| # taz.de -- Mit Toiletten(papier) die Welt retten: Gold das Klo runterspülen | |
| > Die Nachfrage nach Toilettenpapier zieht schon wieder an. Ein gute | |
| > Gelegenheit, mit den Rollen Botschaften zu übermitteln. Etwa: „Klos für | |
| > alle“. | |
| Bild: Das Produkt: Toilettenpapier mit Botschaft | |
| Berlin taz | Um die Story seines Sozialunternehmens zu erzählen, holt Malte | |
| Schremmer weit aus: Anfang des 20. Jahrhunderts weht der Gestank von | |
| Fäkalien durch die Straßen Kiels, erzählt er. Dieser kommt aus Kübeln, in | |
| denen die Menschen das in ihren Plumpsklos Aufgefangene vor die Haustüre | |
| stellen. Sie heißen Goldeimer, denn eine Firma produziert aus dem | |
| Abfallprodukt lukrativen Dünger. Aber der erste Weltkrieg lässt sie pleite | |
| gehen – zu wenig Nährstoffe in der Ausscheidungen der ausgezehrten | |
| Bevölkerung. Inzwischen haben sich – zumindest in den Industrieländern – | |
| Wasserklosetts durchgesetzt. Aber Goldeimer gibt es wieder: Es ist der Name | |
| eines Unternehmens, das Schremmer 2014 mit 4 Kumpeln gegründet hat. | |
| „Die Idee in Kiel war super, die wollen wir neu beleben“, sagt er. Studiert | |
| hat Schremmer in Kiel; wenn er für Goldeimer unterwegs ist, stellt er sich | |
| als „Chief Shit Advisor“ vor. Die Firma stellt Komposttoiletten auf | |
| Festivals bereit und verkauft soziales Recyclingklopapier. Das heißt: Ein | |
| Teil der Gewinne fließt in Aufklärungsarbeit an Schulen, Seminar und die | |
| Unterstützung von Sanitärprojekten von Viva con Agua und der | |
| Welthungerhilfe weltweit. Der Jahresumsatz 2019 des gesamten Unternehmens | |
| betrug nach eigenen Angaben rund 1 Million Euro, 9 Leute teilen sich 7,4 | |
| Stellen, hinzu kommen etliche ehrenamtliche Mitarbeitende. | |
| Im laufenden Jahr könnte Goldeimer noch mehr Toilettenpapier verkauft | |
| haben: Der Hamsterei zu Beginn der Pandemie, als die Regale bei den | |
| Discountern leer waren, folgt angesichts drohender erneuter Einschränkungen | |
| wegen Corona aktuell wieder eine erhöhte Nachfrage nach dem Hygieneartikel, | |
| berichtet die Wirtschaftswoche. | |
| Laut Schremmer steht das Geld aber nicht im Vordergrund. Goldeimer will so | |
| viel wie möglich aufrütteln. Deshalb tragen die Klopapier-Verpackungen und | |
| -Rollen tragen Slogans wie „Nur hinsetzen und Abwietschen? Von wegen“ oder | |
| „Alle für Klos! Klos für Alle!“. | |
| ## Soziales Toilettenpapier mit Öko-Siegel | |
| Das Goldeimer-Team wolle darauf aufmerksam machen, [1][dass sanitäre | |
| Anlagen kein weltweiter Standard sind], dass viele Menschen vor allem im | |
| globalen Süden ganz ohne Toilette auskommen müssen und ihre Notdurft im | |
| Freien verrichten, dass es [2][Probleme mit der Trennung von Abwässern und | |
| Trinkwasser gib]t. Mit der Folge, dass vor allem Kinder Durchfälle | |
| bekommen, krank werden, nicht zur Schule gehen können oder gar sterben. „Da | |
| braucht es mehr Aufmerksamkeit und Sensibilisierung, damit sich was | |
| ändert“, so Schremmer. „Erst wenn die Leute nicht mehr die Nase rümpfen, | |
| kann man die eigentlichen Probleme lösen.“ Tatsächlich sei „unser Stuhlga… | |
