| # taz.de -- Kommentar Rechte Intellektuelle: Heroismus mit Wurstplatte | |
| > Wir haben ein Faszinationsproblem mit den Neurechten: Ihr heldenhafter | |
| > Habitus ist nichts weiter als eine Pose, auf die keiner reinfallen | |
| > sollte. | |
| Bild: Adelt man sie als böse Geisteselite, erfüllt man ihnen ihren innigsten … | |
| Die Kinder des Kulturwissenschaftlers Helmut Lethen und der Identitären | |
| Caroline Sommerfeld sind einer Waldorfschule verwiesen worden und natürlich | |
| habe ich alles darüber gelesen, das bewegende Interview mit Lethen im | |
| Freitag, den voraussehbaren Einwurf von Harald Martenstein und zuletzt die | |
| Gegendarstellung von Volker Weiß in der FAS. Helmut Lethen ist vielen ein | |
| wissenschaftliches Idol, und das mag die Irritation und Faszination | |
| erklären, mit denen wir ein Wiener Familiendrama verfolgen. | |
| Doch wenn man an die Homestorys über den rechten Verleger Götz Kubitschek | |
| und seine Frau Ellen Kositza denkt, die immer gleich funktionieren und | |
| trotzdem von allen gelesen werden, kann man auch zu dem Schluss kommen, | |
| dass das Problem tiefer sitzt – dass wir ein Faszinationsproblem mit den | |
| Rechten haben. Auch deshalb habe ich kürzlich „Tristesse Droite“(Antaios | |
| 2015) ausgeliehen, einen Gesprächsband von Autoren der neurechten | |
| Sezession. | |
| Bei frisch gebackenem Brot, Wurstplatte und anderen deutschen | |
| Köstlichkeiten trifft man sich an vier Abenden bei den Kubitscheks, trinkt | |
| „schweren Rotwein“ und sinniert. Geladen sind zum Beispiel die „heilig | |
| ergriffene“ Edelfeder Martin Lichtmesz oder „der Raskolnikow“, ein | |
| ehemaliger Bundeswehrsoldat mit philosophischen Ambitionen. Sechs Männer, | |
| eine Frau. | |
| Wer sind wir, woher kommen wir, was steht an. Jeder darf seine biografische | |
| Rechtswerdung erzählen, Kubitschek dirigiert, Kositza fragt nach: „Wie | |
| war’s bei Ihnen?“ Es sind Geschichten vom Anders- und Unverstandensein, von | |
| Ausgrenzung und Diskriminierung, Ungerechtigkeit und trotzigem | |
| „Standhalten“. | |
| ## Schutz vor der kalten Moderne | |
| Der pubertäre Weltekel, die Verachtung der Massen- und Konsumkultur und das | |
| Bedürfnis nach Tiefe und Authentizität führen mithilfe der Klassiker auf | |
| den rechten Pfad, aber auch in die Isolation. Es ist nicht leicht, als | |
| Einziger „nicht geblendet, verblendet zu sein“, alles „durchschaut“ zu | |
| haben, von allen gehasst zu werden und nicht zu weinen: | |
| „Es soll jetzt nicht in Lobhudelei ausarten und kein Emo-Rumgeflenne | |
| werden, und wenn doch, dann schlagt mich“, fordert Nils Wegner (mit 26 | |
| Jahren der jüngste Teilnehmer) todesmutig und erzählt dann von seinen | |
| Leiden, seiner Einsamkeit, und wie schön es war, endlich Martin (Lichtmesz) | |
| kennenzulernen. „Weiß nicht, ob man das irgendwie als Kameradschaft | |
| bezeichnen kann, aber irgendwas ist halt da, was man sonst nicht findet.“ | |
| Die Gemeinschaft der Kameraden bietet Schutz vor der kalten Moderne, hat | |
| therapeutische Funktion und befreit von dem Verdacht, dass man falschliegen | |
| könnte. Klar bist du nicht normal, du bist sogar Elite – sprich dich aus! | |
| Die eigene Verzweiflung korrespondiert mit der Schlechtigkeit der Welt, dem | |
| allgemeinen Niedergang von allem. | |
| Für nichts kann man sich opfern, das ist aus Heldenperspektive ärgerlich: | |
| Staat, Familie, „Geschlechter“, Kirche, Schule und Militär sind nicht mehr, | |
