| # taz.de -- Rechte Medien und die bürgerliche Mitte: Unscharfe Grenzen | |
| > Zeitschriften wie „Cato“, „Tichys Einblick“ und „Tumult“ sehen si… | |
| > konservativ. Doch die Grenze zwischen bürgerlich und rechts ist | |
| > durchlässig. | |
| Bild: Nur gegen den „Bolschewismus“ gekämpft: CDU-Rechtsausleger Alfred Dr… | |
| Die deutschen Christdemokraten lebten immer mit dem frommen Selbstbetrug, | |
| die bürgerliche Mitte und nur diese zu repräsentieren. Sie glaubten sich | |
| mit Lippenbekenntnissen [1][gegen Rechte und Reaktionäre] abschirmen und | |
| eine klare Grenze ziehen zu können zwischen Konservativen und Rechten | |
| beziehungsweise Rechtsradikalen. Dieses Gespinst aus Selbstbetrug und Lügen | |
| reißt zwar immer wieder, aber im Großen und Ganzen erlag die Partei der | |
| Fiktion, immun zu sein gegen rechts. | |
| Zuletzt zerfiel dieses Trugbild in Erfurt, als CDU, FDP und AfD einen | |
| ehrgeizigen „Liberalen“ in Thüringen zum Ministerpräsidenten machten. Um | |
| die politische Mitte zu besetzen, beanspruchte die CDU immer die gleich | |
| große Distanz nach rechts und nach links. Das war in der ganzen Zeit der | |
| alten Bundesrepublik eine Kampfparole, die zur Ideologie des Kalten Kriegs | |
| besser passte als zur Realität. | |
| Noch vierzig Jahre nach dem [2][Ende des Zweiten Weltkriegs] beschwor | |
| Alfred Dregger, er habe in Hitlers Armee bis in den Mai 1945 nur gegen den | |
| „Bolschewismus“ gekämpft. Sein Ziehsohn Roland Koch (CDU) führte im | |
| Landtagswahlkampf 1999 eine fremdenfeindliche, der heutigen | |
| Pegida-AfD-Politik ebenbürtige demagogische Unterschriftenkampagne gegen | |
| die Reform des antiquierten deutschen Staatsbürgerschaftsrechts und hetzte | |
| die hessischen Wählerinnen und Wähler gegen Ausländer auf. | |
| Wie durchlässig die vermeintlich stabile Mauer zwischen | |
| Bürgerlich-Konservativen und Rechten ist, zeigt sich besonders an drei | |
| Zeitschriften, die sich als konservativ verstehen, aber tatsächlich weit | |
| nach rechts gerückt sind: Cato, Tichys Einblick und Tumult. Sie widmen sich | |
| programmatisch der Annäherung von Konservativen und Rechten. Das gilt nicht | |
| nur für Themen und Autoren, sondern auch finanziell. | |
| ## Viele Autoren entstammen der mittleren Intelligenzija | |
| Der der AfD nahestehende Unternehmer Thomas Hoof (Manufactum) etwa sponsert | |
| die Zeitschrift Cato mit zehn Seiten umfassenden Anzeigen für seinen | |
| Verlag, in dem Bücher konservativ-rechter Grenzgänger wie Volker Zastrow, | |
| Frank Böckelmann oder Konrad Adam erscheinen, aber auch die Pamphlete | |
| harter Rechter wie Björn Höcke, Alexander Gauland und Jürgen Elsässer. | |
| Viele Autoren entstammen der mittleren Intelligenzija (Gymnasiallehrer, | |
| Lehrbeauftragte, durchs Land reisende Lehrstuhlvertreter und ältere | |
| Privatdozenten). Die unscharfe Grenze zwischen Konservativen und Rechten | |
| zeigt sich besonders klar bei den Themen Migration, Nationalstaat, | |
| Gendergerechtigkeit und Geschichtspolitik, aber auch bei den Gewährsleuten, | |
| die die Autoren, die sich für Konservative halten, für ihre Argumente | |
| zitieren. | |
| Ein emeritierter Literaturwissenschaftler, der sich bei Tumult. | |
| Vierteljahresschrift für Konsensstörung um die Wiederbelebung der alten | |
| Raum- und Geopolitik bemüht, beklagt, „in Deutschland“ werde der | |
| „politische Diskurs im Wortsinne ortlos“, weil die AfD oft „vor | |
| verschlossenen Türen“ stehe, wenn sie an der „politischen Willensbildung“ | |
| teilnehmen wolle. | |
| Ein 62-jähriger Privatdozent polemisiert gegen die Pflicht von Parteien, | |
| ihre Finanzquellen zu veröffentlichen, und die Verletzung des | |
| Gleichheitsgrundsatzes, weil von 223 Genderprofessuren nur 10 von Männern | |
| besetzt seien. Ein anderer Autor kritisiert den „moralischen | |
| Universalismus“ mit Berufung auf „die Sorgen des Normalbürgers“, der dur… | |
| „das unablässige massenmediale Warnen vor der drohenden Klimakatastrophe | |
| nur in Angst und Schrecken versetzt werde. | |
| ## Im Dunstkreis der NPD | |
| Tumult ist sich auch nicht zu schade, das Bekenntnis eines 32-jährigen | |
| Geschichtsstudenten abzudrucken: „Meine Metamorphose zum Judenfeind | |
| verdanke ich also absurderweise den schärfsten Kritikern des | |
| Antisemitismus: meinen Lehrern, meinem Vater und den Nachrichtensprechern“, | |
| die ihn mit historischer Aufklärung zum Nationalsozialismus be- und | |
| überlastet hätten. | |
| Der Student hält Vorträge im Dunstkreis der NPD und brachte ein Buch heraus | |
| mit dem Titel „Der weiße Ethnostaat“. Ein weiterer Privatdozent, der den | |
