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# taz.de -- EU-Sondergipfel weiter ohne Ergebnis: Mission Impossible, Episode IV
> Das Treffen der Staats- und Regierungschefs wird nochmals verlängert.
> Nächtliche Verhandlungen bringen Annäherung, aber keinen Durchburch.
Bild: Angela Merkel ist an einem Punkt angekommen: die Kanzlerin am Sonntagaben…
Brüssel dpa/epd/taz | Das starke Signal der Einigkeit, das Angela Merkel
sich gewünscht hat, wird ausbleiben – ganz egal, wie dieser EU-Sondergipfel
in Corona-Krisenzeiten zu Ende geht. Am frühen Montagmorgen, knapp drei
Tage nach Beginn der Verhandlungen in Brüssel, gibt es aber zumindest noch
etwas Hoffnung.
Ratspräsident Charles Michel rief die 27 Staats- und Regierungschefs zwar
am Montagmorgen gegen 6 Uhr kurz zu einer großen Runde zusammen, vertagte
die Sitzung aber dann erneut, [1][wie ein Sprecher auf Twitter mitteilte].
Das Plenum wurde für 16 Uhr angesetzt. Aus EU-Kreisen verlautete, dann
werde ein neuer Lösungsvorschlag erwartet.
Nach einer langen Nacht und teils bitteren Verhandlungen soll der
eigentlich nur bis Samstag angesetzte Gipfel am Nachmittag in die vierte
Rund gehen. Immerhin, man redet weiter miteinander. [2][Ein Scheitern, wie
es Angela Merkel am Sonntagmorgen nicht ausgeschlossen hatte,] ist erst mal
abgewendet.
Aber klar ist schon jetzt: Das geplante Konjunktur- und
Investitionsprogramm fällt deutlich schmaler aus als von Kanzlerin Angela
Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gewünscht. Statt
von Zuschüssen in Höhe von 500 Milliarden Euro steht am Morgen des vierten
Gipfeltags ein Kompromiss in Höhe von 390 Milliarden im Raum.
EU-Ratspräsident Charles Michel wolle auf dieser Grundlage am Nachmittag
einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen, heißt es aus Diplomatenkreisen.
Es sind die Regierungschefs der „sparsamen“ Länder Österreich, Niederland…
Schweden und Dänemark sowie Finnland, die sich hartnäckig gegen diese
Zuschüsse sträuben. Sie würden am liebsten nur rückzahlbare Kredite an
Staaten wie Italien und Spanien vergeben.
Dass der Gipfel einer der schwersten in der Geschichte der EU werden würde,
zeigte sich spätestens am Sonntagabend. Die Stimmung wurde Stunde um Stunde
angespannter. In einigen Delegationen lagen die Nerven blank.
Schuldzuweisungen wurden teils sogar mit persönlichen Angriffen auf
einzelne Staats- und Regierungschefs verbunden.
## Kurz in der Kritik
So wird dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz vorgeworfen, nicht
zuzuhören und sich lieber um Medienarbeit zu kümmern. Zudem
instrumentalisiere er zusammen mit dem Niederländer Mark Rutte das Thema
Rechtsstaatlichkeit, um die Verhandlungen zu blockieren.
Kurz gab sich jedoch unbeirrt. Schon am Sonntagvormittag hatte er auf
Anschuldigungen gegen Rutte reagiert: Er respektiere, dass nach „ein paar
Tagen die Nerven blank liegen oder manche da vielleicht irgendwie Dinge
sagen oder Aktionen setzen, die sie in ausgeschlafenem Zustand so nicht
machen würden“.
Gegen 1.30 Uhr in der Nacht zum Montag [3][twitterte Kurz ein Foto], auf
dem er gut gelaunt wirkt und mit seinen Kollegen aus Dänemark, Schweden,
den Niederlanden und Finnland zusammensitzt. Man koordiniere die Positionen
für die Verhandlungen über die noch ausstehenden Fragen, schrieb Kurz.
[4][Am frühen Morgen twitterte er dann]: „Wir können mit dem heutigen
Ergebnis sehr zufrieden sein.“
## Nächtlicher Appell von Charles Michel
Noch in der Nacht hatte EU-Ratspräsident Charles Michel erneut eindringlich
Kompromissbereitschaft von allen gefordert. Sein Appell las sich allerdings
vor allem verzweifelt und gekränkt. Als Grund für eine notwendige Einigung
nannte er unter anderem das erwartbar negative Medien-Echo im Fall des
Scheiterns. „Mein Wunsch ist es, dass wir eine Einigung erzielen, und dass
die FT (Financial Times) und andere Zeitungen morgen titeln, dass die EU
erfolgreich eine „Mission Impossible“ gemeistert hat“, sagte er dem
Redetext zufolge. Kurz darauf unterbrach er den Gipfel für Gespräche im
kleinen Kreis. Geplant waren 45 Minuten Pause – es wurden rund sechs
Stunden.
