| # taz.de -- Lithiumgewinnung in Bolivien: Alles auf Weiß | |
| > Ein deutsches Unternehmen sollte exklusiven Zugang zu bolivianischem | |
| > Lithium bekommen. Doch das Projekt steht auf der Kippe. | |
| Luís Machaca schreit in das Mikrofon, seine Stimme hallt vom hohen | |
| Wellblechdach des Stadions wider: „Eine Industrialisierung unseres Lithiums | |
| findet hier in Bolivien statt – mit klaren Regeln!“ Applaus, Zwischenrufe. | |
| Etwa 200 Menschen sind an diesem Tag im Frühjahr 2020 zur Bürgerversammlung | |
| nach Uyuni gekommen, einer Kleinstadt im Andenhochland Boliviens. Ein | |
| junger Mann aus dem Publikum steht auf. „Wir haben sie alle hier gehabt, | |
| die Chinesen, die Amerikaner, die Deutschen. Wir brauchen sie nicht, wir | |
| können das allein!“, ruft er ins Mikrofon. Die Stimmung ist aufgeheizt. Für | |
| die Anwesenden geht es um die Zukunft ihrer Region. | |
| Für Deutschland geht es um die Verkehrswende, um Klimaschutz und um | |
| Wettbewerbsvorteile. Denn Lithium wird für Lithium-Ionen-Akkus benötigt. | |
| Und diese stecken nicht nur in Handys und Laptops, sondern treiben auch | |
| Elektroautos an und speichern die Energie aus Solarzellen. Sich vom | |
| Verbrennungsmotor verabschieden, auf erneuerbare Energien umsteigen – | |
| beides braucht Lithium. | |
| Bislang müssen die Batterien importiert werden, vor allem aus Asien und den | |
| USA. Deshalb sicherte sich 2018 eine deutsche Firma einen exklusiven Zugang | |
| zu Boliviens Lithiumvorkommen. [1][Ein Jahrhundertdeal]. Doch im November | |
| letzten Jahres annullierte Bolivien das Abkommen. Die aktuell amtierende | |
| Übergangsregierung legte die Gespräche dazu auf Eis. Erst nach den Wahlen | |
| am 18. Oktober wird sich entscheiden, wie es weitergeht – und ob | |
| Deutschland dabei überhaupt eine Rolle spielen wird. | |
| Die Wahl in Bolivien könnte damit ein erneuter Wendepunkt in dem fast zwei | |
| Jahre andauernden Wirtschaftsdrama markieren. Zwei Jahre, in denen sich | |
| anfängliche Euphorie in Ernüchterung aufgelöst hat. Was ist geschehen? | |
| Verfolgt man diese Frage, stößt man auf größere: Wie gerecht sind | |
| Rohstoffdeals in einer globalisierten Welt? Welche Auswirkungen hat der | |
| deutsche Klima- und Umweltschutz auf die andere Seite der Erde? | |
| ## Am Anfang die Euphorie | |
| Windhosen wirbeln Staub auf, Sträucher zittern im Wind. Zieht ein Gewitter | |
| über das Andenhochland rund um den Salar de Uyuni, kann man es schon | |
| Stunden vorher beobachten – so weit und leer ist es hier. Die Salzfläche | |
| liegt auf 3.653 Metern über dem Meeresspiegel im südwestlichen | |
| bolivianischen Andenhochland. Auf Satellitenbildern sieht sie aus wie ein | |
| weißer Klecks, 10.500 Quadratkilometer groß, inmitten von Schottergebirge. | |
| Nur am südlichen Ende des Salars sind menschengemachte Strukturen zu | |
| erkennen: ein Raster kleiner Rechtecke, daneben eine Handvoll Gebäude – wie | |
| hingewürfelt sehen sie aus. | |
| Dort steht am 3. Januar 2013 Boliviens damaliger Präsident Evo Morales und | |
| eröffnet die erste Lithiumkarbonat-Fabrik des Landes. Schon im Folgejahr | |
| sollen 30 Prozent des weltweiten Bedarfs an Lithiumkarbonat über diese | |
| Anlage gedeckt werden, sagt Morales dem Fernsehsender Telesur. | |
| Ein ambitioniertes Ziel – und dennoch nicht aus der Luft gegriffen: Mit 21 | |
| Millionen Tonnen verfügt Bolivien über das größte Lithiumvorkommen der | |
| Welt. So schätzt es die Behörde US Geological Survey. Die Sole, aus der das | |
