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# taz.de -- Bibliothekare in der Zwickmühle: Rechte drängen ins Regal
> Die öffentlichen Bibliotheken haben ein Problem: Wie sollen sie mit der
> wachsenden Zahl von rechten Büchern umgehen?
Bild: Stimmungsmache statt Aufklärung: Hassprediger Thilo Sarrazin mit seinem …
Hamburg taz | Wenn um rechte Bücher in Bibliotheken gestritten wird, geht
es schnell um die großen Fragen: Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut,
soll sie wegen den Feinden der Meinungsfreiheit nun eine Einschränkung
erfahren? Die liberale Gesellschaft wurde gegen die Feinde der Aufklärung
erkämpft, soll sie nun wegen dieser Anti-Liberalen ihre Liberalität
einschränken? Wie vernünftig sind die Menschen, und wer maßt sich diese
Bewertung mit welchen Recht an? Wie viel Unvernunft kann eine Demokratie
aushalten?
Bibliotheken gehören zu den wichtigsten Bildungseinrichtungen. In [1][der
Präambel zum Bibliotheksgesetz von Schleswig-Holstein], das seit 2016 in
Kraft ist, heißt es: „Die Bibliotheken sind für alle Menschen frei
zugänglich und gewährleisten damit das Grundrecht, sich aus allgemein
zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können.“ Das gilt auch,
wenn das Geld für neue Bücher nicht reicht – Bibliotheken agieren im
Kernbereich der Aufklärung.
Doch was, wenn diese selbst in Gefahr gerät? Rechtextreme Ressentiments
sind eben nicht bloß eine Meinung. Sie sind ein gesellschaftlicher
Gegenentwurf zu einer plural-liberalen Gesellschaft. Ideologie, das wissen
wir, kann tödlich sein.
Lesen hilft, wird angenommen. Hätten mehr Leute Hitlers „Mein Kampf“
gelesen, so wird manchmal argumentiert, wären sie nicht auf ihn
hereingefallen. Doch wie viel mehr Menschen hätten ihn lesen sollen? Bis
1933 wurden fast 250.000 der Bücher verkauft, die Auflage stieg [2][bis
1944 auf über zwölf Millionen gedruckte Exemplare].
## Aufklärung nicht garantiert
Auch heute können völkisch-nationalistischen Publikationen die Leserschaft
begeistern, sie vielleicht sogar erst für diese Positionen gewinnen.
Grundsätzlich kann man sich nicht darauf verlassen, dass der Zugang zu
Informationen eine aufklärerische Wirkung hat. Die Alliierten haben das so
gesehen: Unter dem Eindruck der Menschheitsverbrechen des
Nationalsozialismus, die sie gerade erst mit beendet hatte, gab etwa die
Militärregierung 1946 in Bremen den Befehl, aus die NS-Literatur aus den
Bibliotheken zu entfernen.
In der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen finden sich heute noch die
Karteikarten mit den damaligen Stempeln: „verboten“ – die eine Ausleihe
verhinderten. Die alte Ausgabe von „Mein Kampf“ steht heute in der
wissenschaftlichen Bibliothek der Uni fürs Quellenstudium im Magazin – und
ist nur einzusehen und nicht auszuleihen, anders als die editierte
kritische Ausgabe von 2016.
In öffentlichen (Stadtteil-)Bibliotheken sind Werke von Nationalsozialisten
fürs Quellenstudium meistens ohnehin nicht im Bestand. Die Frage, welche
Grenzen der Diskurs womöglich hat, muss aber auch hier täglich gestellt
werden: Mit dem Aufwind rechter Kräfte steigen sowohl Angebot wie Nachfrage
nach entsprechender Literatur und Medien. Werke, die nicht als
volksverhetzend eingestuft und dennoch manipulative Propaganda sind – nicht
an Fakten orientiert, sondern an Stimmungsmache.
## Einfallstor Bestsellerliste
Weil es Bücher voller Hetze heute in die Bestsellerlisten schaffen, landen
sie über Daueraufträge auch automatisch in den Bibliotheken, die dann damit
umgehen müssen: Thilo Sarrazin wäre so ein Kandidat. Einer der führenden
Neuen Rechten, der Verleger Götz Kubitschek, meinte: Sarrazin sei ein
„Rammbock“ gewesen: „Das war eine Resonanzbodenerweiterung für uns,
Begriffe wurden ventiliert, die wir seit Jahren zuspitzen, aber nicht im
Mindesten so durchstrecken können, wie Sarrazin das konnte.“ 2010 verlegte
die Deutsche Verlags-Anstalt Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“,
Vorabdrucke erschienen im Spiegel und in Bild.
Und was ist von einem Zitat wie dem folgenden zu halten? [3][„Neben dem
Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein
großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so
fürchte ich, nicht um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘
herumkommen.“] Der Autor ist Björn Höcke, der an anderer Stelle schreibt:
„Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach
oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung,
Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen“, so würden „am Ende noch
genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein“.
Da ist die Frage: Kommt man hier mit einer offenen Debatte noch weiter?
Manche Bibliotheken schicken unsachliche Werke zurück und meiden rechte
Medien, andere schaffen sie extra an. Manche geben Hinweise auf kritische
Rezensionen oder legen Faktenprüfungen bei. Manche flankieren diese
Schriften mit seriöseren Werken, andere veranstalten Podiumsdiskussionen.
Es gibt aber auch Bibliotheken, die klare Grenzen ziehen, denen bestimmte
Bücher nicht in die Regale kommen. Auch das ist im Sinne eines
demokratischen Diskurses.
Mehr zur Diskussion um rechte Literatur in den Bibliotheken erfahren sie in
der gedruckten taz am Wochenende oder [4][hier].
1 Mar 2019
## LINKS
[1] http://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/jportal/portal/t/xyh/page/bss…
[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/hitlers-mein-kampf-nach-wie-vor-kein-f…
[3] https://kritisches-netzwerk.de/forum/verfassungsschutz-gutachten-zur-afd
[4] /!114771/
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Andreas Speit
## TAGS
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