Vom längsten Gipfel in der Geschichte der EU ist man am Montagmorgen noch
rund 24 Stunden entfernt. Damals, im Jahr 2000 im französischen Nizza,
hatten die Staats- und Regierungschef einen neuen EU-Vertrag ausgehandelt,
der ein weiteres Zusammenwachsen Europas ermöglichte. So wurden die Weichen
für die Aufnahme der damals noch nicht zur EU gehörenden Länder Mittel- und
Osteuropas sowie von Malta und Zypern gestellt. Erst am frühen Morgen des
fünften Tages waren die Verhandlungen damals zu Ende gegangen – mit einem
Happy End.
Gelingt das auch diesmal? Zumindest Merkel muss sich schon jetzt fragen
lassen, warum sie es nicht geschafft hat, die „Sparsamen“ von der
Notwendigkeit von großzügigen schuldenfinanzierten Zuschüssen zu
überzeugen. Eine mögliche Antwort ist, dass sie den „Sparsamen“ bis vor
kurzem selbst noch sehr nahestand. Den Seitenwechsel zu erklären, ist
schwierig – Corona hin oder her. So zweifeln nicht nur Rutte und Co,
sondern auch etliche Experten, ob zum derzeitigen Zeitpunkt der Krise
wirklich derlei Geldgeschenke nötig sind, wenn die Möglichkeit der Vergabe
von Krediten quasi zum Nulltarif besteht.
Im Kreis der „Sparsamen“ dürften sich viele auch daran erinnern, was für
einen harten Kurs Merkel in der griechischen Finanzkrise gefahren hatte.
Sie argumentieren nun, dass Länder wie Italien auch deswegen vor so großen
Schwierigkeiten stehen, weil sie jahrelang notwendige Reformen aufgeschoben
haben. Die „Sparsamen Vier“ sind gemeinsam mit Deutschland jene Staaten,
die pro Kopf, aber auch in Bezug auf ihre Wirtschaftskraft, am meisten Geld
in den EU-Haushalt einzahlen – kein Wunder, dass sie genau wissen wollen,
was mit ihrem Geld geschieht.
Denn wenn nicht rückzahlbare Zuschüsse in Milliardenhöhe fließen, könnte
das nach Meinung der „Sparsamen“ dazu führen, dass Reformen weiter nur
zögerlich angepackt werden. Das Horrorszenario: Erst finanzieren sie die
EU-Milliardenzuschüsse für Italien – und dann wird dort doch bei der
nächsten Wahl der Rechtspopulist, Lega-Chef und Ex-Innenminister Matteo
Salvini zum Ministerpräsidenten gewählt.
Am Montagmorgen – nach sechsstündiger Unterbrechung für Gespräche im
kleinen Kreis – kam dann doch noch mal Bewegung in den Gipfel. Für wenige
Minuten kamen noch mal alle 27 Staats- und Regierungschefs im Plenum
zusammen. Dann die Nachricht: Am Nachmittag soll es weitergehen, um 16.00
Uhr. Als Kompromiss zirkulieren 390 Milliarden Euro an Zuschüssen. Von
einer Grundsatzeinigung zu sprechen ist dennoch zu früh – etliche Fragen
sind noch ungeklärt.
Dennoch: Sollte nach den schwierigen Verhandlungen doch noch erstmals eine
gemeinsame Schuldenaufnahme stehen, wäre das ein historischer Schritt für
die EU.
Als Merkel am Montagmorgen mit ihrer Delegation – darunter ihr
Europa-Berater Uwe Corsepius und Regierungssprecher Steffen Seibert – um
Punkt 6.00 Uhr das Gipfelgebäude verließ, wirkte sie entspannt,
konzentriert. Die Kanzlerin trug einen weißen Mund-Nasen-Schutz, schaute
kurz auf ihr Smartphone, wechselte ein paar Sätze mit Corsepius.
Merkel musste mehrere Minuten warten, für sie eine eher ungewohnte
Situation. Der Grund: Für alle 27 Delegationen gibt es nur einen Ausgang,
die Kanzlerin stand so lange im Stau, bis ihr Fahrzeug vorfahren konnte.
Und so, wie die „Sparsamen Vier“ versucht haben, sie bei den Beratungen
auszubremsen, gilt auch hier: Für Kanzlerinnen gibt's auf diesem Gipfel
keine Vorfahrt.
20 Jul 2020
## LINKS
[1] https://twitter.com/BarendLeyts/status/1285066137563287558
[2] /EU-Gipfel-geht-in-die-Verlaengerung/!5701285
[3] https://twitter.com/sebastiankurz/status/1284994215949340683
[4] https://twitter.com/sebastiankurz/status/1285069867629125638
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