| Lithium gewonnen wird, liegt in einer Tiefe von 5 bis 50 Metern unterhalb | |
| der Salzkruste. Sie wird in weitläufige Verdunstungsbecken gepumpt und | |
| anschließend zu Lithiumkarbonat oder Lithiumhydroxid, das in modernen | |
| Hochleistungsbatterien steckt, weiterverarbeitet. 2013 kostete eine Tonne | |
| Lithiumkarbonat auf dem Weltmarkt durchschnittlich 6.889 US-Dollar. 2018 | |
| waren es 16.812 Dollar. Momentan ist der Lithiumpreis wieder gesunken. | |
| In jedem Fall würde der Rohstoff aber Geld in die Kassen schwemmen, das | |
| Bolivien dringend benötigt: um die Armut zu bekämpfen, Straßen | |
| auszubessern, Schulen zu bauen. Lithium soll dem wirtschaftsschwachen Land | |
| zu Wachstum verhelfen: „Das ist die Arbeit von Bolivianern“, ruft Morales | |
| seinem Publikum 2013 zu. Es sei „ihrer Anstrengung, ihrer Expertise“ zu | |
| verdanken und nicht der von irgendjemandem „von außen“. | |
| An diesem Satz lässt sich einer der Grundsätze von Morales’ Politik | |
| ablesen: In seiner Amtsantrittsrede im Jahr 2006 erinnert er daran, dass | |
| die indigene Bevölkerung kolonialisiert, unterdrückt, die Reichtümer | |
| ausgebeutet wurden. Morales verurteilt den Neoliberalismus und betont die | |
| Bedeutung der Pachamama, Mutter Erde. Es ist die klare Kante, für die ihn | |
| die Bevölkerung als ersten indigenen Präsidenten des Landes gewählt hatte. | |
| Und Morales schafft Tatsachen: Erlöse aus der verstaatlichten Erdöl- und | |
| Erdgasindustrie investiert er in Sozialprogramme, Armut und | |
| Arbeitslosigkeit sinken. In einer neuen Verfassung wird das „Gesetz zum | |
| Schutz der Erde“ erlassen. | |
| Doch mit den Jahren weichen Wälder den Sojafeldern und Viehweiden, die | |
| Investitionen ausländischer Firmen nehmen zu. Die indigene Bevölkerung hat | |
| oft nur wenig davon. 2017 lässt Morales die Lithium-Industrialisierung | |
| international ausschreiben – und lädt ein deutsches Unternehmen ein, sich | |
| zu beteiligen: Advanced Clean Innovations Systems GmbH (ACI Systems), ein | |
| Mittelständler aus Zimmern ob Rottweil am Rand des Schwarzwalds. | |
| Geschäftsführer des Unternehmens ist Wolfgang Schmutz. An einem | |
| Donnerstagnachmittag Ende Juli empfängt Schmutz, Jahrgang 54, | |
| hochgewachsen, volles graues Haar, im Konferenzraum seiner Firma in Zimmern | |
| ob Rottweil. Ein gläserner Bau – wegen der Transparenz, so sagt er. Schmutz | |
| hat lange geforscht, zu Halbleitertechnik, Photovoltaik. Sein Wissen nahm | |
| er in mehrere Unternehmen mit – eines davon ACI Systems. Wenn er erzählt, | |
| von sich, von seinen Plänen in Bolivien, muss ihn seine Pressesprecherin | |
| manchmal bremsen. Zum Beispiel, wenn er die Politik dort mit einem | |
| unvorhersehbaren „Hexenkessel“ vergleicht. „Ich bin kein Politiker, der | |
| eine Stunde redet und nichts sagt. Das liegt mir nicht.“ Schmutz beschreibt | |
| sich als Unternehmer, der anpackt. | |
| Bereits vor Morales' Ausschreibung war Schmutz öfter nach Bolivien gereist, | |
| um sich nach geeigneten Flächen für den Bau von Photovoltaik-Anlagen | |
| umzuschauen – das Hauptgeschäftsfeld von ACI Systems. Als der bolivianische | |
| Plan zur Lithiumgewinnung konkreter wurde, kannte man sich bereits. Die | |
| Bolivianerinnen und Bolivianer seien vom Auftreten und der Zuverlässigkeit | |
| der deutschen Delegation so angetan gewesen, sagt Schmutz, dass sie ACI | |
| Systems gern beim Lithiumabbau an Bord haben wollten. Schnell hätte ACI | |