| das wertvollste, was wir haben“, sagt er pathetisch. Er werde viel zu wenig | |
| genutzt. | |
| Das Goldeimer-Papier, das auf die Wasser- und Sanitätskrise aufmerksam | |
| machen soll, sei selbstverständlich aus Recyclingpapier, so Schremmer. Wie | |
| etwa 20 Prozent des Klopapiers in Deutschland trägt es das Umweltzeichen | |
| Blauer Engel. Neben diesem bekannten Siegel gibt es zwar auch noch das | |
| Forest Stewarship Council-Siegel (FSC) für nachhaltige Waldwirtschaft und | |
| auch ein FSC-Recycling-Siegel. Doch deren Umweltstandards seien geringer | |
| und während der Coronakrise zusätzlich gesenkt worden, schreibt die | |
| Umweltorganisation Robin Wood: Demnach dürften Produkte, die laut Label zu | |
| 100 Prozent aus recycelten Fasern bestehen müssen, vorübergehend bis knapp | |
| zur Hälfte Primärfasern aus Bäumen enthalten. | |
| Das ist keine Erbsenzählerei. Denn die Papierherstellung ist nicht ohne. | |
| Sie benötige zusätzlich zu Holz „viel Wasser, Energie und Chemikalien“, | |
| sagt Almut Reichart vom Umweltbundesamt (UBA). Für ein Kilogramm neues | |
| Klopapier, werden 50 Liter Wasser und fünf Kilowattstunden Energie | |
| gebraucht, bei Recyclingpapier ist es halb so viel Energie, kein frisches | |
| Holz und 70 Prozent weniger Wasser. Toilettenpapier kann aber aus | |
| hygienischen Gründen selbst nicht recycelt werden. Deshalb empfiehlt das | |
| UBA, Hygienepapiere aus mehrfach recycelten Sekundärfasern mittlerer und | |
| unterer Altpapierqualitäten zu verwenden. Das Toilettenpapier, das | |
| Goldeimer verkauft, wird übrigens von der Firma Wega hergestellt. | |
| ## Hauptgeschäft Kompostklos | |
| Von Goldeimer selbst stammen die rund 80 Kompostklos, mit denen das | |
| Unternehmens über Festivals touren kann, wenn nicht gerade coronabedingte | |
| Einschränkungen herrschen. Solche dezentralen, trockenen Systeme brauche es | |
| auch gerade in Ländern, wo Wasser knapp ist und Spültoiletten nicht in | |
| Frage kommen, erklärt Schremmer. | |
| Er ist überzeugt, dass die Kompostierung von Kot auch helfen könne, die | |
| Pariser Klimaziele einzuhalten: „Humus bindet sehr viel Kohlenstoff.“ | |
| Kompostiere man den Stuhlgang eines Menschen, ergebe das im Jahr etwa 60 | |
| Kilogramm Humus. Dieser darf in Deutschland allerdings nicht verkauft | |
| werden – Humus aus menschlichem Kot taucht nicht in der Positiv-Liste der | |
| Stoffe auf, die die Düngemittelverordnung zum Düngen freigibt. Ein Ziel von | |
| Goldeimer ist es, das zu ändern. Der erste Schritt dazu ist es, möglichst | |
| valide Daten über diesen Humus zu sammeln. Man wolle beweisen, dass „ohne | |
| Wasser gesammelte menschliche Fäkalien, durch entsprechende Kompostierung | |
| oder auch andere Verfahren, wunderbar hygienisiert werden“ können, heißt es | |
| auf der Webseite. Gemeinsam mit anderen Firmen der Branche führt Goldeimer | |
| deshalb auf Basis von Sondergenehmigungen wissenschaftlich begleitete | |
| Kompostierversuche durch. | |
| Bis menschliche Fäkalien die Äcker düngen, dürfte es aber „noch lange | |
| dauern“, so Schremmer. | |
| 14 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mareike Andert | |
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