| # taz.de -- Russland bei der Biennale in Venedig: Es geht vor allem um Lithium | |
| > Russland überlässt auf der Kunstbiennale in Venedig seinen Pavillon | |
| > Bolivien. So wird postkolonialer Kitsch für Propaganda genutzt. | |
| Bild: Der russische Pavillon bei der Biennale in Venedig | |
| Es erklingen pfeifende Melodien. Ein Dutzend in knallgelbe Kostüme | |
| gekleidete Musiker*innen des Orquestra Experimental de Instrumentos | |
| Nativo, des „Experimentalorchesters für indigene Instrumente“, bewegen sich | |
| am Mittwochnachmittag tanzend und musizierend durch die Räumlichkeiten des | |
| russischen Pavillons. Nur wenig Besucher*innen sind auf dieser | |
| Veranstaltung beim Pre-Opening der Venedig-Biennale anwesend, aber das | |
| mediale Interesse ist enorm. Kameras umzingeln die Musikerinnen regelrecht. | |
| Seit Russland am 24. Februar 2022 seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine | |
| begann, blieb der russische Pavillon in Venedig jeweils leer. Auch für die | |
| Ausgabe 2024 kündigte sich dieses Szenario in Venedig an. | |
| Doch dann kam es wenige Wochen vor der Eröffnung der Kunstbiennale zu einem | |
| überraschenden Deal: Russland überlässt seinen Pavillon Bolivien, das ihn | |
| nun in den venezianischen Giardini mit jenem Experimentalorchester | |
| eröffnet. Bolivien selbst soll sich gemäß Pressesprecher des Pavillons an | |
| Russland gewandt haben, um angesichts der anstehenden 200-Jahr-Feier seiner | |
| Staatsgründung im nächsten Jahr sich bereits vorab auf der internationalen | |
| Kunstschau präsentieren zu können. | |
| ## Für Batterien geeignet | |
| [1][Im Gegenzug zeigt sich Bolivien bereit, sein großes Lithiumvorkommen | |
| nach Russland zu exportieren. Man braucht es etwa für die Herstellung von | |
| Batterien.] Durch den Verleih des Pavillons an das südamerikanische Land | |
| ergibt sich für Russland eine Win-win-Situation. | |
| [2][Der Putinstaat] macht sich nicht nur bei Bolivien beliebt, sondern | |
| inszeniert sich zugleich als Vorreiter im dekolonialen und | |
| antiimperialistischen Kampf – während sein durch imperialistische | |
| Ambitionen motivierter Krieg gegen die Ukraine ins dritte Jahr geht. Ein | |
| Coup der russischen Propaganda, die sich noch nie an Widersprüchen störte. | |
| ## Blinder Aktivismus | |
| Auch die internationale Kunstaktivist*innenszene scheint sich wenig | |
| an Russlands Biennale-Lithium-Deal zu stoßen. Sie ist ja auf Nahost | |
| fixiert. Kurz vor dem Auftritt des Orchesters zog bereits eine | |
| Demonstration am bolivianisch/russischen Pavillon vorbei, unter anderem | |
| organisiert von der Boykottbewegung ANGA (Art Not Genocide Alliance). | |
| Sie skandierte [3][am derzeit geschlossenen und polizeibewachten | |
| israelischen Pavillon] Parolen und ging bis zum deutschen Pavillon. | |
| Deutschland wurde dabei als „fascist state“, als „faschistischer Staat“ | |
| bezeichnet. Was wenige Meter zuvor am russischen Pavillon vor sich geht, | |
| interessierte die vermeintlich anti-imperialistischen Aktivist*innen | |
| mit den Palästinafahnen überhaupt nicht. | |
| Der Titel der Ausstellung des bolivianisch/russischen Pavillons greift auf | |
| ein Sprichwort in der indigenen Sprache Aymara zurück: „Looking to the | |
| futurepast, we are treading forward“. Bolivien präsentiert sich als | |
| plurinationaler Staat. Kuratiert wurde das Projekt von der Ministerin für | |
| „Kulturen, Dekolonisation und Depatriachalisierung“, Esperanza Guevera, | |
| höchstpersönlich. | |
| Diese bedankt sich in der Ausstellungsbroschüre bei Russland. Der Krieg | |
| gegen die Ukraine und die imperiale Vergangenheit Russlands scheinen sie | |
| dabei nicht die Bohne zu interessieren: „Unsere Anwesenheit in den Giardini | |
| untergräbt endlich die Hierarchien, die unumstößlich schienen, und unsere | |
| Stimme ist nun neben der der Länder zu hören, die sich immer in dieser | |
| Arena präsentiert haben“, schreibt Esperanza Guevera. | |
| Zu sehen sind Arbeiten von Künstler*innen aus verschiedenen Ländern | |
| Südamerikas. Von einem dekolonialen Jargon ist überschwänglich viel, von | |
| Future oder kritischer Reflexion hingegen kaum etwas bei den ausgestellten | |
| Kunstwerken zu spüren. | |
| 18 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Yelizaveta Landenberger | |
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