# taz.de -- Sauberes Wasser weltweit: Der Kampf um Zugang für alle | |
> Vor zehn Jahren erklärten die UN den Zugang zu Wasser zum Menschenrecht. | |
> In Zeiten von Corona und Klimawandel ist das schwer umzusetzen. | |
Bild: Nicht sehr sauber: das Wasser aus dem Viktoriasee in Uganda | |
BERLIN taz | Wenn sich die Weltgemeinschaft nun in diesen Tagen virtuell | |
zur Generalversammlung der Vereinten Nationen trifft, wird auf der Agenda | |
auch der Name Léo Heller zu finden sein. Der Brasilianer ist seit 2014 | |
Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und | |
Sanitärversorgung und wird wie immer auf dem Treffen der Staaten Auskunft | |
geben. | |
Die Vereinten Nationen hatten sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung | |
schon im Jahr 2010 mit einer Resolution als Menschenrecht anerkannt. Nun | |
also hat die Resolution ihr Zehnjähriges – aber kann einem wirklich zum | |
Feiern zumute sein? | |
2,2 von etwa 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde haben laut Unicef | |
[1][keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser.] Mehr als der Hälfte der | |
Bevölkerung, also 4,2 Milliarden Menschen, mangelt es an sicherer | |
Sanitärversorgung, 3 Milliarden Menschen fehlen immer noch einfache | |
Handwaschmöglichkeiten mit Wasser und Seife – diese „entsetzlichen Zahlen�… | |
teilte Heller zum Jubiläum im Juli. | |
Unsägliche Zustände in einer Pandemie. So konnten sich etwa auch die | |
Menschen im [2][gerade abgebrannten Flüchtlingscamp Moria] auf Lesbos von | |
Anfang an schlechter gegen Corona schützen – Wegen völlig überbelegter | |
Infrastruktur konnten sie die einfachste Hygieneregel, das häufige | |
Händewaschen, nicht befolgen. | |
## Weltweiter Wasserkonsum steigt | |
Also gar kein Fortschritt bei den Menschenrechten? Den sehen | |
Expert*innen schon – aber es dauert. Die Resolution sieht Forscherin | |
Jenny Grönwall vom Stockholm Water Institute trotzdem als „bahnbrechend“ an | |
– denn unter anderem legte der UN-Menschenrechtsrat kurze Zeit danach | |
ebenfalls dar, dass das Recht auf Wasser Teil des existierenden | |
internationalen Rechts sei. „Das Ergebnis ist, dass Regierungen der | |
UN-Mitgliedsländer, die den UN-Sozialpakt unterzeichnet haben, nun | |
verpflichtet sind, das Recht auf Wasser zu verwirklichen“, so Grönwall. | |
Und UN-Berichterstatter Heller, der sich immerhin zwei Amtszeiten lang | |
damit beschäftigte? „Etwas Fortschritt“ sieht der schon und gibt am Telefon | |
auch Beispiele: „Nach der Annahme der Resolution haben einige Länder diese | |
Rechte in ihre Verfassung übernommen“, sagt Heller. „Einige, nicht allzu | |
viele, vielleicht 15. Aber das war ein großer Erfolg, weil es die Gerichte | |
daran bindet.“ Überdies hätten Staaten die betreffenden Rechte auch teils | |
in nationale Gesetze übertragen. Aber vielerorts könnten die Menschen die | |
Rechte nicht einklagen. | |
Dabei ist die Wasserversorgung in jeglicher Hinsicht ein drängendes Thema. | |
Der weltweite Verbrauch wächst stetig. Nach Angaben des diesjährigen | |
Unesco-Weltwasserberichts hat er sich in den vergangenen 100 Jahren | |
versechsfacht – und pro Jahr steigt er um etwa 1 Prozent an. Das liegt an | |
der wachsenden Weltbevölkerung, die mit einer zunehmenden Verstädterung | |
einhergeht. Aber auch daran, dass sich der Konsum der Menschen und der | |
Wirtschaft verändert hat. | |
Gleichzeitig sorgt der Klimawandel mit Dürren, Hitzewellen und anderen | |
Wetterextremen für eine höchst unsichere Versorgungslage. Schon jetzt | |
leiden nach Angaben des Reports 4 Milliarden Menschen pro Jahr mindestens | |
einen Monat lang unter heftiger Wasserknappheit. Das World Resources | |