| Systems ein Team aus Expertinnen und Experten aufgebaut und sah sich gut | |
| gerüstet, den europäischen Markt mit Lithium zu beliefern. | |
| ## Ein Deal zur rechten Zeit | |
| Die Ausschreibung kommt damals auch für die deutsche Politik zur rechten | |
| Zeit: Im Frühjahr 2018 prüft das Bundesverwaltungsgericht Fahrverbote wegen | |
| überhöhter Stickstoffdioxidwerte in mehreren Städten. Gleichzeitig formiert | |
| sich eine fraktionsübergreifende Gruppe Abgeordneter, die den stotternden | |
| Umstieg auf E-Mobilität vorantreiben will. Der Druck auf die | |
| Bundesregierung wächst, die Verkehrswende entschlossener anzupacken. | |
| Nachdem sich das neue Kabinett Merkel gebildet hat, telefoniert | |
| Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im April 2018 mit Evo | |
| Morales in Bolivien. Das geht aus einer [2][Antwort der Bundesregierung auf | |
| eine Kleine Anfrage von Die Linke hervor]. Altmaier macht Morales deutlich, | |
| wie groß das Interesse Deutschlands am Lithium ist. Wenig später schicken | |
| Altmaier und Außenminister Heiko Maas ein gemeinsames | |
| Unterstützungsschreiben für ACI Systems hinterher – so steht es in der | |
| Antwort der Bundesregierung. | |
| Am 20. April 2018 verkündet der Geschäftsführer des staatseigenen | |
| Rohstoffunternehmens Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) in einer | |
| Presseerklärung: ACI Systems habe sich im Auswahlverfahren gegen sieben | |
| Mitbewerber aus Kanada, Russland und China durchgesetzt. | |
| Etwas ist besonders an diesem Zuschlag: Verglichen mit den konkurrierenden | |
| Unternehmen wirkt die ACI Group, zu der ACI Systems gehört, mit rund 25 | |
| Millionen Euro Umsatz jährlich unscheinbar. „David gegen Goliath“, | |
| beschreibt Schmutz den Gegensatz selbst. Die Bundestagsabgeordnete | |
| Eva-Maria Schreiber (Die Linke) erkundigt sich deshalb schon im November | |
| 2018 in einer [3][Frage an die Bundesregierung] nach „Expertise und | |
| Kapazität“ des Mittelständlers ACI Systems. | |
| Auch in Bolivien wird diese Skepsis geteilt. Die Stiftung Solón – | |
| international gut vernetzt und im Land bekannt – stellt von Beginn an die | |
| Eignung des deutschen Mittelständlers für das Großprojekt infrage. Sozial- | |
| und Umweltstandards könnten ins Hintertreffen geraten. Bedenken, die in den | |
| folgenden zwei Jahren immer wieder geäußert werden. | |
| Doch bei ACI Systems ist man vor allem stolz auf den Erfolg: „Wir haben | |
| obsiegt, indem wir unsere Stärken und Tugenden herausgestellt haben“, sagt | |
| Schmutz. Sie hätten angeboten, wonach die Bolivianer gesucht hätten: den | |
| Aufbau einer eigenen Wertschöpfungskette. „Auf Augenhöhe.“ | |
| ## „Beginn einer neuen Ära“ | |
| Am 12. Dezember 2018 wird der Deal besiegelt: Wolfgang Schmutz, Peter | |
| Altmaier, der damalige bolivianische Außenminister und der Energieminister | |
| kommen zum Festakt in die baden-württembergische Landesvertretung in | |
| Berlin. In ihren Reden sprechen die bolivianischen Vertreter von einem | |
| „historischen Akt“ und „einer neuen Ära im Rohstoffabbau“. Wolfgang Sc… | |
| und Juan Carlos Montenegro, der Geschäftsführer von YLB, unterschreiben das | |
| Abkommen: 70 Jahre lang wollen sie gemeinsam Lithium aus dem Salar de Uyuni | |
| gewinnen. Sie gründen ein Joint Venture, ACI Systems Alemania GmbH (ACISA), | |
| an dem ACI Systems mit 49 Prozent beteiligt ist, YLB mit 51 Prozent. | |
| Blitzlichtgewitter, Händeschütteln. Das ACISA-Firmenvideo der | |
