| # taz.de -- EU-Gipfel in Brüssel: Geiz ist geil | |
| > Beim Verhandlungsmarathon der EU-Staaten setzen sich weitgehend die | |
| > „sparsamen“ Länder um Österreich und die Niederlande durch. | |
| Bild: Spart nicht mit Worten: Hollands Premier Mark Rutte am Montag in Brüssel | |
| Brüssel taz | Am Samstag sollte Schluss sein – doch am Montag tagte der | |
| EU-Finanzgipfel in Brüssel immer noch. Ein Ende der Beratungen über einen | |
| [1][schuldenfinanzierten Coronahilfsfonds] und das neue EU-Budget war auch | |
| nach vier Verhandlungstagen noch nicht absehbar – obwohl sich selbst | |
| Kanzlerin Angela Merkel erstmals optimistisch zeigte. | |
| Sie habe „Hoffnung, dass es heute zu einer Einigung kommt“, erklärte Merkel | |
| nach einer weiteren quälenden Verhandlungsnacht. Bis zum Morgengrauen hatte | |
| der belgische Gipfelchef Charles Michel diesmal durchgehalten. Am Ende | |
| stand ein neuer Kompromissentwurf – doch ob es für einen Abschluss reicht, | |
| war bis Montag früher Abend immer noch nicht klar. | |
| Denn es fehlten wichtige Details, etwa zur Verteilung der Finanzmittel im | |
| neuen, knapp eine Billion Euro schweren [2][Sieben-Jahres-Haushalt]. Über | |
| die Frage, wie stark die Agrarsubventionen gekürzt werden und wie viel Geld | |
| in Klimaschutz oder Forschung geht, hatte sich schon der letzte | |
| Budgetgipfel im Februar hoffnungslos zerstritten. | |
| Auch die Fortschritte beim Coronahilfsfonds sind überschaubar. Kanzlerin | |
| Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ist es in einem | |
| ungewohnten deutsch-französischen Powerplay zwar gelungen, den | |
| [3][Widerstand gegen den schuldenfinanzierten Aufbauplan] zu brechen. Die | |
| „Frugal Four“ (die sogenannten „Geizigen Vier“ Niederlande, Österreich, | |
| Dänemark und Schweden) wollten zunächst gar keine EU-Schulden. | |
| ## Rutte und Kurz vs. Michel und Merkel | |
| Doch im Detail haben sich die Sparer durchgesetzt. Ihre Wortführer, der | |
| niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der österreichische | |
| Kanzler Sebastian Kurz, ließen ihrer Freude am Montag freien Lauf. „Wir | |
| können sehr zufrieden sein“, sagte Kurz. „Es ist wirklich ein sehr gutes | |
| Ergebnis gelungen.“ So sei der Gesamtbetrag des Coronarettungsprogramms | |
| stark reduziert worden. Zudem habe man Berlin und Paris die Stirn geboten. | |
| Sonst machten Deutschland und Frankreich etwas miteinander aus „und alle | |
| andern müssen’s abnicken“. Das sei nun vorbei. | |
| Auch Rutte zeigte sich zufrieden. Er sei jetzt etwas hoffnungsvoller, die | |
| Dinge entwickelten sich in die richtige Richtung. Tatsächlich hatten Rutte | |
| und Kurz die ersten drei Gipfeltage beherrscht und die Verhandlungsführer | |
| Michel und Merkel vor sich her getrieben. Schon vor Beginn des | |
| Krisentreffens hatte Michel das EU-Budget zusammengestrichen – wie von den | |
| „Frugal Four“ verlangt. Trotz Coronakrise, Rezession und Klimanotstand soll | |
| die EU in den kommenden sieben Jahren mit einigen Milliarden weniger | |
| auskommen als bisher. | |
| Gleich am ersten Tag des Gipfels ging Michel dann auf die Forderung ein, | |
| EU-Finanzhilfen an strikte Reformauflagen zu knüpfen. Die Niederlande oder | |
| Österreich sollen die Auszahlung mit einer „Super-Notbremse“ stoppen | |
| können. Am Samstag dann begann das Feilschen um den Coronahilfsfonds. | |
| Macron und Merkel wollten [4][ursprünglich 500 Milliarden Euro] an nicht | |
| rückzahlbaren Zuschüssen vergeben. | |
| Davon sind nach dem jüngsten Vorschlag nur noch 390 Milliarden übrig. | |
| Darauf haben sich nach Angaben von Diplomaten von Montagabend die | |
| EU-Staaten geeinigt. Aber auch die Gesamthöhe des Fonds, bisher 750 | |
| Milliarden, steht auf Druck der „Frugals“ infrage. | |
| Einen Erfolg können die geizigen Nettozahler auch bei den Beitragsrabatten | |
| vermelden. Sie werden nicht – wie zunächst geplant – wegfallen, sondern auf | |
| Dauer gestellt und sogar noch erhöht. Allein Österreich darf mit 50 | |
| Millionen Euro mehr Nachlass rechnen. Den größten Rabatt soll aber | |
| Deutschland erhalten – Michel sieht für Berlin einen jährlichen Nachlass um | |
| 3,671 Milliarden Euro vor. | |
| ## Fällt der Rekord von Nizza? | |
| Doch selbst diese Geschenke reichten zunächst nicht aus, um eine Einigung | |
| sicherzustellen. Am Sonntagabend kam es erneut zum Streit. Macron habe | |
| wütend auf den Tisch geklopft und Kurz zur Ordnung gerufen, der für ein | |
| Telefonat den Verhandlungssaal verließ, berichten EU-Diplomaten. | |
| Michel versuchte es mit einem flammenden Appell an das Gemeinschaftsgefühl: | |
| Die Opfer der Coronakrise zwängen die EU zum Handeln, sagte der liberale | |
| Belgier. Ein Scheitern könne man sich nicht leisten. Das führte zwar nicht | |
| zum erhofften Durchbruch, doch zur nächsten, rekordverdächtigen | |
| Verlängerung. | |
| Bisher hält der EU-Gipfel von Nizza den Rekord: Vier Tage und vier Nächte | |
| wurde im Dezember 2000 über die Osterweiterung und die Stimmrechte | |
| gefeilscht. Das Ergebnis stellte allerdings niemanden zufrieden; es musste | |
| später nachgebessert werden. Der „Vertrag von Nizza“ ging als größter Fl… | |
| der EU-Geschichte in die Annalen ein. | |
| In Brüssel könnte es nun ähnlich enden. Am Montag drohte eine weitere lange | |
| Verhandlungsnacht mit vielen, schmerzhaften Kompromissen. Selbst wenn sich | |
| Michel, Merkel und Macron danach zufrieden zeigen sollten: Die Probleme | |
| sind damit nicht gelöst. Nur die Frugalen dürfen frohlocken – denn sie | |
| haben den Coronafonds geschrumpft und die Solidarität unter nationalen | |
| Vorbehalt gestellt. | |
| 20 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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