Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Trinkwassermangel in Kenia: Nur Dreckwasser ist umsonst
> Der Victoriasee ist heute eine trübe Brühe. Wer in Kenia sauberes Wasser
> braucht, muss es aufbereiten oder kaufen – nur wenige können das
> bezahlen.
Viermal am Tag läuft Sherit Otieno mit ihrem gelben Eimer zum Ufer des
Victoriasees. Erst geht es über einen unebenen Pfad und dann vorsichtig
über riesige handgeknüpfte Fischernetze, die in der Sonne trocknen. Dann
watet sie bis zur Taille ins Wasser und lässt den Eimer volllaufen. Wieder
am Ufer hebt die 13-Jährige den vollen Eimer auf den Kopf und geht zurück
zum Haus ihrer Großmutter in dem winzigen kenianischen Dorf Kanyaywera.
„Das Wasser ist zum Trinken, Kochen und Waschen. Es ist immer dreckig und
trübe“, erzählt sie. „Wenn wir genug Geld haben, benutzen wir Medizin, um
das Wasser sauber zu machen. Wenn nicht, dann haben wir oft Durchfall.“
Sherit wiegt 40 Kilo und hat am Ende jeden Tages das Doppelte ihres
Gewichts an Wasser nach Haus getragen.
Ihre Mutter arbeitet als Putzfrau in der 75 Kilometer weit entfernten
Großstadt Kisumu und verdient etwas weniger als 50 Euro pro Monat. Es ist
das einzige Einkommen für sie, die Großmutter und die zwei Töchter. Das
Wasser aus dem See mit Chlor zu behandeln und trinkbar zu machen, würde im
Monat rund 30 Euro kosten.
„Meine Großmutter holte auch Wasser, aber sie ist hingefallen und hat seit
Monaten eine große Wunde am Bein, die nicht heilen will, selbst nicht mit
teurer Medizin“, sagt Sherit. Das Mädchen hat jetzt Zeit, um täglich Wasser
zu holen, weil die Schulen wegen der Coronapandemie geschlossen sind.
„Vorher musste ich das ganz frühmorgens machen, bevor ich in die Schule
ging. Ich würde gerne wieder früh aufstehen, weil die Schule mir sehr
fehlt.“
## Ein Wasserkiosk für Kendu Bay
Es mangelt nicht an Wasser im Westen von Kenia. Aber es gibt ein großes
[1][Defizit an sauberem Trinkwasser]. Laut der NGO „Water Organisation“ aus
den USA sind 40 Prozent der knapp 50 Millionen Kenianer auf unreines
Trinkwasser aus Flüssen und Seen angewiesen. Auf dem Land kostet Wasser pro
Monat durchschnittlich 30 Euro, weil es chloriert werden muss oder von weit
weg transportiert wird. Etwa 65 Prozent der Bevölkerung haben monatlich ein
Einkommen von höchstens 90 Euro.
Nicht weit vom Dorf Kanyaywera liegt das Städtchen Kendu Bay, vor etwas
mehr als hundert Jahren von arabischen Händlern gegründet. Im alten
Stadtviertel Mjini holen die Menschen das Wasser nicht mehr aus dem See.
Denn es gibt einen Wasserkiosk – ein kleines Gebäude mit großem Wassertank.
In den Tank fließt aufbereitetes Wasser aus einer zentralen Leitung der
lokalen Wassergesellschaft, und am Kiosk wird es verkauft. 20 Liter kosten
knapp 5 Euro-Cent. Die Wassergesellschaft Homawasco der Region Homa Bay
bekommt davon 2 Cent, die restlichen 3 Cent decken die Betriebskosten. Die
kleine muslimische Gemeinde verwaltet den Service selbst.
„Früher holten wir Wasser aus dem See, aber seit wir einen Wasserkiosk
haben, ist das Leben einfacher und wir haben seltener Durchfall“, erzählt
der 17-jährige Sadiq Anyango, dessen Familie in der verfallenen Altstadt
wohnt. Der Kiosk ist nur fünf Minuten Fußweg vom Haus entfernt, das er mit
seinen Eltern und sieben Geschwistern teilt.