| Vertragsunterzeichnung endet mit Schmutz: „Füreinander, miteinander, für | |
| den gemeinsamen Erfolg!“ | |
| Ein Erfolg auch für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Denn während | |
| Fridays for Future und die Sorge vor einem erneuten „Dürresommer“ die | |
| Schlagzeilen bestimmen, gilt es für Altmaier, [4][Klimaschutz] und Wachstum | |
| am Industriestandort Deutschland zu vereinen. Er muss verhindern, dass die | |
| Automobilindustrie den Anschluss verpasst: Käme die Batterie aus Asien und | |
| die Software aus den USA, „hätten Deutschland und Europa mehr als 50 | |
| Prozent der Wertschöpfung in diesem Bereich verloren“, schreibt Altmaier in | |
| der [5][„Nationalen Industriestrategie 2030“], die er im Februar 2019 | |
| vorstellt. Sie trägt den Titel: „Made in Germany“. | |
| In die gleiche Richtung zielt das europäische Batterieprojekt, das | |
| Deutschland und Frankreich kurz darauf ankündigen: 1,2 Milliarden Euro | |
| Förderung sagen die Länder dafür zu. Mit dem Lithiumabkommen scheint die | |
| Batterie-Autarkie realistisch – Rückenwind für Altmaiers Kurs. Im Frühjahr | |
| 2019 steht Deutschland im Rennen um das „weiße Gold“ in der Poleposition. | |
| ## Gegenwind | |
| Ein Rennen, das Agapito Cabrera skeptisch stimmt. Anfang 2020 stapft der | |
| hagere Agraringenieur über ein Quinoafeld am Rand von Colcha „K“, einem | |
| Dorf am Rand der Salzfläche, windgeschützt zwischen zwei Bergkämmen. Er ist | |
| Agrarökonom und arbeitet für die Stadtverwaltung. Um ihn herum stoßen | |
| Quinoa-Pflanzen aus dem Boden. Ein Getreide, von dem hier im Andenhochland | |
| viele Menschen leben, in der Subsistenzwirtschaft wie im Handel. Auch die | |
| Haltung von Alpakas, Lamas, Ziegen und Rindern spielt eine große Rolle. | |
| Cabrera sieht den Vertrag skeptisch – und wünscht sich, dass er neu | |
| verhandelt wird. | |
| Nach Aussage von Wolfgang Schmutz würde das deutsch-bolivianische Joint | |
| Venture ACISA an den bestehenden Komplex andocken, in einer Größe von etwa | |
| 300 mal 400 Metern. Wenn Schmutz das erläutert, klingt ein „nur“ mit. Doch | |
| zusammen mit den bereits bestehenden Gebäuden und Verdunstungsbecken würde | |
| der Komplex etwa 2 Prozent des Salars ausmachen – das entspricht 200 | |
| Quadratkilometern. Für Ortsansässige wie Agapito Cabrera hängt daran ein | |
| ganzes Ökosystem. | |
| Es sind Auswirkungen, vor denen die politische Opposition schon zum | |
| Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung im Dezember 2018 gewarnt hatte: Uwe | |
| Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, weist | |
| damals [6][in einer Stellungnahme] auf die „enormen Risiken für Mensch und | |
| Umwelt“ hin: „Insbesondere die lokalen Gemeinden leiden unter | |
| Wasserknappheit und Umweltzerstörung, ohne von den Profiten aus dem | |
| Rohstoffabbau zu profitieren.“ | |
| Untermauert wird diese Warnung von Studien zur Lithiumgewinnung in den | |
| Nachbarländern Argentinien und Chile. Weil die Sole aus dem Untergrund in | |
| große Becken gepumpt und dabei zusätzlich Süßwasser benötigt wird, würden | |
| natürliche Wasserstellen verunreinigt oder trockneten aus, Wasser fehle | |
| auch für den Ackerbau. Zudem würden Chemikalien nicht richtig gelagert, | |
| Müll nicht richtig entsorgt, so die Studien. Doch lassen sich die | |
| Erfahrungen aus Chile und Argentinien auf Bolivien übertragen? | |
| Steht man auf dem Quinoafeld in Colcha „K“, ist es schwer vorstellbar, dass | |