Institute hat 2019 die 17 Länder ausgemacht, die am stärksten unter | |
Wasserknappheit leiden, darunter viele Staaten im Nahen Osten und | |
Nordafrika wie Israel, Libanon und Libyen. Auf Platz 16 steht Indien, das | |
mit seinen 1,3 Milliarden Menschen nach China das bevölkerungsreichste Land | |
ist. | |
## Nitrat im Grundwasser durch Landwirtschaft | |
Ob es auch in Zukunft genug Wasser für alle Menschen geben wird, „die Frage | |
kann man ganz schnell und sehr direkt mit Ja beantworten, zumindest wenn | |
wir die globale Brille aufsetzen“, sagt der Wasserexperte Dietrich | |
Borchardt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). | |
Grundsätzlich sei bei dem zu erwartenden Bevölkerungszuwachs eigentlich | |
genug Süßwasser auf der Welt vorhanden – auch um ausreichend Lebensmittel | |
zu produzieren. Allerdings sei es „nicht überall gleich verteilt. Und wir | |
haben eben auch Menschen dort wohnen und wir sehen Bevölkerungswachstum in | |
Regionen, die nicht über das notwendige Wasser regional verfügen.“ | |
Oft ist das Wasser für den täglichen Verbrauch und für die Landwirtschaft | |
nicht sauber genug. Teils habe es natürliche Gründe, wenn Gewässer | |
versalzen seien, teils belaste zum Beispiel die Landwirtschaft das | |
Grundwasser mit hohen Nitratwerten, wie etwa in Niedersachsen. | |
Die Wasserqualität ist ein großes Problem, weiß Borchardt. Gerade in den | |
Schwellen- und Entwicklungsländern seien in der Vergangenheit zwar die | |
Menschen mit Trinkwasser durch Brunnen und andere Quellen versorgt worden – | |
allerdings sei dabei nicht an die Abwasserströme gedacht worden. Die Ströme | |
würden vielleicht noch abgeleitet, „aber was weit hinterherhinkt, ist dann | |
der Kläranlagenbau“, sagt Borchardt. | |
Wo vielleicht im Oberlauf eines Flusses 100.000 Menschen nun über | |
Sanitäranlagen verfügten, könne es auf der anderen Seite sein, dass mehrere | |
hunderttausend Menschen stromabwärts plötzlich mit verschmutztem Wasser | |
umgehen müssen. Borchardt nennt das den „Rebound-Effekt“. | |
## Horte der Artenvielfalt | |
„Das haben die Vereinten Nationen übersehen, das hat die | |
Entwicklungspolitik übersehen, das ist in den Staaten selbst übersehen | |
worden“, sagt Borchardt. Im Auftrag der UN-Umweltorganisation hat er | |
deshalb mit Kolleg*innen an einer Vorstudie zu einer Beurteilung der | |
Wasserqualität weltweit gearbeitet. | |
„Die Ergebnisse dieser Studie haben dann zu einer UN-Resolution geführt, | |
die dann die UN-Umweltversammlung vor zwei Jahren beschlossen hat – nämlich | |
bis zum Jahr 2025 genau dieses Problem auf der UN-Agenda durchzuarbeiten, | |
eine Problemanalyse zu machen, Lösungsoptionen zu entwickeln und nach | |
Prioritäten vorzugehen.“ | |
Die Wasserqualität ist indessen nicht nur für die menschliche Gesundheit | |
wichtig. Denn Gewässer sind Horte der Biodiversität. „Fakt ist, dass | |
Süßwasser, Flüsse, Seen, sogar das Grundwasser, proportional sehr viel mehr | |
Biodiversität aufweisen, als es Land-Ökosysteme oder auch die Meere tun“, | |
sagt Borchardt. | |
Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und | |
Entwicklung hat [3][2017 eine Wasserstrategie veröffentlicht] mit dem Ziel, | |
„das Engagement im Wasserbereich eng an der Agenda 2030 und an den | |
Menschenrechten auf Wasser und Sanitärversorgung auszurichten“. | |
Doch obwohl Deutschland ein wichtiger Geber im Wassersektor ist, waren | |
zugleich zuvor [4][weniger Entwicklungsgelder in den Bereich geflossen]. | |
Wissenschaftlerin Annabelle Houdret vom Deutschen Institut für | |
Entwicklungspolitik, die den Geldfluss untersucht hat, kommt es so vor, als | |
sei nicht mehr genügend politischer Druck da. „Zwischen 2010 und 2016 haben | |