Trotzdem macht er sich Sorgen. „Meine Eltern haben nur ab und zu mal einen
Tag Arbeit. Das Geld reicht uns oft nicht, und dann müssen wir doch wieder
Wasser aus dem See holen, das nicht gesund ist.“ Für Sadiq ist Gesundheit
sehr wichtig, nicht nur weil das Coronavirus lauert, sondern auch weil er
Sichelzellenanämie hat, eine erbliche Krankheit der roten Blutkörperchen.
„Anfang August ist meine Oma gestorben. Sie verdiente Geld mit dem Verkauf
von Bananen und davon wurde meine Medizin bezahlt. Meine Eltern können sich
das jetzt nicht leisten.“
In der Region Homa Bay, wo Menschen von der Fischerei, kleiner
Landwirtschaft und Viehzucht leben, bieten mehrere Verkaufsstellen sauberes
Wasser an. Vier der Wasserkioske wurden im Rahmen eines deutschen
Entwicklungsprojekts gebaut, so auch der Kiosk, den Sadiq besucht.
Insgesamt hat Deutschland von 2011 bis 2014 über die Kreditanstalt für
Wiederaufbau 12 Millionen Euro in das Projekt investiert.
## Chaos bei der Wasserversorgung
Inzwischen sind die meisten Kioske außer Betrieb. Homawasco-Ingenieur
Samuel Fatayah sieht die Schuld dafür bei denjenigen, die die Kioske führen
sollten. „Die Kioske sind Eigentum von Homawasco und wir vermieten sie vor
allem an Gruppen von Frauen, Jugendlichen und Behinderten. Einzelpersonen
sehen die Kioske nur als Möglichkeit, um Geld zu verdienen, und vergessen,
dass sie auch dafür sorgen müssen.“
Klimatologe Clifford Omondi in Homa Bay sieht aber auch Versäumnisse bei
den Behörden. „Wir haben seit sieben Jahren eine Dezentralisierung in
Kenia. Für Wasser sind die 46 Regionen verantwortlich. Die Regierung von
Homa Bay hat noch immer keine ordnungsgemäßen Richtlinien für die
Wasserversorgung. Es mangelt an Kapazität und Geld und dazu kommt auch noch
Korruption und Missmanagement.“
Nur 6 Prozent [2][des Victoriasees gehören zu Kenia], aber viele Flüsse aus
dem Land speisen das riesige Gewässer. Auf dem Weg aus dem kenianischen
Hochland verschmutzen Landwirtschaftschemikalien und Kot von Menschen und
Tieren das Wasser. Dasselbe passiert entlang des Seeufers. Dazu dazu kommt
noch das Abwasser der Industrie.
„Das Wasser verschmutzt immer mehr, weil die Bevölkerung stark gewachsen
ist“, erklärt Omondi. „Ein großes Problem ist der Mangel an guten
Toiletten. Die Menschen gehen meistens in den Busch und bei
Überschwemmungen sind viele primitive Toiletten eingestürzt oder überflutet
worden.“
Dazu kommt noch die [3][Verstopfung des Sees durch Wasserhyazinthen seit
1990]. Nicht nur entnehmen die Pflanzen dem Wasser Sauerstoff, so dass die
Fische ersticken – sie blockieren auch die Zuflüsse, wodurch die
Verunreinigungen länger in Ufernähe hängen bleiben.
Omondi sagt: „Ich bin aufgewachsen in Homa Bay und erinnere mich an das
Seewasser vor 15 Jahren. Es war klar, wir tranken es und hatten keine
Probleme damit.“
## Kinder sterben in Homa Bay an Durchfall
55 Kilometer östlich wissen die Einwohner des Handelsdorfs Sondu, am
gleichnamigen Fluss, einigermaßen Bescheid über Verschmutzung und sauberes
Trinkwasser. Dort hat die kenianische NGO „Safe Water and Aids Project“
(SWAP) einen Wasserkiosk gebaut, teils mit Geld vom [4][deutschen Konzern
Siemens]. Auf einer ehemaligen Müllhalde am Fluss, wo das Wasser zunächst
die Farbe von Kakao hat, fließt klares Wasser aus zwei Hähnen in einer
kleinen Bude.
„Hier muss ich oft anstehen und warten, weil so viele Wasser holen“,
erzählt Sheila Auma. „Ich bin umgezogen, um hier in der Nähe zu wohnen,
weil mein 11-jähriger Sohn immer Durchfall hatte. Seit ich hier Wasser
hole, hat er keine Beschwerden mehr.“ Weltweit ist Durchfall der
zweithäufigste Grund für Sterblichkeit bei Kindern unter fünf Jahren, in
Kenia sogar der häufigste. Kaum irgendwo in Kenia ist die
Kindersterblichkeit so hoch wie in Homa Bay – wegen Durchfall sowie HIV.
