# taz.de -- Umgang mit rechten Büchern in Bibliotheken: Finger weg oder anscha… | |
> Gibt es Bücher, die öffentliche Bibliotheken besser nicht anschaffen | |
> sollten? Und wenn ja, wo verlaufen die Grenzen? Die Diskussion ist im | |
> vollen Gange. | |
Bild: Rechte Literatur auf engstem Raum: Das Giftregal eines taz-Mitarbeiters | |
BREMEN taz | Da ist aktuell zum Beispiel Gerhard Wisnewskis „Das andere | |
Jahrbuch“ aus dem auf rechte Literatur und Verschwörungstheorien | |
spezialisierten Kopp-Verlag. „Verheimlicht, vertuscht, vergessen“ lautet | |
der Untertitel des Werkes, in dem der Autor aufdecken will, „was 2018 nicht | |
in der Zeitung stand“. Wisnewski spekulierte zuvor bereits mit dem Buch | |
„Mythos 9/11“ über die angeblich wahren Hintergründe der Anschläge vom 1… | |
September. | |
Nun fragt er, ob der Einsturz der Brücke in Genua womöglich eine Sprengung | |
war, es beim NSU-Terror vielleicht doch nicht um rassistische Morde ging, | |
und ist der Medizinindustrie, Merkel und dem Migrationspakt auf der Spur. | |
„Sektenartig“ sei das Buch, urteilt der Deutschlandfunk, „mit Hang zu | |
Verschwörungstheorien“. | |
Es sind Titel wie dieser, die vielen MitarbeiterInnen öffentlicher | |
Bibliotheken in letzter Zeit [1][Kopfzerbrechen bereiten]. Verlage wie | |
„Kopp“, „Manuscriptum“ oder auch „Antaios“ mit seinen Verbindungen … | |
extremistische neurechte Szene feiern Erfolge bei einem breiteren Publikum. | |
Es besteht ein Angebot und eine immer größere Nachfrage. | |
Dabei gehört es zur Strategie der neuen Rechten, mit einer „Metapolitik“ im | |
vorpolitischen Raum die gesellschaftlichen Diskurse zu bestimmen und zu | |
besetzen. Dass es nicht dabei bleiben soll, schreibt Götz Kubitschek, | |
Gründer des Antaios-Verlages, bereits 2007: „Unser Ziel ist nicht die | |
Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein | |
Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, | |
sondern die Beendigung der Party.“ | |
Extreme Rechte wie Kubitschek wollen mit Werken, die sich nicht eindeutig | |
dem neonazistischen Spektrum zuordnen lassen und dennoch völkisches Denken | |
und Hetze verbreiten, in den gesellschaftlichen Kanon eindringen und | |
versuchen dazu auch die Bibliotheken zu nutzen. | |
Und das geschieht auf verschiedenen Wegen. Die Bremer Stadtbibliothek | |
berichtet beispielsweise davon, dass eine Prüfung der Kundenwünsche zu | |
rechten Medien auch deshalb dringend erforderlich sei, „da Bibliotheken und | |
auch der Buchhandel regelmäßig gezielt mit Nachfragen und Wünschen von | |
vorgeblichen Kund*innen überhäuft werden, um gesellschaftliche Nachfrage zu | |
suggerieren“. In Bremen habe es zudem Fälle von Mediengeschenken aus dem | |
rechten Spektrum gegeben, wie etwa ein Geschenkabonnement der Jungen | |
Freiheit einer angeblichen Kundin. Das Angebot wurde abgelehnt. | |
Die Stadtbibliothek begegnet dem mit einem aufmerksamen Lektorat. Medien | |
aus Verlagen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen seien, würden weder aktiv | |
bestellt noch auf Kundenwunsch für die Stadtbibliothek erworben. | |
Und doch: Auch in Bremen landen solche Bücher im Regal – etwa Wisnewskis | |
„anderes Jahrbuch“. Denn das findet sich derzeit auf Platz 13 der | |
Spiegel-Bestseller-Liste. Und wie viele öffentliche Bibliotheken bezieht | |
man auch in Bremen die Titel verschiedener Bestseller-Listen über „Standing | |
Order“, also per Dauerauftrag, „um den Bürgerinnen und Bürgern aktuell | |
stark gefragte und diskutierte Titel schnell anbieten zu können“. Später | |
