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# taz.de -- Tod durch verschmutztes Wasser: Helfen, wo es nottut
> Pro Jahr sterben 780.000 Menschen an verschmutztem Wasser, sagt Stefan
> Reuter von der Bremer Organisation Borda – und ruft zum Spenden auf.
Bild: Fäkalien einsammeln rettet Leben: Mit einfachen Mitteln ist in Tansania …
Bremen taz | Die reiche westliche Welt kann sich in pandemischen Zeiten wie
diesen über sauberes Trinkwasser, sterilisierte Quarantäne-Stationen, das
Funktionieren von Müllentsorgung und Abwassersystemen freuen.
Gleichberechtigt exportiert worden sind diese Segnungen aber nie.
Vielmehr hat sich die Kluft zu den armen Ländern auch diesbezüglich
gravierend vergrößert. Global lebten derzeit immer noch 4,5 Milliarden
Erdenbürger, also etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung, ohne hygienische
Sanitärversorgung, so dass tödliche Krankheiten entstehen können, wie
Cholera und Diarrhö, behauptet Stefan Reuter, Leiter Strategische
Partnerschaften bei dem gemeinnützigen Verein Borda – Kurzwort für Bremen
Overseas Research an Development Association.
„780.000 Menschen sterben jährlich an verschmutztem Wasser und keiner
berichtet darüber“, sagt Reuter. „Das sind so viele, als ob täglich vier
vollbesetzte Jumbo-Jets abstürzen würden.“ Und zehnmal mehr als in Kriegen
oder durch Naturkatastrophen getötet werden. Borda kooperiert daher
weltweit mit Akteuren vor Ort in Sachen Hilfe-zur-Selbsthilfe. Mit ihnen
entwickeln und etablieren Borda-Mitarbeiter neue Systeme zur Wasserver- und
-entsorgung.
Vor 43 Jahren wurde die Organisation mit dem Bremer Schlüssel im Logo
gegründet. Die Zentrale residiert immer noch am Bremer Weserdeich mit Blick
auf die Bierflaschengebirge der Becks-Brauerei. Jetzt hat die
Nichtregierungsorganisation eine Spendenaktion gestartet. Aufgerufen wird
zur Übernahme von „Patenschaften für Betreiberpartnerschaften in der
Sanitärversorgung“. Vorerst geht es um Projekte in Daressalam, mit knapp
sechs Millionen Einwohnern die größte Stadt Tansanias.
Eine immer noch funktionierende, in der Kolonialzeit von deutschen
Besatzern gebaute Kanalisation gebe es im wohlhabenden Zentrum der
Metropole, so Reuter, „davon profitieren aber nur drei Prozent der
Bevölkerung“. In den Stadtrandgebieten, informellen Siedlungen und Slums
gebe es nichts dergleichen. Meist würden diese Bezirke von den Behörden
geduldet, aber nicht versorgt, niemand fühle sich verantwortlich,
Infrastruktur fehle. Sodass menschliche Exkremente Flüsse und das
überlebenswichtige Grundwasser verseuchen.
Aus Bremen weiß Reuter, was da hilft: eine Gebührenordnung, mit der die
Beseitigung der Missstände zu finanzieren wäre. Die Hansestädter an der
Weser zahlen beispielsweise ab 1. April pro Kubikmeter Abwasser 2,54 Euro.
Mit diesen Einnahmen gewährleistet das Unternehmen Hansewasser die
Ableitung der Ausflüsse in die Kläranlagen in Seehausen (für Bremen-Stadt)
und Farge (für Bremen-Nord) wie auch die dortige Aufbereitung.
Solch riesige Anlagen für 130.000 Kubikmeter Abwässer am Tag gibt es in
Daressalam nicht. Zuletzt wurden aber fünf kleine
Fäkalschlamm-Behandlungsanlagen gebaut, drei mit Bundesmitteln, zwei mit
Geldern aus England finanziert. Und es gibt lokale Kleinunternehmer, die
einen Stahltank auf den Anhänger ihres Treckers schnallen, die teilweise
provisorischen Kloakegruben und Fäkalbottiche in den prekären Wohnvierteln
entleeren und die Brühe in den Klärwerken zur Aufbereitung abliefern.
Die anfallende Flüssigkeit sei zwar noch verkeimt, so Reuter, dürfe also
nicht direkt auf Nahrungspflanzen gesprüht werden, aber Bananenstauden
seien mit ihr zu bewässern. Feste organische Bestandteile werden als
Nährstoff-Ressource genutzt, also in der Sonne getrocknet, ausgefault und
als Kompost ausgebracht.
