# taz.de -- Einigung beim EU-Gipfel: Die nächste Krise ist beschlossen | |
> Die EU hat sich entlarvt: Sie ist keine solidarische Werteunion, sondern | |
> eine Gemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft. | |
Bild: Ein langes, unbefriedigendes Ringen mit dem niederländischen Ministerpr�… | |
Den Negativrekord für [1][den längsten und quälendsten EU-Gipfel] aller | |
Zeiten haben sie nur knapp verfehlt. Lediglich ein paar Minuten fehlten, | |
dann hätten Gastgeber Charles Michel und Kanzlerin Angela Merkel am | |
Dienstag den unseligen Gipfel von Nizza im Jahr 2000 überboten. | |
Nun haben sie sich doch noch zusammengerauft. Im Morgengrauen fiel [2][am | |
Dienstag in Brüssel der Beschluss für das größte Finanzpaket aller Zeiten]. | |
1,8 Billionen Euro haben Michel und Merkel bis 2027 lockergemacht, um sich | |
gegen die Krise zu stemmen. Brüssel wird kein zweites Nizza. | |
Dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack nach diesem zweitlängsten Gipfel | |
der EU-Geschichte. Und das liegt nicht nur an Zugeständnissen der letzten | |
Minute, mit denen die späte Zustimmung erkauft wurde. Es liegt auch und vor | |
allem am unseligen Geschacher der letzten Tage. | |
„Geiz ist geil“ – dieser Werbespruch schien tagelang das neue Motto der EU | |
zu sein. Vor allem [3][die „Frugal Four“, also die geizigen Nordländer], | |
hatten es darauf angelegt, die Coronahilfen für den Süden | |
zusammenzustreichen und sich gleichzeitig milliardenschwere Rabatte zu | |
sichern. | |
Wie im Sommerschlussverkauf ging es in den letzten Stunden dieses | |
Gipfel-Marathons zu. Michel und Merkel stockten die Nachlässe für die | |
Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden weiter auf, gleichzeitig | |
wurden die Budgets für Forschung und Studenten zusammengestrichen. | |
Merkel, die im Vorfeld als „Retterin der EU“ gefeiert worden war, machte | |
gute Miene zum bösen Spiel. Tagelang ließ sie den niederländischen Premier | |
Mark Rutte gewähren. Zeitweise hatte man den Eindruck, nicht Merkel und | |
Michel, sondern Rutte führe die Regie in Brüssel. | |
Am Ende nickte die Kanzlerin eine windelweiche Rechtsstaatsklausel ab, die | |
Ungarns Regierungschef Viktor Orbán als „Sieg“ feiert. Und schließlich | |
genehmigte sie sich noch ein paar hundert Millionen für die ostdeutschen | |
Länder – ein Schnäppchen kurz vor Toresschluss. | |
So läuft es eben bei EU-Gipfeln, sagen die Diplomaten und Unterhändler, am | |
Ende müssen sich alle als Sieger präsentieren können. Doch dieser Sieg | |
schmeckt wie eine Niederlage. Denn vier Tage lang haben die EU-Granden | |
vorgeführt, wie sie wirklich denken: national und egoistisch. | |
Die gefährlichen Reflexe der Coronakrise sind immer noch am Werk. Bei | |
diesem Gipfel traten sie sogar stärker zum Vorschein denn je. Die EU | |
präsentierte sich nicht als solidarische Werteunion, sondern als | |
Notgemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft, unter | |
strengen Bedingungen. | |
Dass am Ende doch noch das größte Hilfspaket aller Zeiten verabschiedet | |
wurde, macht es nicht viel besser. Denn zum einen wurden die Zuschüsse | |
gekürzt – von 500 auf 390 Milliarden Euro. Zum anderen wird das Geld mit | |
der Gießkanne verteilt und nicht nach Hilfsbedürftigkeit. | |
Im Ergebnis dürften die Zuschüsse aus Brüssel gerade einmal ausreichen, um | |
die größten Budgetlöcher in Rom, Madrid oder Athen zu stopfen. Als | |
Konjunkturprogramm mit „Wumms“ taugen sie nicht. Und wenn die Hilfen | |
ausgezahlt sind, wird die EU auch noch auf Sparkurs gehen. | |
Denn die neuen Schulden müssen zurückgezahlt werden, und das EU-Budget für | |
2021 bis 2027 wurde gekürzt. Womit wir wieder bei Nizza wären. Der Gipfel | |
an der Cote d’Azur endete vor 20 Jahren mit einem Ergebnis, das sich als | |
unzureichend erwies und die EU in die nächste Krise führte. | |
Diesmal könnte es ähnlich laufen. Brüssel hat den Negativrekord von Nizza | |
nicht gebrochen. Doch den Weg in eine bessere Zukunft hat dieser Gipfel | |
auch nicht gewiesen. | |
21 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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