| # taz.de -- Margarete Stokowski sagt Lesung ab: Ausdruck einer Haltung | |
| > Die „Spiegel“-Kolumnistin möchte nicht in einer Buchhandlung lesen, in | |
| > der neurechte Bücher ausliegen. Ist das bevormundend? | |
| Bild: Margarete Stokowski | |
| Die Debatten innerhalb der Buchbranche drehten sich zuletzt häufig um | |
| Fragen wie: Dürfen rechte Verlage auf der Buchmesse einen Stand bekommen? | |
| Dürfen, sollen, müssen rechte Autoren und Autorinnen von Podien | |
| ferngehalten werden – oder entlarven sie sich im Gespräch? Sollte das | |
| Feuilleton das neue Buch Thilo Sarazzins besprechen oder sollte es besser | |
| schweigend übergangen werden? | |
| Und noch eine viel grundlegendere Frage führt gerade zu Diskussionen: | |
| Sollten sich Buchhandlungen rechte Titel ins Regal stellen? Unter die Theke | |
| legen? Auf Thementischen einordnen? Oder gar nicht erst verkaufen? | |
| Anstoß gibt der Streit zwischen [1][Spiegel-Kolumnistin] Margarete | |
| Stokowski und der Münchener Buchhandlung Lehmkuhl. Stokowski, Autorin von | |
| „Untenrum frei“ sollte dort im November lesen, gab dann aber bekannt, dass | |
| die Lesung nicht stattfinden wird. | |
| Wie nun [2][aus einer Stellungnahme] Stokowskis hervorgeht, hängt die | |
| Absage damit zusammen, dass bei Lehmkuhl auch Bücher aus dem rechten | |
| Antaios-Verlag ausliegen. Michael Lemling, Geschäftsführer der | |
| Buchhandlung, erklärt wiederum [3][auf Facebook] und [4][im Interview mit | |
| der Süddeutschen Zeitung] seine Sichtweise. Er spricht Stokowski die | |
| „Debattenfähigkeit“ ab und glaubt, dass wir rechte Literatur lesen müssen, | |
| um mit Rechten diskutieren zu können. | |
| Als Buchhändler und Buchblogger fällt mir auf, dass sich solche Konflikte | |
| innerhalb der Buchbranche häufen. Dabei hören diejenigen, die sich | |
| entscheiden, rechtem Gedankengut weder Raum noch Zeit zu geben, häufig die | |
| immer selben Vorwürfe: Das sei [5][Zensur oder mindestens Bevormundung] und | |
| damit eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. | |
| Ich arbeite in einer Kiezbuchhandlung in Berlin. Wir haben uns entschieden, | |
| den neuen Sarazzin weder auszulegen noch einzukaufen – wie so viele andere | |
| Bücher auch. Bisher hat mich noch niemand danach gefragt, und tatsächlich | |
| hat sich auch niemand beschwert, dass das Buch nicht ausliegt. | |
| ## No-Go-Area? | |
| Als eine Aktivistin kürzlich vorschlug, eine Übersicht über alle | |
| Buchhandlungen zu erstellen, die sich dagegen entschieden hatten, Sarazzins | |
| Buch ins Sortiment aufzunehmen, waren viele Buchhändlerinnen und | |
| Buchhändler entrüstet. Der Vorwurf lautete, dass das ein Pranger sei und – | |
| natürlich! – Zensur und eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Angst: | |
| Buchhandlungen öffentlich zu nennen, die das Buch nicht anbieten, stelle | |
| alle nicht genannten Buchhandlungen in ein schlechtes Licht. | |
| Ganz ähnlich klingen auch die Vorwürfe aus der Buchhandlung Lehmkuhl: Der | |
| Geschäftsführer hat den Eindruck, sein Laden werde zur No-Go-Area erklärt; | |
| aufgebrachte Facebook-Kommentatoren sprechen von „Verboten“, von | |
| „Meinungsdiktatur“, und haben das Gefühl, hier werde ungerechtfertigter | |
