| # taz.de -- Maasai in Kenia: Immer dem Wasser nach | |
| > Der Wechsel von Trocken- und Regenzeit und der Zugang zu Flüssen prägen | |
| > seit jeher das Leben der Viehhirten. Diesem Rhythmus droht der Untergang. | |
| Sobald die Sonne über dem Horizont aufgeht, sind ihre Strahlen blendend | |
| hell und vertreiben schnell die Kühle der Nacht. Die Frauen im Weiler | |
| Amboseli sind schon längst auf. Sie haben Feuer gemacht und die Kühe | |
| gemolken. Während Männer und Kinder noch an ihren dampfenden Tassen mit | |
| süßem Tee und frischer Milch schlürfen, machen sich die Frauen mit ihren | |
| 20-Liter-Kanistern auf den Weg zum Wasser. Ein tägliches Ritual. | |
| Der Sekenani ist ein kleiner, schlängelnder Fluss im Mara-Flussbecken im | |
| Süden Kenias, etwa 25 Kilometer von der Grenze zu Tansania entfernt. In | |
| diesem Gebiet lebt ein großer Teil der Maasai-Hirten – insgesamt etwa eine | |
| Million Menschen in Kenia und eine halbe Million in Tansania. | |
| Während die Frauen, jung und alt, die anderthalb Kilometer von Amboseli zum | |
| Fluss laufen, unterhalten sie sich über die letzten Neuigkeiten. Ein alter | |
| Mann aus der Gegend wurde am Vortag von einem Büffel getötet. „Die einsamen | |
| alten Büffel sind so aggressiv, weil sie keine Weibchenherde haben“, sagt | |
| eine Frau. Eine andere weiß: „Der alte Mann hatte nur ein paar Schritte | |
| außerhalb seines Hauses gemacht und wurde vor seiner Tür aufgespießt.“ Es | |
| folgen klagende Seufzer. | |
| Am Ufer angekommen, schöpfen die Frauen erst mal mit beiden Händen etwas | |
| Wasser und waschen ihre Gesichter. Danach füllen sie ihre Kanister mit dem | |
| kalten Wasser, das nicht höher steigt als gerade über das Fußgelenk. „Am | |
| frühen Morgen ist es ziemlich sauber, weil stromaufwärts noch nicht viel | |
| passiert. Dieses Wasser soll für heute ausreichen, um zu trinken und zu | |
| kochen “, erklärt Stella Nkoingoni. | |
| Wie die anderen geht die 22-jährige Frau dreimal am Tag zum Fluss: Morgens | |
| für den Haushaltsbedarf, am Nachmittag zum Wäschewaschen und am Abend, um | |
| sich selbst und ihre drei Kinder zu waschen. „Das Wasser wird tagsüber | |
| immer schmutziger, weil die Frauen stromaufwärts Waschpulver verwenden und | |
| das Vieh, das im Fluss trinkt, auch reinmacht.“ | |
| Sekenani bedeutet in Maa, der Sprache der Maasai, „Strom von klarem | |
| Wasser“. Diese Beschreibung gilt jedoch nur für die Quelle des Flusses. Als | |
| Nkoingoni darauf hingewiesen wird, dass sie und ihre Dorfbewohner auch das | |
| Wasser verschmutzen, zuckt sie grinsend mit den Achseln. „Das stimmt, aber | |
| was sollen wir tun? Wir haben die Behörden wiederholt erfolglos gebeten, | |
| [1][Tanks aufzustellen und uns mit Wasser zu versorgen]. Wir sind bereit zu | |
| zahlen. Die Regierung denkt aber sicher, dass wir mit der modernen Welt | |
| nicht Schritt halten wollen.“ | |
| ## Selbst die Großmutter muss Wasser schleppen | |
| Wenn in der Trockenzeit der Fluss zum Rinnsal versiegt, müssen die Frauen | |
| zum Dorf Sekenani laufen, fünf Kilometer entfernt. Sie schaffen es dann oft | |
| nicht dreimal am Tag. Die Hygiene leidet darunter. | |
| Die Frauen warten aufeinander, bis jede ihren Kanister gefüllt hat. Dann | |
| laufen sie in einer langen Reihe nach Hause, diesmal schweigend. Eine | |
| Großmutter hält mit den anderen nicht Schritt. Warum schleppt sie in ihrem | |
| Alter noch Wasser? „Wir können in der Familie jeden Tropfen gebrauchen. | |
| Auch wenn ich nur drei Liter tragen kann, ist das wichtig“, sagt sie und | |
| läuft langsam weiter. | |
| Amboseli besteht aus Häusern in einem Kreis. Drei Maasai-Großfamilien leben | |
| hier, zusammen etwa 200 Menschen verteilt auf vier Generationen. Die Männer | |
| haben jeweils mehrere Frauen und zahlreiche Nachkommen. In der Mitte sorgen | |
| Holzzäune dafür, dass Kühe, Ziegen und Schafe nachts nicht von wilden | |
| Tieren überfallen werden. | |
| Sobald die Frauen mit dem Wasser ankommen, öffnen zwei Männer die Zäune. | |
| Die Rinder muhen aufgeregt. Sie wissen, dass sie jetzt an der Reihe sind, | |
| zum Fluss zu gehen. Die Kälber bleiben zurück. | |
| Es ist die Aufgabe der jungen Männer, mit den Kühen und Bullen zur Weide | |
| und zum Wasser zu gehen, wenn es daran in der Nähe des Dorfes fehlt. Manche | |
| sind zwei Wochen lang unterwegs, wenn das Wasser im Sekenani-Fluss sehr | |
| niedrig wird und Gras selten. Früher waren die Maasai eine wandernde | |
| Bevölkerungsgruppe, unterwegs mit dem Vieh auf der Suche nach Gras und | |
| Wasser. Heute ist der Großteil sesshaft. | |
