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# taz.de -- Australischer Pavillon in Venedig: Das Unsichtbare sichtbar machen
> Archie Moore macht mit seiner Biennale-Installation auf die Unterdrückung
> der Aborigines aufmerksam. Dafür erhielt der Künstler nun den Goldenen
> Löwen.
Bild: Der zweite Künstler mit indigenen Wurzeln, der Australien in Venedig ver…
Berlin taz | Am Rio dei Giardini, dem Kanal, der das Giardini-Gelände der
Biennale von Venedig durchquert, erhebt sich der würfelförmige Pavillon
Australiens aus schwarzem Granit, der 2015 fertiggestellt wurde. In diesem
Jahr, [1][zur am Wochenende eröffneten 60. Ausgabe], überstrich Archie
Moore, der nach Tracey Moffatt 2017 der zweite indigene Künstler ist, der
Australien vertritt, die Wände des innen liegenden „White Cube“ mit
schwarzer Tafelfarbe und zeichnete zwei Monate lang mit Kreide Tausende
miteinander verbundene weiße Kästchen, die sich über die gesamte Fläche
erstrecken: einen 65.000 Jahre abbildenden Stammbaum der Geschichte der
Aborigines, der neben den Wänden des Kubus auch die Decke überzieht.
Dafür recherchierte Moore in Stammes-Tagebüchern, auf Karten, in Archiven,
bei historischen Gesellschaften und in der Datenbank von Guardian
Australia. Es ist ein langsames, auch körperlich forderndes Einschreiben
der Geschichte in den Raum. Einige der Kästchen sind leer, weil die
Informationen fehlen. Es sind Lücken im kulturellen Gedächtnis, die für
jahrhundertelange [2][Verfolgung und Unterdrückung] stehen. Einige sind
verwischt, wie auf einer Schultafel. Es ist ein fragiles Geflecht von
Sichtbarwerdung einer jahrtausendealten Unsichtbarkeit.
In der Mitte des Kubus stehen Hunderte von weißen Papierstapeln mit
Dokumenten auf einem Podest mit gerichtsmedizinischen Berichten. Es sind
die offiziellen Protokolle der Untersuchungsberichte ungeklärter Todesfälle
von 517 Aborigines in staatlicher Obhut, seit die Royal Commission into
Aboriginal Deaths in Custody 1991 ihren abschließenden, mehrbändigen
Bericht vorlegte.
## Ein sakraler Ort
Das Podest steht in einem mit Wasser gefüllten Becken und dient als Schrein
der Erinnerung und des Gedenkens an schwarze Menschen, die durch
institutionelle Gewalt und Vernachlässigung ums Leben gekommen sind. Das
Wasser spiegelt zusätzlich die Umgebung und die Besucher*innen des
Pavillons, die so zum Teil der Installation werden.
So ist ein in seiner Monumentalität und Tragik sakraler Ort entstanden,
eine Dualität der Helligkeit der Kreide und der stumm beleuchteten
Protokolle staatlicher Verbrechen und des Dunkels der sie umgebenden Wände.
Die Installation trägt den Titel „kith and kin“, was im Altenglischen so
viel bedeutet wie „Freunde und Verwandte“. „Kith“ kann jedoch auch
„Landsleute“ und „Heimatland“ bedeuten. Von der Biennale-Jury sind Moore
und der australische Pavillon dafür mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet
worden.
Der 1970 in Toowoomba, Queensland, geboren Moore stammt vom Stamm der
Kamilaroi/Bigambul ab, mit einer Aborigine-Mutter und einem Vater
britischer Abstammung. In seinem Werk beschäftigt er sich mit der
Geschichte der australischen Urbevölkerung und kolonialer
Rassismuserfahrung. Dazu gehören auch autobiografische Themen der
Erforschung seiner Aborigine-Identität, Haut, Sprache, Geruch, Heimat und
Ahnenforschung. Seine Arbeit „United Neytions“ mit Stammesflaggen der
Aborigines hängt seit 2018 im T1-Terminal des Sydney International Airport.
2021 wurde sein persönlicher Familienstammbaum in der Galerie der
University von New South Wales (UNSW) gezeigt. Mit den Stammesnamen der
Familie, aber auch mit anglisierten, abwertenden oder anderen Namen, die
den australischen Ureinwohnern zugewiesen wurden. Seine eigene
Rassismuserfahrung stellte Moore 2013 in seinem Selbstportrait als „Black
Dog“ aus, der sich jetzt in der Sammlung der National Gallery of Australia
befindet.
21 Apr 2024
## LINKS
[1] /Rundgang-ueber-die-Biennale-von-Venedig/!6003127
[2] /Volksabstimmung-in-Australien/!5966387
## AUTOREN
Maxi Broecking
## TAGS
Biennale Venedig
Aborigines
Unterdrückung
Indigene
Australien
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Australien
Kunst
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Biennale Venedig
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