| die 30 Kilometer entfernte Anlage dem Feld schaden könnte. Dass hier das | |
| Wasser knapp werden könnte. „Quinoa ist vom Regen abhängig“, erklärt | |
| Agapito Cabrera. Am Salar de Uyuni ist die jährliche Niederschlagsmenge | |
| etwa drei- bis viermal so hoch wie am benachbarten Salar de Atacama in | |
| Chile. Und das Wasser für Mensch und Vieh rinnt zumindest in Colcha „K“ aus | |
| den dahinter liegenden Bergen. | |
| Unternehmer Wolfgang Schmutz verweist auf die umweltfreundliche | |
| Technologie: „Wir wurden ja ausgewählt, weil wir – anders als die anderen | |
| Wettbewerber – einen ganzheitlichen Ansatz haben.“ Ihr Verfahren könne rund | |
| 30 Prozent der Energie über Solarpanels aus der Sonne ziehen. Abwasser | |
| werde gereinigt und wieder nutzbar gemacht. Und das Lithiumhydroxid werde | |
| aus der Restsole gewonnen – die als Abfallprodukt in der bestehenden Anlage | |
| anfällt. Unterm Strich sei die Technologie sogar „wasserpositiv“, sagt | |
| Schmutz. „Wir können Wasser an die Landwirtschaft oder Bevölkerung | |
| abgeben.“ | |
| Letztlich können nur wissenschaftliche Studien zum Salar de Uyuni den | |
| Ortsansässigen helfen, diese Versprechen zu beurteilen. Das staatliche | |
| Lithiumunternehmen YLB hat nach eigenen Aussagen sogar eine derartige | |
| Studie zur bestehenden Anlage angefertigt. Veröffentlicht worden ist sie | |
| jedoch nicht. Auch die mehrmalige Anfrage der taz bleibt unbeantwortet. ACI | |
| Systems liegt die Studie nach eigener Aussage zumindest in Teilen vor. Aber | |
| Geschäftsführer Schmutz verweist auf die Geheimhaltungspflicht, die sie | |
| gegenüber ihrem Geschäftspartner YLB hätten. | |
| Auch die Bundesregierung hatte zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung | |
| Ende 2018 keinen Einblick in Umweltgutachten – wie aus einer schriftlichen | |
| Anfrage des Grünen-Abgeordneten Kekeritz hervorgeht. Diese würden erst | |
| eingefordert, wenn ACI Systems Außenwirtschaftsförderung beantrage. Und | |
| eigene Kontrollen der ökologischen Standards könne das | |
| Bundeswirtschaftsministerium nicht durchführen, teilt es auf Anfrage der | |
| taz mit. „Dies ist die Aufgabe der zuständigen Behörden vor Ort.“ | |
| Dies führt zu einem brisanten Widerspruch: Einerseits „flankiert“ die | |
| Bundesregierung die Lithiumgewinnung „politisch“, wie es offiziell heißt, | |
| ohne zuvor zu überprüfen, inwieweit sie der Region schaden könnte. | |
| Andererseits will sie den Rohstoff dafür nutzen, Umwelt und Klima zu | |
| schützen. Doch würde das bolivianische Ökosystem geschädigt, hätte man das | |
| Problem nur verschoben. | |
| ## Soziale Spannungen | |
| Die Lokalbevölkerung interessiert aber vor allem eines: Wohin fließen die | |
| Gewinne? Agapito Cabrera, der Agraringenieur aus Colcha „K“, sieht im | |
| Lithium nämlich vor allem eine Chance. Der Rohstoffabbau sei schon immer | |
| eine wichtige Einnahmequelle für die Region gewesen, sagt er. Doch die | |
| Bedingungen müssten stimmen: „Wir wollen angemessen an den Gewinnen | |
| beteiligt werden.“ Mit ihnen könne man die Kosten für etwaige Umweltschäden | |
| begleichen und den Lebensstandard erhöhen. | |
| In seinen Augen kommt die Region um die Salzfläche jedoch zu kurz: 3 | |
| Prozent des Bruttoproduktionswerts aus der Lithiumgewinnung sollen im | |
| Bezirk Potosí bleiben, der Großteil in staatliche Kassen abfließen. Uyuni, | |
| Colcha „K“ und andere angrenzende Städte fordern dagegen 10 bis 15 Prozent. | |