Es wäre genau das Prinzip, so Reuters Verweis auf die Lokalgeschichte, mit
dem in Bremen der Fuhrunternehmer Heinrich Alfes als Schieten-Heinrich
bekannt wurde. Er machte tatsächlich aus Scheiße Geld. Also, er ließ Geld
aus Scheiße machen, da er ja seine Knechte für die Drecksarbeit hatte: 1854
bekam er von der Stadt die Lizenz zum Latrineleeren, führte später die
Bremer Tonne ein, in die die Bürger ihre Nachttöpfe kippen sollten. Sie
wurden gegen Entgelt abgeholt und frisch gereinigt zurückgelassen, in Alfes
Fabrik am Arsterdamm wurden die Fäkalien dann zu handlichen Düngebriketts
verarbeitet und verkauft. Es heißt, der Unternehmer sei zum Millionär
geworden, auch wenn sein Geschäft zum Himmel stank.
In Tansania würden nun zwar keine Millionäre gemacht, aber faire Tarife
ermöglicht, betont Reuter. Derzeit bekämen die Abfahrer der
Kot-Urin-Hinterlassenschaften etwa zehn Cent pro Haushalt und Jahr für ihre
Entsorgungsdienstleistung. Vier Euro seien hingen notwendig für einen
kostendeckend arbeitenden Betrieb sowie die umweltfreundliche Aufbereitung
der Fäzes. Mit dem Betrag könnte ein Kloakenreiniger ungefähr 5.000
Familien bedienen, „zu denen in Tansania durchschnittlich sechs Personen
gehören“, erklärt Reuter, „Erfahrungen werten wir aus und daraus wird ein
Social-Franchise-System entwickelt.“
## Erfolgreiche Biogasanlagen
Sollte es in Tansania erfolgreich funktionieren, wird es auch in Lusaka
eingeführt, Hauptstadt des Nachbarlandes Sambia. „Bereits mit 200 Euro im
Jahr sorgen Spender für Hygiene und verbesserte Gesundheit für 300
Personen.“ In den kommenden Jahren sollen etwa 50 Kläranlagen in Daressalam
gebaut werden mit Geldern der Weltbank. Damit seien Exkremente von einer
halben Million Haushalte zu verarbeiten. Kein leckeres, aber ein wichtiges
Thema. Als Motto gibt Borda dafür aus: „Mit Patenschaften Leben retten.“
Gestartet ist die NGO 1977. Es raunte der Zeitgeist: Nicht mehr Armenspende
sollte Entwicklungshilfe sein, nicht mehr Investition in zukünftige
Absatzmärkte oder Wohlverhaltensprämie für politische Unterstützung im
Ost-West-Konflikt, auch nicht mehr Ablasszahlung für postkoloniales
Schuldbewusstsein, sondern eine gemeinschaftliche Praxis, um Armut im
globalen Süden zu mindern und Lebensbedingungen zu verbessern.
Zuerst realisierte Borda in Indien mehrere Biogasanlagen – und zwar derart
erfolgreich, dass dieses Projekt in weitere Länder exportiert wurde. Die
NGO startete diverse Versuche, Entwicklungsprojekte ganz anderer Art
anzuschieben – etwa den Aufbau einer Gerberei für Häute im Sudan,
Feldbewässerung durch Pumpen in asiatischen Ländern, Verarbeitung der
Sheanussbaumbutter in Mali, Müllrecycling in Indonesien, Hausbau in Slums.
## Sauberes Wasser ist Menschenrecht
Derzeit konzentriert sich Borda auf hygienische Sanitärversorgung,
Abwasserbehandlung und Wasserversorgung. Schließlich hatten die Vereinten
Nationen 2010 den Zugang zu sauberem Wasser zum Menschenrecht erklärt.
Borda arbeitet in 25 Ländern, hat in Bremen 20, weltweit zirka 300
Beschäftigte. Zuletzt konnte die Organisation mit einem Jahresbudget von
rund zehn Millionen Euro arbeiten, in 2019 waren es 20 Prozent weniger. 85
Prozent der Summe kommen vom Bundesministerium für
Entwicklungszusammenarbeit, weitere Hauptgeldgeber sind Swiss Development
Cooperation sowie die Bill & Melinda Gates Foundation.
Im Jahr 2018 wurde als Netzwerker der Bremer Historiker Hartmut Roder mit
ins Boot geholt, ehemals Leiter der Handelskunde-Abteilung des
Überseemuseums, um die Organisation auch in ihrer Bremer Heimatstadt zu
bewerben und ihr hier neue Geldgeber zu erschließen. Borda-Sprecher
Christoph Sodemann ist rückblickend „einigermaßen zufrieden“ mit der
Aktion: „Zwei große Unternehmen fördern uns nun mit beachtlichen Summen“,
sagt er, „Hansa-Flex und Lamotte Food. Bei den Lions- und Rotary-Clubs
kennen uns jetzt alle, dort gibt es auch auf nationaler und internationaler
Ebene gute Zusammenarbeit“.
2 Apr 2020
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Wasser
Wasserversorgung
Hygiene
Entwicklungshilfe
NGO
Schwerpunkt Klimawandel
Abwasser
Schwerpunkt Coronavirus
NGO
Deutsche Bank
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