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# taz.de -- Tucholsky-Preis für Margarete Stokowski: „Ich denke dann kurz: J…
> In ihrer Rede zur Preisverleihung spricht die Autorin über Morddrohungen
> und die Untätigkeit des Staates. Die taz veröffentlicht einen Auszug.
Bild: Ausgezeichnet: Margarete Stokowski
Ich freue mich sehr über diesen Preis, aus mehreren Gründen. Weil es ein
Preis ist, natürlich, aber besonders weil es der Tucholsky-Preis ist – und
auch, weil Kolumnenschreiben etwas ist, wofür man gar nicht so leicht
Preise kriegen kann. Es gibt zwar einen Haufen Preise in Deutschland, die
für literarische oder publizistische Tätigkeiten vergeben werden, aber
selten für Kolumnen.
Das ist einerseits verständlich. Die meisten Journalismus-Preise werden für
das vergeben, was offensichtlich sehr viel Arbeit macht: lange Recherchen,
Reportagen, Porträts. Und dann gibt es Literaturpreise, die meist für
Romane vergeben werden.
Nur leider ist das manchmal etwas einseitig – zumindest hatte ich in den
letzten Jahren das Gefühl, wenn man Sachbücher schreibt, dann ist die
Chance sehr klein, dass man mit einem linken, feministischen Buch einen
Preis kriegen wird. Also, sagen wir mal, die Chance, einen Sachbuch-Preis
zu kriegen, ist in Deutschland immer noch sehr viel größer, wenn man über
Hitlers Hunde oder Bismarcks Garten schreibt oder Luthers … Hunde, falls er
welche hatte.
Nun ist es natürlich im Grunde schon eine Ehre an sich, überhaupt eine
eigene Kolumne schreiben zu dürfen, die von vielen Menschen gelesen wird.
Es ist zwar oft eine eher kurze Form von Text, aber dafür auch die
persönlichste.
Die Tatsache, dass es so eine persönliche Textform ist, die zudem meist
nicht ohne Autor_innen-Foto auskommt, suggeriert, dass eine Kolumne das
Werk einer einzelnen Person ist, und das stimmt zwar in gewissem Sinne,
aber dann auch wieder überhaupt nicht.
Denn man bekommt [1][so eine Kolumne] nur, wenn es Leute gibt, die an einen
glauben, und man hält es nur durch, sie über längere Zeit zu schreiben,
wenn es Leute gibt, von denen man weiß: Die sind auf meiner Seite, egal,
was ich mir da diese Woche wieder ausgedacht habe. Und von denen man
zugleich weiß, dass sie Bescheid geben, wenn sie das Gefühl haben, dieses
oder jenes war dann doch etwas daneben.
In diesem Sinne danke ich allen, die um mich herum darauf achten, dass ich
keinen Quatsch mache, die mich unterstützen, inspirieren und kritisieren.
Danke den Menschen, die meine Texte lesen und weiterverbreiten. Danke der
taz, [2][die als Erste meine Texte druckte]. Und natürlich meiner Redaktion
bei Spiegel Online und meinem Verlag Rowohlt. Dass sie mich machen lassen,
und helfen, wenn ich Hilfe brauche.
Heute möchte ich darüber sprechen, was es für mich bedeutet, eine
politische Autorin zu sein. Vor ein paar Monaten habe ich einen Reporter
getroffen, der mich fragte, wie das war, als ich anfing zu schreiben:
„Dachtest du, als du angefangen hast, dass du mal eine so wichtige
feministische Stimme in Deutschland werden würdest?“ Und ich sagte: „Ja,
klar.“ Er: „Ach, wirklich?“ – Und ich musste sehr lachen, weil: Nein, M…
natürlich nicht. Das war ein Scherz gewesen. Ich habe bei der taz mit
Theaterkritik angefangen. Ich will nicht sagen, dass das niemand liest,
aber sagen wir: nicht so viele.
## Man muss sich überlegen, wen man angreift
Irgendwann schrieb ich dann [3][Kolumnen], die am Anfang aber eher eine Art
Tagebuch waren und nicht sehr politisch. Aber je mehr Leute meine Texte
lasen, desto stärker hatte ich das Gefühl, ich sollte diesen Platz, den man
mir gibt, für relevantere Fragen verwenden, und die Texte wurden
politischer.
Das ist die eine Seite: Eine Autorin zu sein, die politische Texte
schreibt, bedeutet für mich Verantwortung. Eine Verantwortung, die größer
wird, wenn die Reichweite der Texte größer wird. Man muss sich gut
überlegen, wen man angreift. Immer nach oben, nie nach unten.
Die andere Seite ist: Eine Autorin zu sein, die politische Texte schreibt,
bedeutet für mich auch, vieles von den hässlichen Seiten dieser Zeit zu
sehen. Ich mache meine Arbeit sehr gerne, ich könnte mir keine bessere
vorstellen. Aber ich frage mich auch: Wie gesund ist das eigentlich, einen
Job zu machen, bei dem man Morddrohungen irgendwann normal findet, und bei
dem man sich daran gewöhnt, dass diejenigen, die diese Drohungen schreiben,
oft nicht gefunden werden?
„Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.“ Das ist eine Aussage von
Tucholsky, die gerne zitiert wird, und ich finde sie gut, aber diese Waffe
haben nicht nur wir, sondern auch die anderen: diejenigen, die Hass
verbreiten, die mit Gewaltandrohungen reagieren.
## Sie ertragen es nicht, die Meinungen von Frauen zu hören
Wer sind diese Leute? Ich weiß es nicht. Ich kenne ihre Namen nur selten.
Aber ich kenne ihre Ängste und ihre Unfähigkeit, mit Veränderung umzugehen.
Veränderung in dem Sinne, dass die Stimmen vielfältiger werden, die heute
hörbar sind.
Sie ertragen es nicht. Sie ertragen nicht, die Meinungen von Frauen zu
hören. Sie ertragen nicht, die Meinungen von jungen Frauen zu hören. Von
Feministinnen zu hören. Von Linken zu hören. Von Migrant_innen zu hören.
Von queeren Menschen zu hören. Sie ertragen es nicht, die Meinungen von
Menschen zu hören, die anders sind als sie selbst.
Wenn ich Lesungen mit meinen Büchern mache, dann fragen auf fast jeder
Veranstaltung Leute nach dem Thema „Hass im Netz“. Meistens ungefähr so:
Was macht der Hass mit Ihnen? Oder: Was war bisher die schlimmste Drohung,
die du bekommen hast? Oder: Wie halten Sie das aus?
Der Witz ist: Es ist keine besonders interessante Frage, ob und wie ich das
aushalte. Ich halte es aus. Die Fragen, die mir zu diesem Thema gestellt
werden, lassen eine Neugier durchscheinen, die ich bisweilen als
Sensationslust beschreiben würde: Wie ist das für diese junge Frau? Geht
sie daran kaputt? Macht es sie zynisch, macht es sie bitter, macht es ihr
Angst?
## Mit Straftaten meine ich nicht Beleidigungen
Ich kann die Neugier ein bisschen nachvollziehen, ich habe aber kein
Interesse daran, sie zu befriedigen. Ich habe ein Interesse daran, zu
sagen, um was für eine politische Situation es sich handelt. Denn die
Fragen nach dem Hass sind meist individuell gestellt, aber das Problem mit
dem Hass ist kein individuelles, und es gibt keine individuelle Lösung
dafür.
Ein Teil der Lösung wäre eine bessere Verfolgung dieser Straftaten, und mit
Straftaten meine ich nicht Beleidigungen. Theoretisch sind das zum Teil
auch Straftaten, aber Beleidigungen sind mir egal, ich beleidige auch Leute
in meinen Texten, es ist okay, wenn was zurückkommt. Mit Straftaten meine
ich Bedrohungen, Einschüchterungsversuche, Aufrufe zu Gewalt.
Denn ich sehe, dass diese Worte manchmal wirken: Ich sehe Autor_innen, die
sich aus sozialen Medien zurückziehen; Journalist_innen, die sich ganz
genau überlegen, ob sie zu einem bestimmten Thema noch mal etwas schreiben;
Kolleg_innen, die Drohungen von Nazis im Briefkasten haben, weil ihre
Adressen veröffentlicht wurden. Ich sehe, wie Kolleg_innen an der Arbeit
der Polizei und Staatsanwaltschaft verzweifeln. Und man muss sagen: mit
Recht verzweifeln.
Man ist als politische Autorin in diesem Land heute nicht besonders gut
geschützt, und das liegt unter anderem daran, dass diejenigen, die für den
Schutz von Presse- und Meinungsfreiheit eigentlich zuständig wären, ihre
Arbeit zum Teil nicht gut machen. Es gibt dort Leute, die sich Mühe geben,
aber es gibt auch die, die komplett versagen.
Und dann hat man Arbeit, die man nicht haben sollte. Es macht eh schon
Arbeit, Drohungen zu dokumentieren und anzuzeigen, auch wenn man eine sehr
gute Anwältin hat – und noch viel mehr, wenn diese Sachen nicht richtig
bearbeitet werden. Ich würde die Zeit, die ich darin investiere, lieber
nutzen, um Texte zu schreiben, weil das meine Arbeit ist. Ich würde gern
mehr daran glauben, dass diese Leute ihre Arbeit auch machen.
Manchmal fühlt es sich an wie ein schlechter Witz. Ein Beispiel. Eine
Vergewaltigungsdrohung, die ich mal bekam, war sehr explizit und brutal
formuliert, eine Aufzählung sexueller und gewalttätiger Fantasien. Anzeige,
Verfahren, Verfahren eingestellt, Täter nicht gefunden – okay, manche
können nicht gefunden werden, aber: Der Straftatbestand, den die
Staatsanwaltschaft formulierte, lautete „Verbreitung pornographischer
Schriften“. Ich wusste bis dahin nicht mal, dass das überhaupt etwas
Strafbares ist, aber vor allem war das kein Porno.
