| # taz.de -- Bilanz der Saison des Bremer Theaters: Spielen mit der Seuche | |
| > Gute Zahlen, künstlerisch eher mittel hinter Hamburg und Hannover und | |
| > seit Monaten im Lockdown: Die Spielzeit des Bremer Theaters ist vorbei. | |
| Bild: Saisonhöhepunkt „Jugend ohne Gott“: schon vor Corona mit Scheiben | |
| Bremen taz | Bis gar nichts mehr ging, lief es zahlenmäßig bestens fürs | |
| Theater Bremen. Darauf verwies Intendant Michael Börgerding während der | |
| Pressekonferenz zur Zukunft des Hauses. Die Spielzeit 2019/20 sei bis zum | |
| coronabedingten Saisonabbruch an der Kasse die erfolgreichste seiner acht | |
| Jahre in Bremen gewesen. Der Einnahmeverlust von bisher einer Million Euro | |
| durchs Spielverbot konnte zudem durch die eingesparte Lohnzahlungen dank | |
| Kurzarbeitergeld mehr als ausgeglichen werden. Zu Buche steht ein kleiner | |
| Überschuss. | |
| Im Banne von Covid-19 seien dort nur ein Fünftel der geplanten Einnahmen zu | |
| erzielen. Aufgrund der Abstandsregeln dürfen nur 193 Sitze der 890 im | |
| Theater am Goetheplatz sowie 52 der 200 im Kleinen Haus verkauft werden, | |
| der Brauhauskeller als Spielort entfällt. Ob die wenigen Plätze chronisch | |
| „ausverkauft“ sein werden, da ist Börgerding skeptisch. Man habe ja bei der | |
| Wiedereröffnung der Restaurants gesehen, dass die Lokale nicht gerade | |
| gestürmt wurden. | |
| Und auch bei weiteren Lockerungen der Distanzgebote müsse erst mal | |
| abgewartet werden, „ob die Menschen schon wieder Lust haben, nah | |
| beieinander im Theater zu sitzen.“ Gespart werden müsse auf alle Fälle. So | |
| sollen möglichst wenig Gäste engagiert und Produktionen einige Tage en | |
| suite gespielt werden, damit weniger Umbauten notwendig sind. | |
| Künstlerisch war die abgelaufen Spielzeit durchwachsen. Die Oper glänzte | |
| mit seriös modernem Repertoirefutter – mit zwei Ausreißern: grandios | |
| gelungen Marco Štormans Inszenierung der Wolfgang-Rihm-Oper „Jakob Lenz“, | |
| klischeesatter Tiefpunkt die Gala „Pariser Leben“. Im Vergleich zu anderen | |
| norddeutschen Musiktheatern toppen nur die Kollegen in Lübeck und Hannover | |
| mit ihren politisch und ästhetisch avancierteren Premieren die Bremer Oper. | |
| Das Schauspiel lieferte eine zerfasernde Saison. Im gemein zugespitzten | |
| Schnelldurchlauf: Auf den Top-Flop, Mehdi Moradpours „Attentat“, folgten | |
| ein üblich fader Textaufsageabend von Felix Rothenhäusler und zum Ausgleich | |
| Alize Zandwijks darstellerisch mitreißende „Vögel“-Regie. | |
| Konzeptionell verirrt kam Ibsens „Rosmersholm“ daher, der Madonna-Abend | |
| scheiterte als Auseinandersetzung mit der Pop-Phänomenin, Horváths „Jugend | |
| ohne Gott“ wurde in schönster Klarheit erzählt. Beeindruckend die | |
| Jungbürgerbühnen-Inszenierung „Frühlings Erwachen“, vertändelt die | |
| feministische Sicht auf Émile Zolas „Nana“. Schließlich langweilte eine | |
| unambitionierte „Dreigroschenoper“. | |
| Trotzdem reicht es im Nord-Vergleich zu Platz vier der Sprechtheater: Nur | |
| das Hamburger Thalia-Theater und das Deutsche Schauspielhaus spielten eine | |
| deutlich bessere Saison, das Schauspiel Hannover zeigte sich mutiger als | |
| Bremen. Wo die Tanzsparte künstlerisch ins Abseits rutscht, sucht sie doch | |
| weiter nach ihrer Identität zwischen kühler Abstraktion und szenischer | |
| Exaltation. Erfreulich fürs Moks: Klassenausflüge ins Theater sind ab | |
| Herbst wieder erlaubt. | |
| Was die neue Saison verspricht? Maximal wenige Menschen auf der Bühne bei | |
| absolutem Berührungsverbot und Abstandsgebot sind die freudlosen Maßgaben. | |
| Viele Regiehandschriften werden daher aus dem Programm verschwinden, | |
| monologisches Frontaltheater scheint das Format der Pandemie. Erst wenn die | |
| Abstandsregeln fallen, sei wieder Oper möglich, so Börgerding. Der erst mal | |
| nur bis Ende 2020 aufgestellte Spielplan besteht aus uminszenierten | |
| Wiederaufnahmen und mit Blick auf Seuchenschutzregeln konzipierten | |
| Projekten. | |
| Wie so viele andere Häuser auch kündigt das Theater Bremen nun eine | |
| Mono-Oper für Sopranistin und Klavier an: Nadine Lehner singt Francis | |
| Poulenecs „La voix humaine“. Da das Ensemble aber keine Lust hat, nur noch | |
| allein Arien über die Rampe zu schmettern, wird eine Revue mit Duetten, | |
| Terzetten und Ensembles erarbeitet: „Mit Abstand das Schönste“. | |
| Rossinis „L’Italiana in Algeri“ ist „halbszenisch“, also vor allem | |
| konzertant zu erleben, mit John-Lennon-Liedern soll ein weiterer Abend | |
| gestaltet werden und Mozarts „Zauberflöte“ in einer Fassung für zwölf | |
| Musiker und Erzähler auf die Bühne kommen. Die Verluste gegenüber einem | |
| herkömmlichen Opernspielplan sind gravierend, die Gewinne nicht | |
| abzuschätzen, da alles nur klein, nicht innovativ ins Offene gedacht wirkt. | |
| Perspektivisch eine große Veränderung kündigt sich im Schauspiel an. | |
| Weiterentwickeln will es der neue Spartenleiter Stefan Bläske. Bereits 2012 | |
| hatte er sich bei Börgerding als Dramaturg beworben, vergeblich. Warum | |
| jetzt erneut? Ist er doch etabliert als Chefdramaturg des Niederländischen | |
| Theaters Gent in Belgien und hat fünf Jahre intensiv mit Intendant Milo Rau | |
| gearbeitet, der weltweit dafür gerühmt wird, Dokumentartheater als konkrete | |
| politische Aktion aufzusprengen. Künstlerisch begeistert Raus Kunst den | |
| Dramaturgen bis heute, der dabei gepflegte menschliche Umgang allerdings | |
| nicht. Bläske ersehnt sich Theater als arschlochfreie Zone. „Ich habe | |
| recherchiert, an welchem Haus fair miteinander umgegangen wird und das | |
| Betriebsklima eher familiär ist. Immer wieder wurde Bremen erwähnt.“ | |
| 10 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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