„Seit wir hier den Kiosk haben, sehen die Kinder gesünder aus“, meint Grace
Opiyo, die das Wasser an dem Kiosk verkauft und nebenbei als freiwillige
Gesundheitshelferin arbeitet.
Das Wasser im Kiosk in Sondu kostet ebenfalls 5 Eurocent für 20 Liter. In
der Regenzeit kaufen die 7.000 Einwohner ungefähr 1.000 Liter am Tag, in
der Trockenzeit 4.000 Liter. Den Kiosk gibt es seit 2016; seit Anfang
dieses Jahres leitet ihn ein Bürgerkomitee.
„Es war nicht nur eine Sache von: Kiosk bauen, Wasser hochpumpen und
chlorieren“, sagt SWAP-Gründerin Alie Eleveld. „Wir haben viel Zeit
aufgewendet für die Information der Bevölkerung und Training des Komitees,
das es jetzt führt. Es gab Probleme, aber jetzt funktioniert es.“
Das Komitee hat ein eigenes Bankkonto, auf das die Einnahmen fließen und
von dem die Wasserverkäuferin und fällige Reparaturen bezahlt werden. Auf
dem kleinen Gelände steht auch eine moderne, kostenpflichtige Toilette.
„Wasser ist nicht nur ein Menschenrecht“, sagt Eleveld, „sondern auch
nötig, um zu überleben.“
27 Sep 2020
## LINKS
[1] /Sauberes-Wasser-weltweit/!5709864
[2] /Kenia-verklagt-Uganda-wegen-Victoriasee/!5713973
[3] /Victoriasee-in-Uganda/!5713745
[4] /Aktivistin-ueber-Proteste-gegen-Siemens/!5657775
## AUTOREN
Ilona Eveleens
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Kenia
Victoriasee
IG
Wasser
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Unicef beklagt Mangel an Trinkwasser: 190 Millionen Kindern gefährdet
Zehn afrikanische Staaten sind am stärksten von Wassermangel betroffen. Das
geht aus einem Bericht hervor, den Unicef am Montag veröffentlicht hat.
Wegen Corona in Kenia: Zurück aufs Land
Die Pandemie hat in den Großstädten viele den Job gekostet. Mehr Menschen
kehren zurück zu ihren Familien. Dort können sie sich selbst versorgen.
Mara-Fluss in Ostafrika: Auf dem Trockenen
Das Mara-Flussbecken in Kenia und Tansania trocknet immer häufiger aus. Vor
allem die Frauen der Maasai sollen nun Wasserschützerinnen werden.
Maasai in Kenia: Immer dem Wasser nach
Der Wechsel von Trocken- und Regenzeit und der Zugang zu Flüssen prägen
seit jeher das Leben der Viehhirten. Diesem Rhythmus droht der Untergang.
Zum internationalen Welttoilettentag: Ein Recht auf Pinkeln
Klohäuser in Slums sind für Frauen oft gefährliche Orte. In Indien setzt
sich eine Frauenbewegung für mehr Toiletten ein und bricht Tabus.
Entwicklungsprojekt in Kolumbien: Leben tausender Familien verbessert
In einst illegalen Siedlungen baut ein Programm mit deutscher Beteiligung
Fußballplätze und eine Kanalisation. Das Geld kommt tatsächlich an.
Kenia verklagt Uganda wegen Victoriasee: Wer hat die Macht über den Pegel?
Das Wasser steht so hoch wie nie, ganze Dörfer in den Anrainerstaaten des
Victoriasees sind geflutet. Kenia macht Uganda verantwortlich.
Koloniale Herkunft von „Victoriasee“: Endlich ein afrikanischer Name
Afrikas größter See wurde von den Briten nach Queen Victoria benannt. Heute
wollen ihn viele Menschen in der Region umbenennen – doch wie?
Sauberes Wasser weltweit: Der Kampf um Zugang für alle
Vor zehn Jahren erklärten die UN den Zugang zu Wasser zum Menschenrecht. In
Zeiten von Corona und Klimawandel ist das schwer umzusetzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.