| was sie einmal waren; sogar dem lieben Volk tropft mittlerweile „die Gülle | |
| aus dem Maul“. Die Steuern werden ja auch immer höher (und gehen an „die | |
| drei verrotteten Kinder hier im Dorf“). Woran das alles liegen mag? Am | |
| Liberalismus ging die Welt zugrunde, an der Amerikanisierung, der | |
| Dekonstruktion, der Aufklärung, der Reformation – ein bunter Strauß für ein | |
| weites Feld. | |
| ## „Femen-Muschis“ und „Busendummies“ (Lichtmesz) | |
| Dass der faschistische Mann zur Sentimentalität neigt, weiß man seit | |
| Theweleits „Männerphantasien“. Doch zuweilen schlägt die Larmoyanz in | |
| vulgäre Aggression um. Femen-Aktivistinnen heißen dann „Femen-Muschis“ und | |
| „Busendummies“ (Lichtmesz), Kubitschek betrauert das „wehrbereite Volk“… | |
| weißen Südafrikaner, das „alles hätte niederkartätschen können, was da | |
| irgendwie hochkommt“. | |
| Die Identifikation mit dem Apartheidsregime zeigt, dass sich am völkischen | |
| Rassismus der Rechten rein gar nichts geändert hat, Ethnopluralismus hin | |
| oder her. | |
| Das handfeste Problem besteht darin, dass diese Leute regelmäßig | |
| „Akademien“ für Schüler und Studenten ausrichten und dass Männer, die der | |
| Pubertät nie recht entwachsen sind, vielleicht einen besseren Draht zu | |
| Teenagern haben als Erwachsene. | |
| Erhobenen Hauptes, von Tragik umweht, subversiv, allwissend und stählern | |
| schauen sie von dem verlorenen Posten einer Ritterburg auf die kaputte Welt | |
| herab, Arm in Arm, mit einer Träne im Auge und einem menschenfeindlichen | |
| Spruch auf den Lippen. All der Lächerlichkeit zum Trotz hätte ich das mit | |
| 17 vielleicht cool gefunden. | |
| ## 2015 waren die Rechten noch allein und unglücklich | |
| Mittlerweile kursiert das von einigen Publizisten gestreute Gerücht, das | |
| neue rechte Denken sei vielleicht spannender als das linke oder liberale. | |
| Das viel diskutierte und kluge „Mit Rechten reden“ von Per Leo und Co. | |
| bezog sich vor allem auf die Sezessionisten. | |
| Der Respekt, den die Autoren den rechten Querdenkern zollten und der auch | |
| Thomas Wagners Buch über die „Angstmacher“ durchzieht, weckte das Interesse | |
| des Feuilletons, das daraufhin das Gegenbuch „Mit Linken leben“rezensierte, | |
| und es ist wohl nur eine Frage von Wochen, bis Kubitschek einen Gastbeitrag | |
| in der FAZ veröffentlichen darf, was wir natürlich sehr kontrovers | |
| diskutieren werden. Wie man hört, hat die Zeit schon ein Pro & Contra dazu | |
| geplant, wobei die Wahrheit wie immer in der Mitte liegen wird. | |
| 2015 waren die Rechten aber noch allein, unglücklich und ziemlich | |
| unbekannt. Kubitschek beklagt sich bitterlich, dass seine Bücher nicht in | |
| der FAZ besprochen werden, weil er „keine schwule Lyrik aus Brasilien“ | |
| verlegt: „Es ist objektiv ungerecht. […] Und mit dieser ganzen | |
| Zurücksetzung haben wir zu leben, und vielleicht sind wir die, die wir | |
| sind, auch gerade deshalb.“ | |
| Ersteres ist objektiv falsch, Letzteres wahrscheinlich richtig und fein | |
| beobachtet. Wenn man die Kubitscheks als böse Geisteselite adelt, erfüllt | |
| man ihnen ihren innigsten Wunsch. „Tristesse Droite“ bezeugt dagegen | |
| eindrucksvoll „die dünne Substanz der viel diskutierten | |
| Rechtsintellektualität“ (Volker Weiß). Der heroische Habitus ist nichts | |
| weiter als Pose, auf die wir nicht länger hereinfallen sollten. | |
| 24 Feb 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklas Weber | |
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