| Denn: „Wo gibt es die Auswirkungen?“, fragt Cabrera rhetorisch und blickt | |
| auf die Salzfläche: „Hier! Wir wollen deshalb, dass die Gewinne uns | |
| zugutekommen.“ | |
| So sehen es auch die Menschen in Uyuni. Immer wieder finden seit der | |
| Vertragsunterzeichnung Proteste statt. Angeführt werden sie von Luís | |
| Machaca, dem Sprecher der Bürgerbewegung. | |
| Laut Abkommen sollen in Bolivien jährlich mindestens 30.000 Tonnen | |
| Lithiumhydroxid gewonnen werden. Davon sollen 5.200 Tonnen zur | |
| Weiterverarbeitung vor Ort bleiben – ausreichend für den Betrieb einer | |
| großen Batteriefabrik. Der Rest würde in Deutschland und Europa verkauft, | |
| die Gewinne entsprechend der Anteile am Joint Venture ACISA verteilt. Auch | |
| das kritisiert die Stiftung Solón. Denn am meisten Geld lässt sich | |
| verdienen, indem man das Lithium direkt weiterverarbeitet und anschließend | |
| die fertigen Akkus verkauft. Warum sollte Bolivien also auf den größten | |
| Teil der Wertschöpfungskette zugunsten einer europäischen | |
| Batterieproduktion verzichten? | |
| Es sind Details wie diese, die seit der Vertragsunterzeichnung immer wieder | |
| für Proteste in Bolivien sorgen. Einige behaupten sogar, das | |
| Lithiumabkommen habe zur Staatskrise beigetragen. Als Evo Morales am 20. | |
| Oktober 2019 mit knapper Mehrheit erneut zum Präsidenten gewählt wird, | |
| wirft die Gegenseite ihm Wahlbetrug vor. Oppositionelle gehen mit | |
| Dachlatten und Stangen auf Morales' Anhängerinnen und Anhänger los, das | |
| Land bebt unter den gewaltsamen Ausschreitungen. Am 3. November, eine Woche | |
| nach der Vereidigung, annulliert Morales per Dekret das Abkommen mit ACI | |
| Systems. Es wirkt wie ein Akt der Verzweiflung, sein Amt halten zu können. | |
| Vergeblich, wenige Tage später flieht er ins mexikanische Exil. | |
| Bis heute ist unklar, was genau in jenen Wochen geschehen ist und welchen | |
| Anteil das Lithiumabkommen am politischen Umbruch hatte – auch für Wolfgang | |
| Schmutz. Dass Bolivien den Vertrag annulliert, erfährt er aus dem Radio, | |
| morgens um 6 Uhr im Badezimmer. „Ich habe gedacht: Was ist jetzt los, ich | |
| höre nicht richtig?!“, erinnert er sich. Auch die Bundesregierung ist zu | |
| dieser Zeit ratlos, bittet Bolivien um Aufklärung. | |
| Dass auch nach dem Regierungswechsel die Proteste gegen das Abkommen in der | |
| Region anhalten, erklärt Schmutz so: „Es wurden von bestimmten | |
| Gruppierungen mit politischen Interessen Halbwahrheiten mitgeteilt. Das hat | |
| dazu geführt, dass die lokale Bevölkerung Dinge gefordert hat, die nicht | |
| rational begründbar sind.“ | |
| Deshalb werde man nun direkt in die Dörfer gehen und mit den Menschen | |
| sprechen, ihnen mit einfachen Botschaften und anschaulichen Comics | |
| erklären, worum es geht. „Unter Evo Morales war das nur bedingt möglich. | |
| Die Information des Volkes erfolgte fast ausschließlich durch ihn und seine | |
| Regierung“, sagt Schmutz. „Wir wären keine Schwaben, wenn wir vor Problemen | |
| wegliefen.“ | |
| Es ist ein Satz, der viel darüber aussagt, wie Schmutz das Projekt angeht: | |
| mit hochgekrempelten Ärmeln. Man nimmt ihm den guten Willen ab, wenn er | |
| sagt: „Wir wollen den Rohstoff Lithium auf eine nachhaltige und faire Weise | |
| fördern.“ Doch die Proteste in Uyuni und Potosí sind ein Hinweis darauf, | |
| dass Teile der Bevölkerung sich eben nicht „auf Augenhöhe“ angesprochen | |
| gefühlt haben – ein Finger in der Wunde kolonialer Erfahrung. Besonders in | |
