# taz.de -- MONTAGS-INTERVIEW: "Man wird ungeduldiger" | |
> LOCH ODER ROHR Mit ihren Low-Tech-Anlagen versorgen die Bremer Ingenieure | |
> Stefan Reuter und Andreas Ulrich Menschen in Entwicklungs-ländern mit | |
> Toiletten. Aber ihre Firma BORDA stößt an ihre Grenzen. | |
Bild: "Der Job ist total spannend" - Andreas Ulrich mit BORDA-Mitarbeitern vor … | |
taz: Herr Reuter, Herr Ulrich - warum werden Experten für Dritte Welt-Klos | |
so selten interviewt? | |
Stefan Reuter: Das Thema ist noch nicht so populär wie es sein sollte. | |
Warum? | |
Reuter: Der politische Wille, sich mehr für sanitäre Anlagen in | |
Entwicklungsländern einzusetzen, fehlt leider oft. | |
Andreas Ulrich: Nicht nur in den Geber-, auch in den Nehmerländern. Kein | |
Politiker möchte sich fotografieren lassen, wie er in ein neu gebautes Klo | |
guckt. Deshalb bemühen wir uns auch, unsere Anlagen so schön wie möglich zu | |
gestalten, mit Volleyballplatz neben dem Waschhaus zum Beispiel. | |
Aber der Zugang zu sanitären Einrichtungen gilt doch als wichtiger | |
Bestandteil der Entwicklungshilfe. | |
Reuter: Ich würde eher sagen: Der Stein kommt langsam ins Rollen. Derzeit | |
haben 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Sanitäreinrichtungen. Auf | |
dem Johannesburg-Weltgipfel 2002 hat man sich das Ziel gesetzt, die Zahl | |
bis 2015 zu halbieren. | |
Aber Ihre Organisation Borda arbeitet schon seit über 30 Jahren daran. | |
Reuter: Ja, der Anlass war die Ölkrise von 1973, deren Auswirkungen man vor | |
allem in den Entwicklungsländern spürte. Also hat man überlegt, wie man die | |
Leute unabhängiger vom Erdöl machen kann. Im ländlichen Raum in Indien hat | |
Borda damals Biogas-Anlagen gebaut, die speisten sich aus Kuhdung. Dieses | |
Prinzip wurde dann in die Städte übertragen. | |
Was hat das mit sanitären Anlagen zu tun? | |
Ulrich: Die Anlagen klären das Wasser und produzieren quasi nebenbei | |
Biogas. So können die Gemeinden mit einfacher Technik ihr Abwasser | |
entsorgen und Energie gewinnen. | |
Reuter: Wir versuchen dabei, die Anlagen ständig noch simpler zu gestalten | |
- auf Hausmeisterniveau: Dann können geschulte lokale Kräfte sie | |
unterhalten und warten. | |
Hoch spezialisierten Experten könnten bei Ihnen keine Karriere machen. | |
Ulrich: Das Problem ist, dass es in der Entwicklungsarbeit kaum | |
Möglichkeiten gibt, richtig viel Geld zu verdienen. Deshalb gehen die | |
extrem guten Leute woanders hin. In der Entwicklungsarbeit hab ich oftmals | |
nur Kreisklasse-Spieler. | |
Trotzdem sind Sie schon lange dabei. | |
Reuter: Für mich ist die Arbeit kein Opfer. Ich bin seit neun Jahren dabei, | |
vorher habe ich in Ingenieurbüros gearbeitet. Dass ich hier die Möglichkeit | |
habe, Technik mit Sozialarbeit zu verbinden, ist genial. Mir kommt es schon | |
auch entgegen, dass hier eine Vision dahintersteckt … | |
Ulrich: … und ganz so schlecht bezahlt wird man dann auch wieder nicht. Ich | |
bin jetzt seit 20 Jahren hier: Als Student habe ich ein Praktikum bei Borda | |
gemacht, dann meine Diplomarbeit hier geschrieben - und nie einen anderen | |
Arbeitgeber gesucht. | |
Nutzt sich die Begeisterung nach 20 Jahren nicht ab? | |
Ulrich: Nein, der Job ist total spannend, man lernt viele Länder kennen. | |
Aber ungeduldiger wird man. Das Entwicklungshilfegeschäft ist eine | |
furchtbar langsame Sache. Jetzt habe ich allerdings endlich das Gefühl, | |
dass wir ein Konzept erprobt haben, das verbreitungsfähig ist. | |
Und zwar? | |
Ulrich: Das Besondere ist, dass wir uns als einzige Organisation in der | |
Entwicklungszusammenarbeit auf die sanitäre Entwicklung konzentrieren. | |
Unsere Programme sind überschaubar, einfach und für jede Region gleich - | |
also global kompatibel. | |
Und das ist außergewöhnlich? | |
Ulrich: Es gibt wenig öffentlich geförderte Organisationen, die Beratung | |
und auch Umsetzungsleistung erbringen. Die meisten sind ausschließlich in | |
der Sozialarbeit tätig. Da fließt dann viel Geld in Beratergehälter. | |
Reuter: Unsere Mitarbeiter sind fast alle Einheimische. | |
Aus Kostengründen? | |