| Weise ein unschuldiger Buchladen zur „Nazibuchhandlung“ erklärt. | |
| Diese Wahrnehmung ist falsch. Die Buchhandlung ist keine No-Go-Area. Sie | |
| wird auch nicht als „Nazibuchhandlung“ bezeichnet. Sie entscheidet sich nur | |
| dafür, aktiv Bücher rechter Autoren und Autorinnen anzubieten – unter dem | |
| Slogan „Neue Rechte, altes Denken“. Jede Buchhandlung hat die Möglichkeit, | |
| durch Sortiment, Präsentation und Veranstaltungen die eigene Haltung zu | |
| unterstreichen. Margarete Stokowski zieht daraus eben die Konsequenz, an | |
| diesem Ort nicht auftreten zu wollen. Beides ist Ausdruck einer Haltung. | |
| ## Kundenwunsch oder aktives Präsentieren? | |
| Ich frage mich: Wie können wir als Autoren und Autorinnen, als Verleger und | |
| Verlegerinnen, als Buchhändler und Buchhändlerinnen und auch als Leser und | |
| Leserinnen ebenfalls Haltung beziehen? Wie verhindern wir, dass wir uns | |
| ständig an rechten Gedanken und Themen abarbeiten? | |
| Für mich als Buchhändler gibt es einen Unterschied zwischen der Erfüllung | |
| eines Kundenwunsches und dem aktiven Präsentieren rechter Literatur. | |
| Ohnehin treffen wir dauernd aus mehreren tausend Neuerscheinungen eine | |
| Auswahl. Für einen unserer Kunden, der an einem Dokumentarfilm über die AfD | |
| arbeitet, bestelle ich Bücher, die ich selbst bedenklich finde – die er | |
| aber für seine Arbeit braucht. Deshalb müssen die Titel aber noch lange | |
| nicht im Buchladen stehen. | |
| Ich glaube, dass wir den Gedanken der so genannten Neuen Rechten in | |
| Zeitungen, Fernsehsendungen und Debatten bereits viel zu viel Raum geben | |
| und damit Forderungen und Ansichten normalisieren, die vor einiger Zeit | |
| noch undenkbar gewesen wären. Die „Heute Show“ zählte kürzlich nach, dass | |
| in den Sommerinterviews eine Stunde und 18 Minuten lang mit den Politikern | |
| und Politikerinnen über Flucht, Asyl und Migration gesprochen wurde – doch | |
| nur 18 Sekunden lang über Bildung, und gerade einmal sechsundzwanzig | |
| Sekunden über Gesundheit. Ich möchte als Buchhändler eine Gegengewicht | |
| bilden und so laut und deutlich wie möglich sagen: Das lege ich nicht auf | |
| den Tisch. | |
| Deswegen freue ich mich, dass Stokowski mit dieser konsequenten | |
| Entscheidung deutlich gemacht hat, dass sie die Haltung der Buchhandlung | |
| (rechte Bücher anbieten, damit sie sich vielleicht beim Lesen selbst | |
| entlarven), nicht mittragen möchte. Was ich mir wünsche: dass wir die | |
| Lesungs-Absage von Margarete Stokowski zum Anlass nehmen, noch einmal viel | |
| genauer über unsere Haltungen nachzudenken und die Frage, wie wir Position | |
| beziehen wollen – anstatt gleich Zensurvorwürfe zu äußern. | |
| 6 Nov 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Margarete-Stokowski/!a179/ | |
| [2] https://www.rowohlt.de/news/stellungname-margarete-stokowski | |
| [3] https://www.facebook.com/Buchhandlung.Lehmkuhl/posts/2409213205760414?__xts… | |
| [4] https://www.sueddeutsche.de/kultur/lesung-stokowski-muenchen-1.4197825 | |
| [5] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article181457790/Bestseller-Wie… | |
| ## AUTOREN | |
| Linus Giese | |
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