| Verlust „unserer Sprache“ beklagt, begründet dies mit dem Hinweis auf den | |
| rechten Historiker Rolf Peter Sieferle und dessen These, „dass in den | |
| Industrieländern selbst“ durch den „negativen Input“ der Einwanderer „… | |
| Intelligenzhemmnissse entstanden sind“. | |
| In allen drei Zeitschriften gehören die deutsche Geschichte und deren | |
| Begradigung zum Dauerthema. Zwei Autoren enttarnen den US-Präsidenten | |
| Roosevelt als „Hintermann des Zweiten Weltkriegs“ und berufen sich dabei | |
| auf Pamphlete des rechtsradikalen Generalmajors a. D. und Hobby-Historikers | |
| Gerd Schultze-Rhonhof. Cato. Magazin für eine neue Sachlichkeit hält sich | |
| sogar einen Geschichtslehrer als einzigen ständigen Mitarbeiter. | |
| Andreas Lombard (alias Andreas Krause) – Gründer und Chefredakteur von | |
| Cato, ehemaliger Mitarbeiter des AfD-Mäzens Thomas Hoof und Preisträger des | |
| von der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit verliehenen | |
| Gerhard-Löwenthal-Preises – stellt sich nicht wörtlich, aber faktisch | |
| hinter Ralf Höcker von der CDU-Werteunion, der die Linkspartei als | |
| „Mauermörderpartei“ bezeichnet und „den unerträglichen Zustand mit | |
| Linksextremisten in der Regierung“ Thüringens beenden möchte. | |
| ## Kampfansage an die „gesellschaftliche Mitte“ | |
| Lombard sieht im „Kampf gegen rechts“, den SPD, Linke und Teile der CDU | |
| nach den jüngsten Terroranschlägen von Rechten endlich auf die politische | |
| Tagesordnung gesetzt haben, eine Kampfansage an die „gesellschaftliche | |
| Mitte“. Für Roland Tichy, den Herausgeber von Tichys Einblick. Standpunkte | |
| zu Politik, Wirtschaft und Kultur, dagegen ist die Welt ziemlich in | |
| Ordnung. Angesichts der 24 Morde von Rechtsradikalen zwischen 1980 und 2020 | |
| allein in Bayern schreibt er: „Rechtsextremistische Gewalttaten werden in | |
| Deutschland ohne Wenn und Aber verfolgt.“ | |
| Ein Gymnasiallehrer ruft in der Zeitschrift Cato zur Revision der Debatte | |
| um Schuld und Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf. | |
| Nicht die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten des | |
| wilhelminischen Kaiserreichs sollen demnach die wesentliche Verantwortung | |
| tragen, sondern Raymond Poincaré, der französische Präsident. | |
| So weit gingen nicht einmal die konservativen Gegner des Historikers Fritz | |
| Fischer (1908–1999), der die These vom deutschen „Griff nach der Weltmacht�… | |
| 1967 begründet hat. Der Gymnasiallehrer hat zwar für seine Revision der | |
| Geschichte keine wissenschaftlichen Argumente, aber zwei patente linke | |
| Verschwörer: | |
| „Habermas und Wehler haben die Auseinandersetzung“ über die deutsche | |
| Kriegsschuld im Historikerstreit von 1986 ff. „vom Zaun gebrochen“ und die | |
| „irgendwie grün-rot-feministische Regenbogenideologie“ dank ihrer | |
| „Einflusspositionen im Kulturbetrieb“ durchgesetzt. Seither, so der Autor, | |
| herrsche „Uniformität der Auffassungen. […] Was einmal bürgerliche | |
| Öffentlichkeit oder akademischer Freiraum war, existiert nicht mehr.“ | |
| ## Der rosarote Kommunismus geht um | |
| Für Alexander Gaulands persönlichen Referenten Michael Klonovsky sind es | |
| die „Identity Politics“, die als Wiedergänger des „Gespensts des | |
| Kommunismus“ durch die Gegend laufen, und für einen Schuldirektor a. D. | |
| bilden die „Umtriebe der Gender-Ideologie“ das Gespenst des „rosa | |
| Kommunismus“. | |
| Viele Autoren der drei Zeitschriften kommen von den Konservativen her, | |
| stehen aber heute der AfD nahe und verstehen sich als Transmissionsriemen | |
| für eine Bewegung, mit der die AfD gleichsam salon- und koalitionsfähig | |
| gemacht werden soll. Die Gefahr für die Demokratie geht nicht vom „Flügel“ | |
| der AfD aus, sondern von der Annäherung und Kooperationsbereitschaft der | |
| Konservativen in der CDU/CSU mit den moderaten Rechten, deren | |
| selbsternannte Vor- und Kanalarbeiter in den rechten Zeitschriften werken | |
| und wirken. | |
| Im Gegensatz zur eher rechtspopulistisch orientierten Zeitung Junge | |
| Freiheit, die in „Klima-Hysterie“ und „Mythos Klimakatastrophe“ einen | |
| Vorwand sehen, „um die Folgen der Migrationspolitik zu verschleiern“, | |
| kostümieren sich die drei rechten Zeitschriften seriös und vermeiden offen | |
| rassistische Begriffe und Argumente weitgehend. Dies auch aus dem | |
| durchsichtigen Grund, im medialen Betrieb satisfaktionsfähig zu bleiben wie | |
| Götz Kubitschek in seiner Zeitschrift Sezession und die Autoren in den | |
| [3][Büchern seines Verlags „Antaios“]. | |
| 3 Jun 2020 | |
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