werden diese Teil des regulären Bestands. | |
Aber was dann? Wie umgehen damit, wenn etwa Thilo Sarrazin mit seinem | |
Bestseller „Feindliche Übernahme“ erklären will, wie der Islam die | |
Gesellschaft bedrohe, er dabei aber, wie die FAZ in einer Rezension | |
urteilt, Statistiken unvollständig wiedergibt, tendenziöse Stellungnahmen | |
einholt und zwar einen seriösen Eindruck erwecken will, aber | |
wissenschaftlicher Nachprüfung nicht standhält? Kann man ein solches Buch | |
unkommentiert als Sachbuch über den Islam ins Regal sortieren? | |
In den Bremer Stadtbibliotheken sind von Sarrazins „Feindlicher Übernahme“ | |
insgesamt zehn Exemplare auszuleihen. In seinem Fall sind online in der | |
Annotation mehrere Links beigefügt, einordnend auch zu drei Rezensionen – | |
darunter zu der sehr kritischen aus der FAZ. Von Wisnewskis | |
Verschwörungsjahrbuch stehen in Bremen ebenfalls zahlreiche Exemplare, | |
allein drei in der Zentralbibliothek. Verweise finden sich hier indes | |
nicht. | |
Bücher, die manipulierend und einseitig tendenziös sind, einzuordnen, sie | |
durch weitere Werke zum Thema zu flankieren und so eine aufgeklärte | |
Diskussion darüber zu ermöglichen, ist ein Weg, den Bibliotheken im Umgang | |
mit Werken aus verschwörungstheoretischen und rechten Verlagen gefunden | |
haben. Doch die Diskussion läuft seit Jahren – und das durchaus kontrovers. | |
Auf der einen Seite sind da Bibliotheken wie die Stadt- und | |
Landesbibliothek Potsdam, die zuletzt einen Schwung an Büchern aus rechten | |
Verlagen angeschafft hatte – „um allen Bürgern eine Meinungsbildung zu | |
ermöglichen und der Nachfrage zu entsprechen“, wie es Direktorin Marion | |
Mattekat der Märkischen Allgemeinen erklärte. | |
Die Hamburger Bücherhallen sehen das anders. Bücher aus dem Kopp-Verlag | |
werden hier grundsätzlich von Lieferanten nicht mehr bezogen, ohne dass | |
explizit danach gefragt werde. Das Jahrbuch von Wisnewski kam in Hamburg | |
noch als Bestseller an, sei aber zurückgeschickt worden, erklärt Frauke | |
Untiedt, die Leiterin der Zentralbibliothek und künftige Direktorin der | |
Bücherhallen. „Bücher, die sachlich falsche Informationen verbreiten, | |
möchten wir nicht im Bestand haben“, sagt sie. „Wir wollen die Gesellschaft | |
näher zusammenbringen, nicht spalten.“ | |
Auch nach den Äußerungen des Autors Akif Pirinçci war für sie und ihre | |
KollegInnen eine Grenze erreicht. Pirinçci hatte auf einer | |
Pegida-Demonstration in Dresden im Oktober 2015 unter anderem von | |
Asylbewerberinnen als „flüchtenden Schlampen“ und einer „Moslemmüllhald… | |
gesprochen. Die Bücherhallen nahmen daraufhin das komplette Werk des Autors | |
aus dem Programm – neuere politische Schriften wie „Die große Verschwulung… | |
ebenso wie seine früheren Katzenromane. „Wir (Direktion, Lektorat, | |
Mitglieder des Kollegiums) waren der Meinung, dass Akif Pirinçci […] den | |
demokratischen Konsens verlassen hatte“, hieß es dazu in einer Erklärung an | |
einen Nutzer. | |
An nicht weniger als an Bücherverbrennung erinnerte das die Hamburger AfD. | |
Sie wandte sich im Frühjahr 2018 an den Senat. Der aber sah keinen Anlass | |
zur Beanstandung. Alle Formalien seien eingehalten, die Entscheidung | |
„nachvollziehbar begründet“, hieß es von der Regierung, die ferner auf den | |
regulären Betriebsablauf verwies: Das Angebot der Bücherhallen werde | |
„laufend überprüft und aktualisiert“, ein Auftrag zur Sammlung aller auf | |
dem Buchmarkt erschienenen Titel „besteht hingegen nicht“. | |