| Die Frauen bleiben zurück und kümmern sich um die Älteren, die Kinder und | |
| die Ziegen. Sie bauen auch die Häuser – aus Holzpfählen, durch ein Gitter | |
| aus Zweigen verbunden, mit Wänden und Dächern aus einer Mischung von Lehm, | |
| Gras, Kuhmist und Asche. | |
| Um Amboseli sieht es trocken und staubig aus. Gras ist kaum zu sehen. Staub | |
| wirbelt auf, wenn das Vieh zum Fluss zieht. Simintei Nkoingoni begleitet | |
| die Rinder. Er trägt ein traditionelles rot-weißes Shuka, ein Umschlagtuch, | |
| und klingelnden Schmuck um den Hals. Er ist Stellas Ehemann und beide | |
| gehören zu den wenigen im Dorf, die die Schule besucht haben. | |
| „Anfang dieses Jahres hat es hier so stark geregnet, dass alles überflutet | |
| wurde. Es war überall grün, das Vieh war fett und wir waren glücklich. Aber | |
| die jetzige Regenzeit lässt zu wünschen übrig. Dem Fluss ist das Wasser | |
| beinahe ausgegangen. Eine weitere schwere Zeit erwartet uns.“ | |
| Der übermäßige Niederschlag Anfang 2020 in Ostafrika war das Ergebnis des | |
| El-Niño-Phänomens, wenn die Wassertemperatur des Indischen Ozeans höher als | |
| normal ist. Normalerweise folgt auf eine solche Zeit La Niña, wenn die | |
| Wassertemperatur unüblich kalt wird, was oft Dürre mit sich bringt. | |
| Der 27-jährige Nkoingoni wird nicht wie seine Kollegen mit dem Vieh | |
| wochenlang wandern. Wie viele der jüngeren Maasai-Generation hat er die | |
| Hirtenexistenz hinter sich gelassen und einen Job in einem Hotel im | |
| [2][nahen Nationalpark Maasai Mara] angenommen. Das Geld braucht er für | |
| seine Großfamilie. „Ich vermisse es, draußen mit dem Vieh unter den Sternen | |
| zu schlafen. Die Freiheit, die das Wandern mit sich bringt.“ Mit einem | |
| verträumten Blick schaut er in die Ferne. | |
| Er weiß, dass diese Lebensweise zum Verschwinden verurteilt ist. Der größte | |
| Teil Kenias besteht aus Halbwüste, in der die Hirten herumziehen. Dort wird | |
| das Gemeindeland aber immer mehr eingezäunt, auch in der Umgebung von | |
| Amboseli. „Das blockiert nicht nur den Zugang zu Gras, sondern auch zu | |
| Wasser. Immer mehr Tiere sterben während den Dürren“, sagt Nkoingoni. | |
| Wenn die Kühe ihren Durst im Fluss gestillt haben, treibt er sie zurück ins | |
| Dorf. Auf halbem Weg hält er an drei Bäumen an, wo ein älterer Mann im | |
| Schatten sitzt. „Vielleicht sollten diese Tiere auch wandern gehen, weil | |
| hier kein Platz mehr für sie ist“, bemerkt der 47-Jährige Mukwe Letolu. Er | |
| reagiert heftig auf die Frage, ob es nicht besser wäre, ein paar Tiere zu | |
| verkaufen. „Die jungen Leute sagen, wir sollten weniger Vieh haben. Aber | |
| wer verringert freiwillig seinen Reichtum? Die Antwort ist nein!“ | |
| Nkoingoni schweigt und versucht es anders. „Wir gehen nicht mehr gut mit | |
| der Natur um und das bringt uns Probleme. Diese drei Bäume sind weit und | |
| breit die einzigen. Den Rest haben wir gefällt. Das trägt auch zum | |
| Klimawandel bei und führt zu immer längeren Dürren.“ | |
| Das Holz wurde im Dorf für den Hausbau verwendet. Hirtenvölker haben immer | |
| alles, was sie brauchten, aus der Natur geholt. Aber immer mehr Natur liegt | |
| hinter Zäunen, während die Bevölkerung wächst und immer mehr braucht. | |
| ## Wandel der Generationen | |
| Der alte Letolu schüttelt den Kopf und seufzt. „Ich erinnere mich, dass es | |
| einst viele Bäume gab am Ufer des Sekenani. Jetzt ist da nur Gestrüpp. Wir | |
| haben uns doch immer gut um die Natur gekümmert. Aber die Natur will uns | |
| nicht mehr wohl.“ Er erzählt, wie die Frauen früher mit Reisig vom Boden | |
| Feuer machten. Nur wenn es notwendig war, schnitten sie einen Ast von einem | |
| Baum ab. „Dann sangen sie aber dem Baum ein Lied und entschuldigten sich | |
| für den Schmerz.“ | |
| Nkoingoni verabschiedet sich und läuft weiter. Am Dorfrand dreht er sich um | |
| und sein Blick ruht auf dem alten Mann unter den Bäumen. „Diese Generation | |
| ist nicht zur Schule gegangen. Sie sehen, dass sich alles ändert, verstehen | |
| aber nicht warum. Sie haben keine Lösung.“ | |
| Ein kleiner Sohn von ihm rennt auf ihn zu und erzählt fröhlich, dass eine | |
| Ziege ihn geschubst hat. Es habe gar nicht wehgetan, versichert er seinem | |
| Vater. Der sagt: „Meine Kinder werden nicht leben wie wir. Sie werden in | |
| die Schule gehen und einen Beruf lernen. Klimawandel, Wassermangel und | |
| soziale Veränderung setzen dem Leben der Wanderhirten ein Ende.“ | |
| 15 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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