| # taz.de -- Klang am Weltwassertag: Blubbern, knattern, heulen | |
| > Manche behaupten, Wasser könne sprechen. Für unseren Autor tut es das nur | |
| > durch seinen elektrischen Wasserkocher. Eine Klangreise. | |
| Bild: Echoraum für das Wasser: Kocher | |
| Das Wasser spricht zu uns“, sagen die Feinhörigen. Ich interviewte 2018 | |
| einen Hersteller von heilkräftigendem „Wunderwasser“ (den Erfinder von | |
| „Bionade“ in Ostheim), habe aber nichts verstanden. Zu mir spricht das | |
| Wasser bloß durch elektrische Wasserkocher: Nicht nur, dass es darin schon | |
| gleich nach dem Einschalten, wenn auch noch leise, anfängt zu „reden“, man | |
| hört auch hin, achtet darauf, was es zu sagen hat, auch wenn es falsch wäre | |
| zu meinen, dass das Wasser im Kocher uns direkt anspricht. Das tut es | |
| nicht, obwohl es das eigentlich soll (um uns akustisch den Stand seiner | |
| Erhitzung mitzuteilen). | |
| Das Wasser im Kocher pfeift, heult wie starke Winde, zischt, murmelt, | |
| knattert vorübergehend, rhythmisiert gelegentlich sogar seine Äußerungen. | |
| Dann klingt es wie ein Lied. Ein Blubbern, das immer tiefer wird, nicht | |
| gleitend, sondern in Sprüngen. Da weiß man dann, als geübter Nutzer von wer | |
| weiß wie vielen Kochern, dass das Wasser gleich siedet, das heißt auf | |
| Meereshöhe (Normalnull) 100 Grad erreicht ([1][auf dem Mount Everest] ist | |
| der Luftdruck dagegen so gering, dass das Wasser schon bei 70 Grad siedet | |
| und dann nur noch verdunstet; damit lässt sich kein Tee kochen). | |
| Es ist natürlich das Wasser, das spricht. Der Kocher ist nur sein Echoraum, | |
| der allerdings das Wasser von unten her in geräuschvolle Wallung bringt. | |
| Das ist seine Aufgabe. Und wie schnell er dabei versagt: Manche | |
| Wasserkocher halten nur einige Monate, die billigen. | |
| Wenn das Wasser spricht, dann individualisiert der Kocher die Töne, denn | |
| jeder klingt anders beim Erhitzen des Wassers, je nach Material. Manche | |
| klappern sogar mit dem Deckel, kurz bevor das Wasser in ihnen kocht. Das | |
| macht die Luft, die aus dem sich erhitzenden Wasser nach oben entweicht, | |
| sie löst ihre molekulare Verbindung mit ihm. | |
| ## Geteiltes Wasser | |
| Stellt man den Wasserkocher unter eine Vakuumglocke und saugt die Luft | |
| darunter ab, fängt das Wasser an zu kochen, ohne heiß zu werden. Bei jeder | |
| Temperatur hat das Wasser einen bestimmten Dampfdruck. Liegt dieser über | |
| dem Luftdruck (wie im Vakuum), siedet das Wasser, wobei es | |
| irritierenderweise sogar kälter wird. Noch ungeklärt ist, warum heißes | |
| Wasser, wenn man es bei großer Kälte ausschüttet, schneller gefriert als | |
| kaltes. Die heißen Tropfen rieseln als Eisregen runter. | |
| Wasser hat ja die wunderbare Eigenschaft, alles zu beseelen – ohne Wasser | |
| kein Leben, weswegen auch nicht das Meer die Mutter symbolisiert, sondern | |
| die Mutter das Meer. Und dann kommt es auch noch in flüssiger, gasförmiger | |
| und fester Form vor, wobei es sich im Gegensatz zu allem Übrigen bei Kälte, | |
| als Eis, ausdehnt. Für den Wasserkocher ist das gefrorene Wasser kein | |
| Thema, wohl aber das gasförmige, das beim Erhitzen auf den Deckel drückt | |
| und aus der Tülle entweicht – und zwar rhythmisch, insofern das | |
| verdampfende Wasser pulsierend nach oben schwallt. | |
| Wahrscheinlich ist es auch nicht unwichtig bei der Wassersprache, woher es | |
| kommt. In Berlin hatten wir vier Wasser zur Verfügung: Die vier Alliierten | |
| hatten in ihren vier Sektoren unterschiedliche Reinheitsgebote für das | |
| Brauchwasser eingeführt. Das im amerikanischen Sektor war am meisten | |
| gechlort, das im sowjetischen Sektor am wenigsten. Alle Berliner Wasser | |
| argumentierten jedoch durchweg kalkhaltig, wenn man so sagen darf. Die | |
| Wasserwerke sagen es so: Das hiesige Wasser enthalte „wertvolle | |
| Mineralien“, sein „Charakter ist eher hart. Was salopp als ‚kalkhaltig‘ | |
| bezeichnet wird. Für den Menschen ist das gut, aber nicht für | |
| Kaffeemaschinen, Geschirrspüler und Wasserkocher.“ | |
| ## Wassertrend Filteranlage | |
| Der Kalk gehörte einst zum Leben im hiesigen Wasser. Der Berliner | |
| Mikropaläontologe Christian Gottfried Ehrenberg entdeckte 1848, dass der | |
| Boden hier aus Kieselgur – den Resten winziger hartschaliger Tierchen | |
| (Radiolarien) – besteht. Die Hausbesitzer wollten daraufhin entsetzt | |
| wissen, ob damit nicht die Gefahr bestünde, dass sich ihre Häuser | |
| davonbewegen könnten. Ehrenberg beruhigte sie: „Das tun die so vorsichtig, | |
| dass Sie nicht begreifen, warum Ihr Haus eines Morgens an der Elbe steht.“ | |