Die künftige Bücherhallen-Direktorin Untiedt erklärt das: Bücher würden bei | |
geringer Nachfrage in Hamburg generell schneller aus dem Programm genommen | |
als andernorts und Pirinçcis Katzenkrimis seien ohnehin schon recht lange | |
im Programm gewesen. | |
Die Hamburger Bücherhallen sind mit diesem Kurs nicht allein. Unter anderem | |
die Stadtbibliothek Duisburg hatte Pirinçci ebenfalls aus dem Programm | |
genommen. „Das Lektorat und die Leitung waren sich einig, dass Bücher von | |
menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Autoren nichts in den | |
Beständen einer öffentlichen Bibliothek zu suchen haben“, erklärte dazu | |
Bibliotheks-Direktor Jan-Pieter Barbian. | |
Auf drei Seiten erläuterte Barbian Anfang 2016 den Schritt in der | |
Fachzeitschrift der Bibliothekare und entfachte damit eine lebhafte | |
Debatte. Das politische Klima hätte sich in den vergangenen zwei Jahren | |
spürbar verändert, schrieb er: Meinungsverschiedenheiten würden | |
grundsätzlicher, die Auseinandersetzungen radikaler. Im Falle Pirinçcis | |
handele es sich „nicht um einen Fall von Zensur, sondern um einen | |
notwendigen und berechtigten Eingriff in das Buchangebot einer öffentlichen | |
Bibliothek“. Wenn es um den Respekt vor der Würde des Menschen und den | |
richtig verstandenen Schutz seiner politischen Freiheit gehe, hätten die | |
Bibliotheken ihre Aufgaben aktiv wahrzunehmen: Sie „sollten und können sich | |
in den politisch-sozialen Diskurs einbringen und eine klare Position | |
beziehen“. | |
Das fand bei seinen KollegInnen viele Widerworte. Martin Spieler von der | |
Stadtbibliothek Göppingen kritisierte, dass auch die Romane von Pirinçci | |
verbannt wurden. Eine Auswahl zu treffen sei für eine Bibliothek indes eine | |
gängige Praxis. „Es erscheint mir legitim, solche Medien zu benachteiligen, | |
die sich zum Beispiel grob verfälschender, verzerrender, diskriminierender, | |
beleidigender, ehrverletzender, extrem polemischer oder | |
verfassungfeindlicher Sprache und/oder Argumentation bedienen“, schreibt | |
Spieler in der Fachzeitschrift. | |
Und, er beschreibt seine eigenen Erfahrungen: „Es schmerzt mich zu sehen, | |
was zum Teil auch an meinem eigenen Arbeitsort zu finden ist: Etliche | |
Bücher aus dem Kopp-Verlag, zum Beispiel jüngst 'Mekka Deutschland’ von Udo | |
Ulfkotte, die zum Teil über Abos auf Spiegel-Bestseller-Listen in unsere | |
Bibliotheken gespült werden.“ | |
Arend Flemming steht dagegen für einen offensiven Kurs. Der Direktor der | |
Städtischen Bibliothek Dresden und Honorarprofessor für | |
Bibliothekswissenschaft meint, gerade Werke wie die von Sarrazin gehörten | |
ins Bibliotheksregal. Jeder, auch Menschen mit kleinem Geldbeutel, sollten | |
mitdiskutieren können. „Es schmerzt mich, was in Dresden vorgegangen ist“, | |
sagt Flemming im Hinblick auf den Erfolg der Pegida-Demonstrationen. „Aber | |
deshalb wollen wir die Diskussion mit Absicht in die Bibliothek holen.“ | |
Auch in Dresden würden nicht alle Bücher angeschafft. Manchen seien „an der | |
Grenze zur Erträglichkeit“, sagt Flemming. Niemals aber würden Titel | |
aussortiert, weil man sie für gefährliche halte. „Eine Gefahr sehe ich | |
darin, dass die Leute diese Werke lesen und nicht darüber gesprochen wird, | |
sondern sie sich in Hinterzimmern verbreiten“, sagt er. | |
Sein Rezept: Zu einem Thema diverse Titel anschaffen, offensiv | |
Podiumsdiskussionen veranstalten und ein ausgiebiges Lektorat. | |
4 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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