| Potosí sind sie präsent: Kolonialmächte beuteten jahrhundertelang die | |
| Silberminen der Region aus. Hinzu kommt die Wut über Korruption und | |
| Misswirtschaft im Land. Damit treffen sich mehrere Konfliktlinien in der | |
| Lithiumgewinnung. Und es gibt Hinweise, dass sie vorhersehbar waren. | |
| [7][Eine Adelphi-Studie im Auftrag des Umweltbundesamts] warnte bereits | |
| 2010: „Die Geschichte der Ressourcenkonflikte in Bolivien legt nahe, dass | |
| sich hier ein großes Konfliktpotenzial versteckt.“ Werde die Bevölkerung | |
| nicht beteiligt und darüber informiert, wie Gewinne verwendet und verteilt | |
| würden, könnten sich die „Risiken in Form von Korruption und | |
| Verteilungskonflikten verstärken“. Die Autorin und der Autor der Studie | |
| leiten daraus eine klare Handlungsempfehlung ab: „Ein besonders | |
| konfliktsensitives Vorgehen“ sei erforderlich. | |
| Hätte zumindest die Bundesregierung dieses Konfliktpotenzial vorhersehen | |
| müssen? Schließlich ist es auch das Bundeswirtschaftsministerium, das die | |
| Verkehrswende und den Umschwung auf Elektromobilität vorantreibt. Es wirkt | |
| jedoch so, als hätte man sich dort nur einseitig mit den Vorteilen des | |
| Lithiumabkommens beschäftigt. Bundeswirtschaftsminister Altmaier möchte | |
| dazu nicht persönlich Stellung nehmen. Stattdessen teilt das Ministerium | |
| mit, dass mehrere Stellen ACI Systems auch bei „entwicklungs- und | |
| außenpolitischen Fragen“ beiseitegestanden hätten. | |
| Seitdem hat sich das Ringen um den exklusiven Zugang zu Lithium längst zu | |
| einer Blaupause entwickelt: für Rohstoffabkommen, internationalen | |
| Klimaschutz und globale Verantwortung. | |
| Luís Machaca und die Bürgerbewegung in Uyuni wollen nicht, dass der Vertrag | |
| nicht zustande kommt. Sie wollen, dass er nach den Wahlen neu verhandelt | |
| wird, auf Augenhöhe, mit allen notwendigen Informationen und Studien. Seit | |
| Beginn der Coronapandemie lädt Machaca Videos auf Facebook hoch, schreibt | |
| Briefe an die Übergangsregierung. „Die Antworten der Regierung, des | |
| Vizeministers für Technologie, des Energieministers sind nicht | |
| zufriedenstellend“, sagt er in einem Video im Juni. | |
| Bei ACI Systems schaue man sich indes nach einem Plan B um, sagt Wolfgang | |
| Schmutz. „Wir fühlen uns im Rahmen des europäischen Batterieprojekts | |
| verantwortlich, das Lithium zu beschaffen.“ Und den Investorinnen und | |
| Investoren sei es letztlich egal, woher es komme. Bolivien als | |
| Lithiumlieferant – für Deutschland austauschbar wie ein Akku. | |
| Die Recherche wurde unterstützt durch ein Recherchestipendium von Oxfam | |
| Deutschland. Oxfam hat keinen Einfluss auf die Ergebnisse genommen. | |
| 12 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Lithium-Abbau-in-Bolivien/!5636859 | |
| [2] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/168/1916877.pdf | |
| [3] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2018/11-385.pdf?… | |
| [4] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
| [5] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Industrie/nationale-industri… | |
| [6] https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressestatements/uwe-kekeritz-zu-lit… | |
| [7] https://www.adelphi.de/en/system/files/mediathek/bilder/rohkon_bericht_3-3_… | |
| ## AUTOREN | |
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| Fabian Franke | |
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