# taz.de -- Ungarischer Politiker über EU-Gipfel: „Es geht immer um Geld“ | |
> Die Einigung, Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit zu sanktionieren, tauge | |
> nicht, sagt der ungarische Politiker Benedek Jávor. Denn genau das wolle | |
> Orbán. | |
Bild: Protest für Medienfreiheit am 24. Juli in Budapest | |
taz: Herr Jávor, nach dem jüngsten EU-Gipfel hat [1][Ungarns Premier Viktor | |
Orbán] stolz verkündet, er habe abwenden können, dass EU-Zahlungen künftig | |
an Rechtsstaatlichkeit gekoppelt werden. Andere Regierungschefs hingegen | |
behaupteten, es gäbe mit der Gipfeleinigung nun einen | |
Rechtsstaatsmechanismus. Was stimmt? | |
Benedek Jávor: Zumindest stimmt, dass der Text der Gipfeleinigung auf einen | |
Mechanismus eingeht, der EU-Zahlungen an die Einhaltung von | |
Rechtsstaatlichkeit koppelt. Auch wurden einige neue Mechanismen | |
angestoßen, beispielsweise ein zusätzliches Verfahren gegen Korruption. | |
Aber wer hier ein wirksames Mittel sieht, ist naiv. In Wahrheit wurde beim | |
Gipfel das Thema Rechtsstaatlichkeit auf die lange Bank geschoben. Denn die | |
konkrete Umsetzung bleibt völlig unklar. | |
Der Gipfel wurde als Chance gesehen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in | |
der EU zu stärken. Warum blieb der Mechanismus so unkonkret? | |
Priorität der Gipfelteilnehmer war, sich auf ein Finanzpaket gegen die | |
Folgen [2][die Coronakrise] zu einigen. Auch Staaten, denen | |
Rechtsstaatlichkeit am Herzen liegt, etwa den skandinavischen Ländern, | |
hatten andere Probleme. Sie brauchen in der Coronakrise dringend Geld – und | |
dafür auch die Zustimmung Ungarns. Im Gegenzug haben sie nicht mehr auf | |
klare Bestimmungen bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien | |
bestanden. | |
Nationale und finanzielle Interessen haben also über gemeinsame europäische | |
Werte triumphiert? | |
Haben Sie jemals von einer Diskussion im Europäischen Rat gehört, bei der | |
es nicht so war? Es geht immer um Geld. | |
Wie stehen Orbáns Chancen, sich nie mit einem wirksamen | |
Rechtsstaatlichkeitsverfahren rumschlagen zu müssen? | |
Orbán hat Zeit gewonnen und nun die Chance, die Diskussion in der EU rund | |
um ein solches Verfahren weiter zu unterlaufen. Schafft er es, dass es bei | |
einer politischen Diskussion bleibt, kann man den Mechanismus endgültig | |
abhaken. Orbán ging es in Wahrheit nie um die europäische Einmischung in | |
innenpolitische Angelegenheiten. | |
Sondern? | |
Um Geld. Die Coronakrise hat Ungarn wirtschaftlich hart getroffen und die | |
Situation wird in den kommenden Monaten nicht besser werden. In den | |
vergangenen Jahren hing die wirtschaftliche Entwicklung Ungarns fast völlig | |
von EU-Mitteln ab. Orbán weiß genau, dass es seine Macht destabilisiert, | |
wenn er von der EU kein oder weniger Geld bekommt. Die Wirtschaft ist | |
vielen Ungarn wichtiger als unabhängige Gerichte oder freie Medien. Und nun | |
hat Orbán von der EU ein sehr großzügiges Angebot bekommen: Er selbst | |
spricht von 3 Milliarden Euro zusätzlich – auch wenn die Summe fraglich | |
ist, weil die Auszahlungsmechanismen noch unklar sind. | |
Wie hat die Opposition in Ungarn auf die Einigung beim EU-Gipfel reagiert? | |
Einige oppositionelle Stimmen in den sozialen Netzwerken und verbliebenen | |
kritischen Medien versuchen optimistisch zu bleiben – zumindest sei der | |
Rechtsstaatsmechanismus nicht komplett vom Tisch. Ohnehin hatten die | |
wenigsten die Hoffnung, dass sich mit dem Gipfel die europäische Haltung | |
gegenüber der ungarischen Regierung ändern würde. Sie sind von den EU-Deals | |
hinter geschlossenen Türen frustriert. Andere sagen: Es braucht | |
Direktzahlungen an NGOs sowie an Städte und Gemeinden, die sonst vielleicht | |
leer ausgehen würden, weil sie von der Opposition geführt sind. Denn | |
EU-Mittel werden ja zentral von der Regierung weitergereicht. | |
Gegen Ungarn läuft das Artikel-7-Verfahren – einziges Mittel der EU, um | |
gegen demokratische Mängel bei Mitgliedern vorzugehen. Was wurde daraus? | |
Seit zwei Jahren ist kaum etwas vorangegangen. Die Durchführung bedarf der | |
Einstimmigkeit im Europäischen Rat. Kroatien, das gute Beziehungen zu | |
Ungarns Regierung hat, hat in den letzten sechs Monaten alle Bemühungen | |
blockiert. Bei drohenden Sanktionen können sich auch Polen und Ungarn | |
gegenseitig mit ihren Vetos stützen. | |
Welche Kriterien fordern Sie für ein neues Rechtsstaatsverfahren? | |
Ein solches Verfahren braucht eine klare Definition. Die Initiative sollte | |
nicht bei politischen Gremien liegen, sonst haben wir Jahre verbitterter | |
Diskussionen im Europäischen Rat vor uns. Der Punkt ist: Können wir einen | |
klaren Mechanismus entwickeln oder bleiben die Kriterien schwammig? Dann | |
werden Orbán und andere illiberale Regime in der EU leichtes Spiel haben. | |
31 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
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