| Ansonsten ist das Berliner Wasser laut den Wasserwerken „naturbelassen und | |
| muss nicht gechlort werden“. Es enthält jedoch immer mehr Sulfatanteile | |
| (über das gesundheitlich bedenkenlose Maß hinaus) – aus den Lausitzer | |
| Tagebauen, deren Wasser die Spree speist, die wiederum die städtischen | |
| Brunnen füllt, weswegen die Politiker in Brandenburg und Berlin derzeit | |
| „Sulfatgespräche“ führen. Ihnen hat das Kompetenzzentrum Wasser Berlin | |
| bereits zur „Aufbereitung von Grundwässern mit erhöhtem Sulfatgehalt“ | |
| mehrere „innovative Optionen“ vorgelegt. Daneben sind auch noch die | |
| Zuflüsse an Eisen ein Problem: Beides macht das Trinkwasser „braun und | |
| salzig“, wie die Initiative „Kohleausstieg Berlin“ kritisiert, die den | |
| Braunkohle-Tagebaukonzern Vattenfall dafür haftbar machen will (deren | |
| „Grubenwasserkläranlagen“, die das Eisen mit „Fällungsmitteln“ rausfi… | |
| anscheinend nicht reichen). | |
| Eine Weile war es hier im ernährungsbewussten Juste Milieu Mode, sich für | |
| die Küche eigene kleine Filteranlagen anzuschaffen. Einige ihrer Besitzer | |
| behaupten, dass das gefilterte Leitungswasser im Wasserkocher „schöner | |
| klingt als das ungefilterte aus dem Hahn“. Tatsache ist, dass die neuen | |
| elektrischen Wasserkocher mit eingebautem Kalkfilter anders sprechen als | |
| die alten mit externem Filter. | |
| ## Für den richtigen Teegeschmack | |
| Vor allem macht es jedoch einen großen (sprachlichen) Unterschied, ob der | |
| Wasserkocher ganz oder nur halb voll Wasser ist, denn je größer der | |
| Echoraum, desto lauter und klarer werden die Töne des sich erhitzenden | |
| Wassers. Wenn sehr wenig Wasser im Kocher ist, spricht es in Knallern. | |
| Diese hat der Wissenschaftsjournalist Norbert Lossau in einem Welt-Artikel | |
| erklärt: Da der Wasserkocher „von unten erhitzt wird, erreicht das Wasser | |
| am Boden zuerst Temperaturen am Siedepunkt. Irgendwann reicht die Energie | |
| aus, um kleine Gasbläschen aus Wasserdampf entstehen zu lassen, die nach | |
| oben steigen, wo es noch kalt ist. Im kühleren Wasser kondensiert der Dampf | |
| der Bläschen schlagartig. Bei dieser Implosion wird Schall erzeugt.“ | |
| Je mehr Bläschen implodieren, desto lauter werden die Geräusche, was bei | |
| wenig Wasser im Kocher schnell der Fall ist. Aber irgendwann implodieren | |
| sie nicht mehr, dann „herrscht Ruhe“, nach einer Weile wird es aber richtig | |
| laut, der Autor spricht von einem „Crescendo“. Es hört sich unangenehm an, | |
| zum Glück stellt sich der Wasserkocher dann schnell mit einem lauten Klack | |
| aus. Gegebenenfalls erfolgt auch ein schriller, noch unangenehmerer | |
| Pfeifton – für alle, die einen Wasserkessel auf dem Herd erhitzen, der eine | |
| Pfeife auf der Tülle hat, welche durch den Dampfdruck laut wird. | |
| Auf das Klack, mit dem sich der Wasserkocher ausstellt, folgt ein dumpfes | |
| Blubbern, das langsam abebbt, bis zur völligen Stille. Auch schön. Aber | |
| wenn man zum Beispiel Teewasser heiß macht, hat man jedes Mal, wenn der | |
| Wasserkocher schweigt, das Gefühl, dass man zu lange mit dem Aufbrühen | |
| gewartet hat, denn eigentlich soll man den Tee mit blubbernd kochendem | |
| Wasser aufgießen – und nicht mit stillem Wasser. Man soll es jedoch nicht | |
| erneut oder gar mehrmals aufkochen, weil jedes Mal der im Wasser gebundene | |
| Sauerstoff entweicht, der aber für den Teegeschmack wichtig ist, wie mir | |
| eine Nordfriesin versicherte. | |
| ## Sauberes Trinkwasser | |
| Ob sauerstoffreiches Wasser anders durch den Wasserkocher zu uns spricht | |
| als sauerstoffarmes, kann man nur vermuten. Der Merve-Verlag | |
| veröffentlichte 1973 ein Manifest von zwei französischen Physikern, die | |
| ihren Wissenschaftskollegen rieten: Hört auf mit der unsinnigen und | |
| sauteuren Suche nach dem kleinsten Teilchen, widmet euch lieber der Küche, | |
| wo fast alle Vorgänge noch physikalisch ungeklärt sind, selbst das Kochen | |
| des Wassers. Das haben sich inzwischen einige zu Herzen genommen, erwähnt | |
| sei die Grazer Naturwissenschaftlerin Silke Meier und ihre Diplomarbeit | |
| „Kulinarische Physik“. | |
| Ein anderes Problem, chemisch-biologischer Art, ist [2][krank machendes | |
| „unsauberes Wasser“], das Millionen Menschen immer noch zum Kochen | |
| benutzen. Daran erinnert an jedem 22. März der „Weltwassertag“ – heute. | |
| 22 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bergsteiger-am-Mount-Everest/!5597868 | |
| [2] /Sauberes-Wasser-weltweit/!5709864 | |
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| Helmut Höge | |
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