| # taz.de -- EU-Gipfel einigt sich bei Corona-Aufbaufonds: Der Kompromiss der vi… | |
| > Nach zähem Ringen einigen sich die EU-Staats- und Regierungsschefs am | |
| > frühen Morgen. Die Förderung wird an Rechtsstaatlichkeit geknüpft. | |
| Bild: Zwei, die sich vertragen: Macron und Merkel am Dienstagmorgen in Brüssel | |
| Brüssel dpa/afp/taz | Einen Rekord hat der Brüsseler Marathon-Gipfel am | |
| Ende doch noch ganz knapp verpasst. Er war nicht das längste Treffen der | |
| EU-Staats- und Regierungschefs aller Zeiten. Der Gipfel von Nizza sei noch | |
| 25 Minuten länger gewesen, teilte der EU-Rat am Dienstagmorgen im | |
| Kurzbotschaftendienst Twitter mit. Vier Tage und vier Nächte hatten die | |
| EU-Staats- und Regierungschefs seit Freitag um den Corona-Aufbaufonds und | |
| den nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen gerungen. Ursprünglich hatte das | |
| Treffen nur zwei Tage dauern sollen. | |
| Immerhin steht nun doch ein zäh errungenes Ergebnis: Im Kampf gegen die | |
| Corona-Wirtschaftskrise haben sich die EU-Staaten auf das größte Haushalts- | |
| und Finanzpaket ihrer Geschichte geeinigt: Es hat einen Umfang von 1,8 | |
| Billionen Euro. Der Kompromiss wurde am frühen Dienstagmorgen in Brüssel | |
| von den 27 Mitgliedstaaten angenommen. | |
| Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich erleichtert. „Das war nicht | |
| einfach“, sagte die CDU-Politikerin. Für sie zähle aber, „dass wir uns am | |
| Schluss zusammengerauft haben“. Der Haushalt sei auf die Zukunft Europas | |
| ausgerichtet. „Historischer Tag für Europa“, schrieb der französische | |
| Präsident Emmanuel Macron auf Twitter. | |
| Das Paket umfasst 1.074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen | |
| Haushaltsrahmen bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und | |
| Investitionsprogramm. Damit will sich die Europäische Union gegen den | |
| beispiellosen Wirtschaftseinbruch stemmen und den EU-Binnenmarkt | |
| zusammenhalten. Gleichzeitig soll in eine digitalere und klimafreundlichere | |
| Wirtschaft investiert werden. Dafür werden erstmals im großen Stil im Namen | |
| der EU Schulden aufgenommen und gemeinsam über Jahrzehnte getilgt. | |
| Auch EU-Ratschef Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der | |
| Leyen feierten den Beschluss als historisch. „Wir haben es geschafft“, | |
| sagte Michel. Das sei der richtige Deal für Europa jetzt. „Wir sind uns | |
| bewusst, dass dies ein historischer Moment in Europa ist“, ergänzte von der | |
| Leyen. | |
| Sie erinnerte daran, dass die fast 100 Stunden Verhandlungen während der | |
| vier Tage und Nächte des Gipfels mehrfach am Rand des Scheiterns standen. | |
| „Das ist schon eine Achterbahn der Gefühle“, sagte von der Leyen. Der | |
| Moment des Erfolgs sei jedoch atemberaubend. „Das ist etwas, was wir beide | |
| nie vergessen werden“, sagte sie zu Michel. | |
| Erst am Montag waren zwei der umstrittensten Einzelpunkte gelöst und damit | |
| der Weg zum Gesamtdeal frei gemacht worden. Zum einen fand man endlich | |
| einen Kompromiss zum Kern des Corona-Programms: Die sogenannten sparsamen | |
| Staaten akzeptierten, dass gemeinsame Schulden aufgenommen werden und das | |
| Geld als Zuschuss an EU-Staaten geht. | |
| Im Gegenzug willigten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ein, die | |
| Summe dieser Zuschüsse aus dem Corona-Programm von 500 Milliarden Euro auf | |
| 390 Milliarden zu verringern. Dazu kommen 360 Milliarden Euro, die als | |
| Kredit vergeben werden. | |
| Der zweite Knackpunkt wurde dann am Montagabend geklärt: Man fand eine | |
| Formel zur Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit, die alle 27 | |
| Staaten annahmen. Zuvor hatten sich Polen und Ungarn strikt gegen einen | |
| solchen Rechtsstaatsmechanismus gewehrt, zumal gegen beide Staaten | |
| Verfahren wegen Verletzung von EU-Grundwerten laufen. Etliche EU-Staaten | |
| beharrten jedoch auf dem Mechanismus. Die Kompromissformel wurde von | |
| mehreren Staaten erarbeitet und in der Runde der 27 gebilligt. | |
| Während EU-Vertreter sie als wirksame Koppelung bezeichneten, zitierte die | |
| polnische Nachrichtenagentur PAP polnische Regierungsquellen mit der | |
| Einschätzung, die Koppelung sei gestrichen worden. Ungarische Medien | |
| feierten die Einigung als Sieg für Ministerpräsident Viktor Orbán. | |
| Von der Leyen und Michel bestritten, eine starke Lösung sei zugunsten des | |
| Kompromisses geopfert worden. Mit qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten | |
| könnten bei Verstößen Maßnahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen. | |
| Zufrieden äußerte sich auch der niederländische Ministerpräsident Mark | |
| Rutte, der die Rechtsstaatsklausel zur Bedingung für eine Zustimmung | |
| gemacht hatte. „Damit können die Auszahlungen gestoppt werden.“ Er ergänz… | |
| aber: „Mein Ziel ist nicht, die Notbremse zu ziehen.“ | |
| Von der Leyen selbst äußerte auch Kritik an einigen Kompromissen. So seien | |
| der Haushaltsrahmen und das Corona-Hilfsprogramm – der offizielle Name ist | |
| Next Generation EU – stark verändert worden. Einschnitte habe es bei | |
| Finanzen für Gesundheit, Migration und Investitionen in Drittstaaten | |
| gegeben. „Das ist bedauerlich“, sagte von der Leyen. | |
| Die „Sparsamen Vier“ – die Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden … | |
| erreichten etliche teure Zugeständnisse. Sie sollen deutlich höhere | |
| Nachlässe auf ihre Einzahlungen in den EU-Haushalt bekommen als | |
| ursprünglich vorgesehen. So wurde etwa die jährliche Rabattsumme für | |
| Österreich von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben, was | |
| einer Steigerung um 138 Prozent entspricht. | |
| Der Linken-Europapolitiker Martin Schirdewan äußerte sich kritisch. „Der | |
| Gipfel war eine große Enttäuschung für diejenigen, die hofften, Solidarität | |
| sei ein gemeinsames Gut in der EU“, erklärte der Fraktionschef seiner | |
| Partei im Europaparlament. „Die politischen Chaostage in Brüssel bestärken | |
| jedes Mitgliedsland darin, künftig seine Egoismen auf Kosten der | |
| Gemeinschaft durchzusetzen.“ | |
| Nun muss noch das EU-Parlament zustimmen. Von der Leyen kündigte | |
| Verhandlungen ab nächster Woche an. Kanzlerin Merkel sagte „sehr schwierige | |
| Diskussionen“ mit dem Europaparlament voraus. | |
| 21 Jul 2020 | |
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