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# taz.de -- Viva Con Agua-Chefin über Karriere: „Manchmal flossen Tränen“
> Carolin Stüdemann ist mit 29 Jahren bereits das zweite Mal Chefin. Die
> Elmshornerin über Führung und ihre Vision von Wasser für alle.
Bild: Möchte die richtigen Rahmenbedingungen schaffen: Carolin Stüdemann
taz: Frau Stüdemann, sind Sie eine Karrieristin?
Carolin Stüdemann: Beruflicher Erfolg ist mir wichtig und war es auch
immer. Ich finde es einfach total spannend, mich in neue Themen
einzuarbeiten – das zieht sich durch meinen gesamten Lebenslauf. Ich bin
jemand, der immer auf die Stärken und Potenziale blickt und scheue mich
nicht, Verantwortung zu übernehmen.
Sie sind seit September 2018 Geschäftsführender Vorstand des Hamburger
Vereins Viva con Agua, der sich für den weltweiten Zugang zu sauberem
Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung einsetzt. War Wasser immer Ihr
Thema?
Ich kenne Viva con Agua seit meiner Schulzeit, schon damals gab es Aktionen
in meiner Schule in Elmshorn, wo ich bis zu meinem Abitur gewohnt habe.
Damals war ich schon begeistert von der Organisation und der Lebensfreude,
die sie ausstrahlt, und dass sich jeder einbringen kann. Auch in meiner
Familie war das Thema Wasser sehr wichtig und als Ressource immer präsent.
Aber dafür richtig engagiert habe ich mich zu der Zeit noch nicht.
Wie wichtig war dafür Ihr Studienaufenthalt in Ghana?
Dort habe ich erkannt, dass vieles, was wir als normal ansehen, eben nicht
die Normalität ist. Ich habe aber auch die Lebensfreude kennengelernt, die
mich bis heute angesteckt hat, und ich habe sehr eng mit einer Familie
zusammengelebt. Wir haben viel voneinander gelernt und uns ehrlich
ausgetauscht. Es hat mich geerdet, das alles zu sehen und gelehrt, dankbar
zu sein, dafür, dass ich studieren kann und diese Auslandserfahrung
überhaupt machen darf.
Welche Erfahrungen haben Sie beruflich gemacht?
Ich lebte für einige Zeit in Toronto in Kanada. Es gab dort eine Stelle bei
mehreren Jugendhilfeeinrichtungen, dort habe ich viel mit der Leitung
zusammengearbeitet und das ganze Tagesgeschäft und viele Zusammenhänge
mitbekommen. Mit dieser Erfahrung zog ich mit 24 Jahren wieder zurück von
Kanada ins beschauliche Heide an der Nordsee, wo ich das erste Mal eine
Führungsrolle übernehmen durfte.
Sie haben 22 Mitarbeiter*innen geleitet mit 24 Jahren.
Ja. Ich leitete eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung mit Personalführung
und Verantwortung für das Konzept und Budget. Ich kam da an mit meinen 24
Jahren, quasi nur mit dem theoretischen Wissen aus der Uni. Das Problem
war: Ich hatte fast keinen Praxisbezug. Da habe ich auch gemerkt, dass ich
vieles, was ich theoretisch gelernt und wo ich mich mit viel Ehrgeiz
reingearbeitet hatte, dass ich es trotzdem nicht in der Ganzheit verstehe.
Waren Sie überfordert?
Selbstzweifel haben mich damals häufig begleitet und ich war überfordert,
ja. Ich hatte aber das Glück, dass mein Team mich akzeptiert, ernst
genommen und unterstützt hat. Ich war in vielen Themen nicht so gut
eingearbeitet wie die erfahreneren Kollegen. Bei so einem emotionalen Thema
wie der Jugendarbeit flossen auch mal Tränen bei mir, dadurch wurde das
Arbeitsklima aber menschlicher und angenehmer. Mit meinem Strukturdenken
und dem vielem theoretischen Wissen, der Zielorientierung und der Wärme und
Erfahrung der Kolleginnen und Kollegen haben wir uns dann total gut ergänzt
und gegenseitig voneinander gelernt.
Wie sind Sie von einer Jugendhilfeeinrichtung in der Norddeutschen Provinz
zu Viva con Agua in St. Pauli gekommen?
Viva con Agua ist mir immer wieder begegnet, zum Beispiel auf Festivals,
auf denen ich ganz selbstverständlich meinen Pfandbecher für sauberes
Wasser gespendet habe. Und nachdem ich für kurze Zeit in einer
Unternehmensberatung gearbeitet hatte, habe ich gesehen, dass Viva con Agua
jemanden für den Geschäftsführenden Vorstand sucht. Und weil mir dieser
Verein einfach sympathisch war und ich mit meiner Arbeit einen tieferen
Sinn verfolgen wollte, habe ich mich erst mal total gefreut und beworben.
Was für ein Führungstyp sind Sie?