die deutschen Zusagen um ein Viertel abgenommen“, bemängelt sie. | |
## Mit Krach auf die politische Agenda | |
Wichtig sei auch, „wer wie viel Wasser zu welchen Bedingungen bekommt“, so | |
Houdret. Dabei kommt ins Spiel, was in der Entwicklungspolitik „governance“ | |
genannt wird – im Deutschen wird das unter anderem mit „Regierungsführung�… | |
übersetzt. | |
„Wenn Sie zum Beispiel Gelder bereitstellen, um Wasser in der | |
Landwirtschaft besser einzusetzen, mit Tröpfchenbewässerung und so weiter | |
und dann haben aber nur die reichen Bauern Zugang dazu – dann verschärft | |
das den Wassermangel für die Kleinbauern natürlich“, erklärt die | |
Wissenschaftlerin. „Und wenn es unzureichende Governance gibt, dann wird | |
dieses Wasser genutzt von den großen Bauern, um einfach ihre bewässerten | |
Flächen auszudehnen, und nicht um Wasser wirklich einzusparen, was dem | |
Grundwassersystem und der Natur zugutekäme.“ | |
Könnte sich das Problem der mangelnden Finanzierung genau jetzt ändern – | |
nun, wo die Pandemie den Regierungen weltweit das Thema Wasserversorgung | |
noch einmal mit Krach auf die Agenda geschubst hat? | |
Nun ja. Wissenschaftlerin Houdret sagt, einerseits sei das Thema so | |
„natürlich höher auf der politischen Agenda, weil wenn man keine Hände | |
waschen kann, kann man auch die Virusausbreitung nicht stoppen.“ | |
Andererseits ist die ökonomische Situation der Geberländer durch | |
Corona-Lockdowns und andere Konsequenzen der Pandemie schlechter geworden. | |
Schwer zu sagen, wie sich das auf lange Sicht auf den Geldfluss auswirke, | |
so Houdret. | |
## UN Water hat zu wenig Macht | |
Viele Länder seien auch in puncto Wasserqualität an einem „Scheideweg“, | |
sagt UFZ-Forscher Borchardt. Er hat mit seinen Kolleg*innen | |
herausgefunden, dass in „Lateinamerika, Afrika und Asien noch ungefähr zwei | |
Drittel der Gewässer, der Fließgewässer vor allen Dingen, eine sehr gute | |
Wasserqualität haben.“ Diese intakten Ressourcen gelte es jetzt zu schützen | |
– von Seiten der betreffenden Länder, aber auch mithilfe der | |
internationalen Geberstaaten. | |
In den Vereinten Nationen ist das Thema einerseits sehr präsent, | |
schließlich reicht es vom persönlichen Bedarf des Einzelnen über die | |
Landwirtschaft und die Energieversorgung in äußerst viele Lebensbereiche | |
hinein. Weil Wasser überall drin steckt, gibt es auch die Einheit UN Water, | |
die die Arbeit der Unterorganisationen koordinieren soll. | |
Doch sie hat eben wenig Macht. „Wasser ist bei den Vereinten Nationen | |
leider in über 30 Unterorganisationen präsent – UN Water, die das | |
eigentlich bündeln sollten, die haben kein politisches Mandat dafür“, | |
beklagt Houdret. Sie wünscht sich eine übergeordnete Struktur, die „auf | |
hochrangiger Ebene die Mitgliedstaaten vertritt.“ | |
UN-Sonderberichterstatter Léo Heller ist seinem Amt gemäß zurückhaltend. Er | |
lobt UN Water als „wichtigen Mechanismus“, auch wenn es „noch nicht genug… | |
sei. Die Menschenrechte sauberes Wasser und Sanitärversorgung im Besonderen | |
bekommen jedenfalls auch in der Pandemie keine Extrawurst bei der | |
UN-Generalversammlung. Heller wird, wie jedes Jahr, einen Zeitslot haben, | |
über die Privatisierung im Wassersektor und ihre Risiken für die | |
Menschenrechte sprechen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. | |
17 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/weltwassertag-2020-zehn-fa… | |
[2] /Nach-dem-Brand-im-Fluechtlingscamp/!5711019 | |
[3] https://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/strategiepapiere/Strat… | |
[4] https://blogs.die-gdi.de/2017/08/24/wasser-marsch/ | |
## AUTOREN | |
Eva Oer | |
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