Reuter: Nicht nur. Deren Gehälter sind natürlich ein Bruchteil von | |
internationalen Salären. Aber der eigentliche Vorteil ist: Das Wissen | |
bleibt im Land. Das ist eine Form der Nachhaltigkeit. | |
Aber was hilft Nachhaltigkeit, wenn das Thema so unpopulär ist? | |
Ulrich: Stimmt. Oft müssen wir die Nachfrage erst schaffen. Wenn wir zur | |
Vorbereitung, wie jetzt in Tansania, eine "Was ist wichtig?"-Umfrage | |
machen, dann nennen die Leute Arbeit, Kinder, Schule. Hygiene kommt da gar | |
nicht vor. | |
Warum nicht? | |
Ulrich: Weil es die Leute gewohnt sind, dass man manchmal krank wird oder | |
dass einem ab und zu ein Kind stirbt. Und ältere Leute, die sich nie die | |
Hände gewaschen haben, zu bekehren, ist fast unmöglich. | |
Reuter: Aber wenn jüngere Menschen mit sanitären Einrichtungen groß werden, | |
wollen sie das später nicht mehr missen. Die sagen: "Das leiste ich mir, | |
darauf arbeite ich hin." | |
Ulrich: Wir entwickeln deshalb zum Beispiel sanitäre Anlagen für Schulen. | |
In Afrika putzen die Schüler sich mit Steinen den Hintern ab, Mädchen die | |
ihre Periode haben, gehen nicht in die Schule, weil sie sich ekeln. Es gibt | |
meist keine Toiletten - und wenn, haben sie keine Türen. Das alles waren | |
Gründe, in die Schulen zu gehen. Die müssen aber auch selbst etwas für die | |
Hilfsleistung tun. | |
Ist das ein neuer Ansatz? | |
Ulrich: Ja. Früher hat man gedacht: die armen Leute, man kann von ihnen | |
nicht verlangen, dass sie noch etwas selbst machen. Wir selber auch: Da | |
waren wir zehn Jahre mit einem Landkreis verheiratet und haben den total | |
überfördert. Jetzt gehen wir nicht mehr an Orte, in denen das politische | |
Engagement für Entwicklungsarbeit fehlt. | |
Reuter: Wenn Kommunen keinen Eigenanteil organisieren können - super | |
Indikator, Finger weg! Den Leuten etwas aufzuschwatzen, worin sie keinen | |
Sinn sehen, bringt nichts. | |
Deshalb müssen die Leute für die Nutzung der sanitären Anlagen bezahlen? | |
Ulrich: Sonst funktioniert es nicht. Der Bau der Anlage muss sicher | |
subventioniert werden. Aber der Unterhalt muss sich selber tragen: Die | |
Leute zahlen für die Benutzung ein paar Cent. | |
Auch die Schüler? | |
Ulrich: Nein. In Schulen ist die Finanzierung unterschiedlich, manchmal | |
zahlen die Eltern mehr Schulgeld, manchmal wird die Anlage vom | |
Bildungsministerium subventioniert, manchmal gibt es einen Schulbasar. | |
Die Low-Tech-Anlagen sind doch allenfalls eine Übergangslösung … | |
Ulrich: Die Anlagen erfüllen nicht die Anforderungen die wir an Kläranlagen | |
hier haben. Aber in vielen Entwicklungsländern heißt es: Entweder die | |
Edelstahl-Hightechanlage für Millionen Euro - oder das Loch. Dazwischen | |
gibt es nichts. Aber die Frage ist eben, ob wir 100 Jahre warten sollten, | |
bis man Entwicklungsländer mit Hightech-Anlagen ausstatten kann. | |
Reuter: Manchmal herrscht da die Meinung, man sei erst dann entwickelt, | |
wenn man eine Spültoilette hat und irrsinnig viel Wasser verbraucht - in | |
Nordkoreas Entwicklungsprogramm steht das Ziel "Wasserverbrauch 300 Liter | |
pro Person". Für die muss das Trinkwasser- oder Abwasserversorgungssystem | |
so wie in den USA oder hier sein. | |
Warum hat sich Ihr Ansatz nicht weiter verbreitet? | |
Reuter: Es werden nicht genug öffentliche Mittel für sanitäre Einrichtungen | |
zur Verfügung gestellt. | |
Ulrich: Wir sind auch einfach zu klein, arbeiten mit kleinen Firmen und | |
kleinen Gewinnmargen. Unsere Anlagen könnten theoretisch 1,3 Milliarden | |
Menschen mit adäquaten Sanitäreinrichtungen versorgen. Das können wir als | |
Borda aber nicht leisten. Irgendjemand müsste das Konzept groß aufgreifen. | |
Das wäre in Ordnung für Sie? | |
Ulrich: Unsere Konzepte sind absichtlich nicht durch Patente geschützt. Und | |
Angst um unseren Job brauchen wir nicht zu haben. Dass wir uns in | |
Entwicklungsländern überflüssig machen, wird zu meinen Lebzeiten nicht | |
passieren. Leider. | |
23 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Gesa Koch-Weser | |
## TAGS | |
Wasser | |
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