Ich würde sagen, dass ich ein gutes Gespür für Menschen und Situationen
habe. Es gibt nicht das eine konkrete Führungsverhalten, dass immer passt
und stimmig ist. Deshalb schaue ich auf die Kompetenz im Einzelnen und
möchte Rahmenbedingungen schaffen, in denen jeder Einzelne über sich
hinauswachsen kann. Bei Viva con Agua arbeiten wir in sehr flachen
Hierarchien und haben ein anderes Verständnis von dem Führungsbegriff.
Und welches?
Hierarchie setzt sich für uns zusammen aus Expertise, Erfahrung,
Emotionaler Intelligenz und Engagement. Das heißt, dass sich nicht alles
zuspitzt wie bei einer Pyramide, sondern Entscheidungen von Personen
getroffen werden können, die thematisch die größte Kompetenz hierfür haben.
Brauchen Sie einen Mentor, der Sie auch mal schützt?
Die Gründer von Viva con Agua arbeiten seit 14 Jahren an der Vision, Wasser
für alle zugänglich zu machen und ich bin vor gut einem Jahr neu
dazugekommen. Ich sehe es als absolute Chance, dass ich mir Wissen von
diesen erfahrenen Menschen holen kann. Weiterbildung und persönliche
Weiterentwicklung sind zentrale Bestandteile bei uns. In diesem Rahmen
erhalte ich Unterstützung, um meiner Führungsverantwortung gerecht zu
werden. Aber auch mein Mann und meine Schwester stehen mir mit Tipps zur
Seite.
Wie sind Gehaltsverhandlungen für Sie?
Gerechtigkeit ist ein wichtiges Thema, wenn es um das Gehalt geht. Wenn
beispielsweise durchsickern würde, was hier jeder verdient, dann sollte
jeder denken, dass sein oder ihr Gehalt fair und gerechtfertigt ist. Wir
haben ein Gehaltsmodell, das vom gesamten Team beschlossen wurde und dieses
Modell ist für uns intern auch einsehbar. Vertrauen ist hier eine wichtige
Basis für gute und verlässliche Zusammenarbeit.
Viva con Agua gilt als freudvolle Organisation: Muss denn immer alles Spaß
machen?
Nein, aber alles soll uns unserer Vision näher bringen. Unser Jahr teilt
sich auf in verschiedene Phasen. Im Sommer machen unsere
Pfandbechersammelaktionen auf Festivals Spaß, doch jetzt sind wir gerade in
der Strukturphase und das heißt dann: Prozesse effizienter machen,
Schnittstellen besser definieren, aber auch das Thema IT und
Digitalisierung weiter voranbringen. Wir sind zwar erleichtert, wenn die
Ergebnisse gut sind, aber der Weg da hin ist manchmal ganz schön schwer.
Und da merken wir, dass das sehr viel Energie kostet und nicht so viel Spaß
macht, wie mit bunten Aktionen Spenden zu sammeln.
Wie divers, auch in sozialen Schichten, ist Viva con Agua?
Wir vertreten gemeinsame Grundwerte, die zu einer gemeinsamen Identität
führen. Ich wünsche mir, dass wir zukünftig noch diverser werden. Insgesamt
profitieren wir von unserer Internationalität. In Uganda hat sich eine
eigene Viva-con-Agua-NGO gegründet. Die arbeiten an den selben Themen wie
wir hier. Alle anderen, die zur Viva-con-Agua-Familie gehören – wie
Goldeimer, die das erste soziale Klopapier auf den Markt gebracht haben,
die Millerntor Gallery von Viva con Agua Arts sowie unsere Vereine in der
Schweiz und in Österreich – bringen ebenfalls viele Strömungen und Ideen
ein; es ist ein stets bunter und wilder Austausch. Und die über 10.000
Ehrenamtlichen in Deutschland, die sich für Viva con Agua engagieren,
kommen auch noch dazu.
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
In meinem Leben dreht sich viel um Viva con Agua. Aus diesem Grund ist das
schwierig zu sagen. Manches ist Arbeit und manches ist Freizeit für die
Vision. Manchmal mache ich etwas aus einer persönlichen Motivation heraus
und ich würde es auch machen, wenn ich nicht bei Viva con Agua arbeiten
würde, weil Wasser so ein wichtiges Thema ist. Ich kann sagen, es strahlt
viel in mein privates Leben und auch mein Mann sagt ganz humorvoll, dass er
eigentlich auch ein Viva-con-Agua-Supporter ist, da er mich im Hintergrund
unterstützt. Wichtig ist mir, dass meine Freunde, Familie und mein Sport
nicht zu kurz kommen.
28 Oct 2019
## AUTOREN
Yasemin Fusco
## TAGS
NGO
Entwicklungshilfe
Trinkwasser
St. Pauli
Grundversorgung
Gentrifizierung
Schwerpunkt Klimawandel
Wasser
Marketing
Toilette
Schwerpunkt Rassismus
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