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# taz.de -- Rechtsextreme Polizisten-Chatgruppen: Außer Kontrolle
> Wenn wir ernst nehmen, was uns beigebracht wurde, dann betreffen die
> Nazis in der Polizei uns alle. Das muss die Lehre nach NRW sein.
Bild: Kommissaranwärter:innen der Polizei NRW bei ihrer Vereidigungsfeier 2020
Das offizielle Deutschland tut schockiert. Mal wieder. Am Mittwoch wurde
bekannt, dass in Nordrhein-Westfalen [1][fünf rechtsextreme Chatgruppen
aufgedeckt wurden], an denen 29 Polizist:innen beteiligt gewesen sein
sollen. Das Bundesinnenministerium bezeichnet die Berichte als
„alarmierend“, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist „fassungslos“, …
Vorgang mache ihn „sprachlos“.
Das ist nicht gut: Denn wann, wenn nicht jetzt, müssen die Verantwortlichen
endlich mal klare Worte wählen. Für Sprachlosigkeit ist es zu spät.
Polizist:innen sympathisieren mit Reichsbürger:innen, wie bekannte Fälle
aus Berlin und Bayern zeigen. Sie ziehen, wie in Hamburg oder Hessen, Daten
von Antifaschist:innen von Polizeicomputern. Eben diese
Antifaschist:innen bekommen dann Drohbriefe, die unterschrieben sind mit
NSU 2.0. Innerhalb der Behörden existieren rechtsextreme Netzwerke, wie
2018 in Frankfurt am Main aufgedeckt wurde. Menschen, wie Aristeidis L.
oder [2][Oury Jalloh sterben in Polizeigewahrsam], bis heute sind die Fälle
nicht vollständig aufgeklärt.
Diese Liste könnte um ein Vielfaches erweitert werden. Doch sie kann auch
deswegen nur unvollständig sein, weil klar ist, dass wir nur einen
Bruchteil der rechtsextremen Strukturen innerhalb der Polizei kennen. Es
ist nur die Spitze des Eisbergs, den wir sehen. Doch die Spitze ist schon
so enorm, dass sich jede:r schämen sollte, der heute noch von Einzelfällen
spricht.
## Es hat noch nie gereicht
Nach dem Bekanntwerden der rechtsextremen Chatgruppen warnt nun BKA-Chef
Holger Münch vor einem Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden. Doch
Sorgen sollte man sich eher um diejenigen machen, die ihr Vertrauen in die
Polizei noch nicht verloren haben. Denn die fühlen sich von einer von
rechts durchdrungenen Polizei scheinbar nicht betroffen. Sie sprechen von
Einzelfällen, zeigen sich empört und fordern: Lasst uns den Betroffenen
zuhören. Doch das reicht nicht mehr – und gereicht hat es eigentlich noch
nie.
Klar ist, dass Menschen, die von Rassismus, Antisemitismus oder
Antiziganismus, Homo-, Trans- oder Frauenfeindlichkeit betroffen sind, die
Ersten sind, die rechtsextreme Polizeigewalt zu spüren bekommen. Doch sie
erzählen seit Jahrzehnten von ihren Erfahrungen. Es verändert sich aber
nicht. Doch wenn Polizist:innen Bilder von Hakenkreuzen und Reichsflaggen,
von Geflüchteten in Gaskammern, von Polizist:innen, die auf einen Schwarzen
Jungen zielen, teilen, Bilder, die der NRW-Verfassungsschutz als
„Hardcore-Rechtsextremisten-Material“ klassifiziert – dann sind wir alle
betroffen.
Wir – das sind die Nachfolgegenerationen der Nazis. Die Antifaschist:innen,
also alle, die sich als Demokrat:innen verstehen. Unsere Verantwortung ist
es – so haben es uns die Geschichtsbücher, Schulen und unsere Eltern
beigebracht –, dass die Geschichte sich nicht wiederholt.
In NRW wurden nun die 29 verdächtigen Polizist:innen suspendiert, eine
Sonderkommission wurde eingerichtet und Reul kündigte eine radikale
Aufklärung „bis ins kleinste Detail“ an. Das sind gute erste Schritte, doch
sie werden nicht ausreichen. Denn Strukturen, die Rassismus und andere
gewaltvolle Diskriminierungsformen verhindern, [3][fehlen im deutschen
Sicherheitsapparat komplett.]
Damit sich daran etwas ändert, darf die Polizei sich nicht mehr selbst
kontrollieren. Dass diese Selbstkontrolle nicht ausreicht, zeigt sich auch
darin, dass die rechtsextremen Chatgruppen nur zufällig entdeckt wurden.
Stattdessen braucht es systematische Untersuchungen, es braucht
Unabhängige, die in der Polizei ermitteln, ein Durchbrechen des Korpsgeists
und der Cop Culture und dass Menschen, die die Polizei kritisieren, nicht
niedergemacht und bedroht werden. Wir sind es, die dafür sorgen müssen,
dass es nicht noch ein „wieder mal“ gibt, sondern dass „nie wieder“ die
Maxime ist.
17 Sep 2020
## LINKS
[1] /Polizeiskandal-in-NRW/!5714629
[2] /Aufklaerung-im-Fall-Oury-Jalloh/!5694175
[3] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Rechtsextremismus
Polizei NRW
Herbert Reul
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Polizei Schleswig-Holstein
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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Kolumne Habibitus
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