# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Australien: Toxische Männlichkeit Down Under | |
> In Australien eskaliert die Gewalt gegen Frauen. Gründe dafür sehen | |
> Forschende in der Geschichte – und in teuren Privatschulen. | |
Bild: Protest in Canberra: Gewalt gegen Frauen beenden | |
SYDNEY taz | Die Proteste waren am vergangenen Wochenende laut und | |
fordernd. Australische Männer müssten endlich etwas gegen die „Epidemie“ | |
unternehmen, dass jeden Tag 13 Frauen in Folge häuslicher Gewalt im | |
Krankenhaus landen, so die Forderung der protestierenden Frauen und auch | |
einiger Männer. | |
„Ich habe seit 50 Jahren nicht mehr an einer solchen Demonstration | |
teilgenommen“, sagte die Psychologin Lee Goddard gegenüber lokalen Medien. | |
Jetzt habe sie „endgültig genug von Tod und Leid, für die Männer | |
verantwortlich sind“. | |
Fast zur gleichen Zeit wurde in Westaustralien ein 35-jähriger Mann von der | |
Polizei beschuldigt, eine 30-jährige Frau ermordet zu haben. Die Tat kommt | |
nur Tage nach der [1][Messserattacke eines Mannes in einem Einkaufszentrum | |
in Sydney]. Er tötete fünf Frauen und einen Mann. [2][Der Messerstecher | |
hatte sich laut Polizei bewusst Frauen als Opfer ausgesucht], bevor er von | |
einer Beamtin erschossen wurde. | |
Der Vorfall ist zwar von besonderer Brutalität, und die hohe Zahl der Opfer | |
sicher ein Einzelfall. Trotzdem ist die Statistik schockierend: | |
durchschnittlich jede Woche wird in Australien mindestens eine Frau | |
ermordet, meist von ihrem Partner oder ihrem Ex. Allein in diesem Jahr | |
wurden schon 27 Frauen Opfer männlicher Gewalt – fast doppelt so viele wie | |
im Vorjahreszeitraum. | |
## Erschreckende Umfrageergebnisse | |
Dass Australien große Probleme mit männlicher Gewalt hat, zeigt nicht nur | |
die Statistik. Eine Umfrage der Nichtregierungsorganisation White Ribbon | |
unter 1000 Australiern kam zum Schluss, dass vier von zehn jungen | |
Australiern das Schlagen, Prügeln oder Fesseln einer Partnerin nicht als | |
Form häuslicher Gewalt empfinden. | |
44 Prozent der befragten Männer im Alter von 18 bis 34 sagen, eine nicht | |
einvernehmliche sexuelle Handlung sei „keine Vergewaltigung“. Auch glauben | |
in dieser Altersgruppe über 50 Prozent der Männer, dass ständige | |
Telefonanrufe oder das elektronische Ausspionieren einer Person nicht als | |
häusliche Gewalt gelten. | |
Sind Australier brutaler und frauenfeindlicher als Männer in anderen | |
Ländern? Im Gespräch mit der taz glaubt die Forscherin Pauline Grosjean aus | |
Sydney „nicht, dass Australien sich bezüglich Gewalt und häuslicher Gewalt | |
von anderen Ländern abhebt“. Doch wissenschaftliche internationale | |
Vergleiche gibt es dazu noch nicht. | |
Die Ökonomie-Professorin ist Expertin für sogenannt „toxische | |
Maskulinität“, jenem gesellschaftlichen Konzept, das Männer dazu drängt, | |
Gefühle zu unterdrücken und sich dominant oder gar aggressiv und | |
gewalttätig zu verhalten. | |
## Forscherin: Konkurrenz unter Männern fördert deren Gewalt | |
Ihre Forschung hat ergeben, dass solches Verhalten dort verstärkt auftritt, | |
wo der Anteil der Männer gegenüber den Frauen überwiegt und Männer deshalb | |
in Konkurrenz zueinander stünden. Wie 1788, als Grossbritannien auf dem | |
Kontinent eine Sträflingskolonie einrichtete: Es gab dort sehr viele | |
Männer, aber kaum Frauen. In diesem Klima seien sogar Kleinstkriminelle zu | |
Gewalttätern geworden, sagt Grosjean. | |
Das vielleicht verblüffendste Ergebnis der Forschung: toxisches Verhalten | |
gegenüber Frauen konnte sich von damals bis heute sozusagen | |
„weitervererben“, von einer Generation zur nächsten – vom Vater auf den | |
Sohn durch vorgelebtes Verhalten. | |
Kritikerinnen behaupten immer wieder, auch teure Privatschulen spielten | |
dabei eine wichtige Rolle. Sie könnten Inkubatoren für frauenfeindliches | |
Verhalten Jugendlicher und junger Männer sein. | |
So kam es vor ein paar Wochen in der Eliteschule Cranbrook in Sydney zu | |
einem Skandal, nachdem die Schulleitung nichts gegen offenbar endemisches | |
sexistisches Verhalten der Schüler gegenüber jungen Lehrerinnen unternommen | |
hatte. | |
Tatsächlich würden in solchen Schulen männliche Verhaltensregeln gesetzt – | |
Mobbing, frauenverachtende Sprache etwa, sagt Grosjean. Das spiegle sich | |
später nicht zuletzt in der Politik wider. Denn der weitaus größte Teil der | |
australischen Politiker ist in derartigen Relikten aus kolonialen Zeiten | |
ausgebildet worden. | |
## Sexualisierte Gewalt auch bei männlichen Politikern | |
Tatsächlich kommt es in Australien immer wieder zu Skandalen von Politikern | |
und ihren Mitarbeitern, die Frauen sexuell misshandelt haben sollen. | |
Ex-Justizminister Christian Porter wurde 2021 vorgeworfen, 1988 noch als | |
Schüler ein Mädchen vergewaltigt zu haben. Nachgewiesen werden konnte dem | |
Minister letztlich nichts. Nach Jahrzehnten schwerster Depression hatte | |
sich die Frau kurz vor Bekanntwerden der Vorwürfe das Leben genommen. | |
Ebenfalls 2021 beschuldigte eine frühere politische Mitarbeiterin der | |
Konservativen, Brittany Higgins, ihren Ex-Vorgesetzten Bruce Lehrmann, sie | |
2019 im Parlamentsgebäude nach einer Party auf einem Sofa im Büro der | |
damaligen Verteidigungsministerin vergewaltigt zu haben. | |
Eine erste Verhandlung gegen den mutmaßlichen Täter wurde wegen | |
Fehlverhaltens eines Geschworenen abgebrochen, eine zweite Verhandlung „zum | |
Schutz der psychischen Gesundheit“ Higgins fallengelassen. | |
Mehrere konservative Politiker und Kommentatoren hatten ihr indirekt | |
vorgeworfen, für die Tat mit verantwortlich zu sein, weil sie zum Zeitpunkt | |
betrunken gewesen war. | |
1 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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