem nichts gewusst | |
> Über Nazisymbole bei der Polizei gibt sich NRW-Innenminister Herbert Reul | |
> geschockt. Dabei bedient er selbst das Klischee des „kriminellen | |
> Migranten“. | |
Bild: Wie konnte das nur passieren? Herbert Reul gibt sich überrumpelt | |
Im [1][Skandal um rechtsextreme Polizist*innen] fährt Nordrhein-Westfalens | |
CDU-Innenminister Herbert Reul gerade sein typisches | |
Krisenbewältigungsprogramm ab: Hakenkreuze, Hitler-Bilder, Darstellungen | |
eines Geflüchteten in einer Gaskammer werden in Chats von mindestens 29 | |
Beamt*innen der zur Polizeidirektion Essen gehörenden Wache in Mülheim an | |
der Ruhr gefunden. Reul zeigt sich prompt geschockt, entsetzt, spart nicht | |
an starken Worten: Die „widerwärtigste Hetze“ sei „eine Schande für die | |
NRW-Polizei“, beteuert der 68-Jährige. | |
„Ja, ihr müsst zusammenhalten, ihr müsst euch auf aufeinander verlassen in | |
Notlagen. Aber umgekehrt, ihr habt alle einen Eid geschworen, euch an die | |
Gesetze und an die Verfassung zu halten. Und wenn ein Kollege das nicht | |
macht, müsst ihr das melden, das ist genauso eure Pflicht“, sagte Reul in | |
einem WDR2-Interview am Donnerstagmorgen, den 17. September. | |
Auf die Frage, warum die fünf rechtsextremen Chatgruppen nicht schon früher | |
in den Dienststellen der Polizei aufgefallen seien und welche Erklärung er | |
dafür habe, sagte Reul: „Im Moment keine richtige, wenn ich ehrlich bin.“ | |
Es gebe Erklärungsversuche. „Ich glaube, dass zu oft noch Polizisten | |
meinen, sie müssten durch Kameradschaft alles decken“, meinte Reul. | |
Wie schon im [2][Skandal um den massiven Kindesmissbrauch in Lügde], wo 155 | |
DVDs mit Beweisen einfach aus der Asservatenkammer der Polizei | |
verschwanden, verspricht der einstige Studienrat schonungslose Aufklärung | |
durch Sonderermittler. Der Mann aus Leichlingen bei Köln bedient damit sein | |
seit Jahren gepflegtes Image: Hart, aber gerecht will Reul erscheinen – als | |
Innenminister, der Gesetze verteidigt und durchsetzt und dem seine | |
Wähler*innen gerade deshalb vertrauen können. | |
## Copyright auf den Begriff „Clankriminalität“ | |
Dieses Image ist wichtig für die gesamte Landesregierung. Weil | |
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet vielen in der CDU als zu liberal gilt, | |
soll der Politprofi Reul, als ehemaliger Landtagsabgeordneter, | |
Generalsekretär der nordrhein-westfälischen Christdemokraten und | |
Europaparlamentarier seit 35 Jahren im Geschäft, die rechte Flanke seiner | |
Partei gegen die AfD abdecken. | |
Im Kampf um den von [3][Braunkohlebaggern bedrohten Hambacher Wald] machte | |
Reul unter den Besetzern deshalb „Chaoten und Gewaltbereite aus ganz | |
Europa“ aus. Im Herbst 2018 ließ der Konservative, der mit seiner Frau | |
Gundula drei erwachsene Töchter hat, die Baumhäuser der Klimaschützer*innen | |
durch tausende Polizisten [4][mit Gewalt für den Braunkohlekonzern RWE | |
räumen] – heute rühmt sich sein Chef Laschet, den Hambacher Wald „gerette… | |
zu haben. | |
Keine Rücksicht nimmt Reul auch in der Integrationspolitik. Der Hardliner | |
hat das Copyright auf den Begriff „Clankriminalität“, den er in die | |
politische Debatte gebracht hat. Gegen „Clans“ von Migrant*innen, die das | |
Gewaltmonopol des Staates infrage stellten, gehe er als Erster offen vor, | |
wirbt Nordrhein-Westfalens Innenminister für sich – und stärkt so | |
unausgesprochen das Bild des „kriminellen Ausländers“. | |
Denn Reul irritiert immer wieder mit pauschalisierenden, ganze | |
Bevölkerungsgruppen diskriminierenden Sprüchen: „Wenn wir die türkischen | |
Mitbürgerinnen und Mitbürger angucken, dann haben wir Kriminalitätsprobleme | |
bei der dritten Generation“, erklärte er noch am 15. September im ZDF in | |
der Talkshow von Markus Lanz – einen Tag vor Aufdeckung des Skandals um die | |
rechtsextremen Beamt*innen der Polizeidirektion Essen. | |
## Andere wussten es schon lange | |
Dabei hätte Reul gewarnt sein können: Seit Jahren weisen antirassistische | |
Initiativen wie das „Bündnis Essen stellt sich quer“ (Essq) darauf hin, | |
dass Teile der dortigen Polizei ganz offensichtlich mit rechtsradikalen | |
Bürgerwehren wie den „Steeler Jungs“ sympathisieren. Mehrfach gab es | |
Vorwürfe, Essener Polizist*innen seien mit exzessiver Gewalt gegen | |
Migrant*innen vorgegangen. Essq-Sprecher kritisierten schon im März, Reuls | |
Strategie der „1.000 Nadelstiche“, die sich in erster Linie gegen | |
Migrat*innen-Treffpunkte wie Shisha-Bars richte, führe nicht nur in Essen | |
zu „institutionellem Rassismus“ und „Racial Profiling“. | |
Essens Polizeipräsident Frank Richter, der acht Jahre lang nichts von den | |
rechtsradikalen Chats seiner Beamt*innen mitbekommen haben will, reagierte | |
prompt – mit einer Beleidigungsklage gegen die Initiative. Ähnlich | |
unschuldig dürfte sich auch Reul heute geben: Gegen 13 Uhr will er im | |
Landtag eine Erklärung zu den Hakenkreuzen und Hitler-Bildern seiner | |
Polizist*innen abgeben. Dass er selbst kräftig am Klischee des „kriminellen | |
Migranten“ mitzeichnet, dürfte er dabei nicht einmal erwähnen. | |
17 Sep 2020 | |
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[2] /Sexueller-Kindesmissbrauch/!5667507 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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