Ein anderes Beispiel. Ich bekomme die meisten Drohungen, wenn ich über
Gewalt gegen Frauen schreibe. Die Leute werden irgendwie inspiriert
dadurch. In einem Text ging es darum, wie viele Frauen in Deutschland von
ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet werden, und jemand reagierte so:
„Du rotes Stück Scheiße gehörst so verprügelt, dass du nie mehr schreiben
und deinen versifften sozialistischen Scheiß verbreiten kannst. Ihr Zecken
werdet bald brennen. Du Hure. Du verdammtes Stück Dreck bist bald fällig.
Du Schlampe gehörst erschossen. Kriegst du nicht genug Schwänze oder was
ist los?“
Der Absender dieser Nachricht wurde ermittelt – also, ich muss sagen, er
wurde von mir ermittelt, weil er sich leicht googeln ließ. Die
Staatsanwaltschaft sah am Ende von der Verfolgung ab und begründete das
damit, dass der Täter im Ausland wohne, nicht vorbestraft sei und seine
Äußerungen als „private Nachricht“ verschickte. Im Einstellungsschreiben
stand: „Ein öffentliches Interesse, das die Strafverfolgung gebietet, liegt
nicht vor.“ – Sicher? Ich würde gern glauben, dass es ein öffentliches
Interesse daran gibt, dass Autorinnen Texte schreiben können, ohne erklärt
zu kriegen, sie sollten verprügelt, erschossen und verbrannt werden. Das
scheint mir nicht zu viel verlangt.
Mich irritiert vieles am juristischen Umgang mit diesen Dingen, und das
liegt nicht nur daran, dass ich keine Juristin bin.
## Sie halten es aus, meistens
Wegen konkreter Drohungen hatte ich mal eine Sicherheitsberatung beim LKA.
Nett, einerseits, aber auch bizarr. Ich bekam da unter anderem den Tipp,
abends im Dunkeln nicht allein unterwegs zu sein. Und wenn doch, eine
Taschenlampe mitzunehmen. Und wenn mir etwas komisch vorkommt, die Polizei
zu rufen. Ja. Mir kommt etwas komisch vor. Ich kenne ähnliche Geschichten
von anderen Autor_innen. Manchen wird geraten, gar nicht mehr allein
rauszugehen. Schwierig.
Taschenlampe gegen Nazis, ich fürchte, das funktioniert nicht. Das ist
nicht der Antifaschismus, den ich mir vom Staat wünsche. Was funktionieren
würde, wäre Abschreckung, weil Täter ermittelt und bestraft werden. Damit
sich die Feinde von Presse- und Meinungsfreiheit nicht mehr so sicher
fühlen können. Was funktionieren würde, wäre eine Gesellschaft, die
Angriffe auf Journalist_innen ernster nimmt und nicht als etwas betrachtet,
was diese eben aushalten müssen. Sie halten es ja aus, meistens.
Was funktionieren würde, wäre eine Öffentlichkeit, die „Hass im Netz“ ni…
als etwas betrachtet, das frustrierte Typen am Computer im Keller ihrer
Mutter verbreiten, weil sie von der Welt enttäuscht sind. Sogenannter „Hass
im Netz“ bleibt nicht unbedingt im Netz. Walter Lübcke bekam auch „Hass im
Netz“ ab, bevor er erschossen wurde.
Es gibt diesen Text von Kurt Tucholsky von 1922, in „Was wäre wenn, …“, …
warnt darin vor politischen Morden und sieht darin ziemlich beachtlich in
die Zukunft: Er stellt sich vor, dass ein Minister erschossen wird – und
zwei Tage später wurde dann tatsächlich Walther Rathenau von Rechtsextremen
erschossen.
„Wie war das möglich?“, schreibt er. „Das war möglich, weil die Republik
vier Jahre hindurch geschlafen hatte. Das war möglich, weil man sich darauf
verlassen hatte, dass ein großer Teil des Bürgertums und fast die gesamte
Arbeiterschaft gut republikanisch sei – was ja auch stimmte. Aber man hatte
nichts, nicht das Geringste getan, um diese Leute zu unterstützen. Warnten
sie, so hatte man abgewiegelt.“
## Ich möchte Morddrohungen nicht normal finden
Man wiegelt auch heute ab. Das Komische ist: Wir tun das zum Teil selbst.
Ich finde sehr unangenehm, dass ich an mir selbst beobachten kann, wenn
über einzelne Morddrohungen berichtet wird, wie ich dann kurz denke: Ja,
normal. Ich möchte das nicht normal finden. In Wirklichkeit müsste man von
jeder dieser Drohungen berichten, um zu zeigen, bei welchem Level wir
inzwischen angekommen sind.
Ein Text von Tucholsky heißt „Wir Negativen“, er ist 100 Jahre und ein paar
Monate alt. Darin heißt es: „Wir wollen kämpfen mit Hass aus Liebe.“ Guter
Satz, finde ich. Der Text beginnt mit den Worten: „Es wird uns Mitarbeitern
der Weltbühne der Vorwurf gemacht, wir sagten zu allem Nein und seien nicht
positiv genug.“
Mir kommt das bekannt vor. Wenn man linke, feministische Texte schreibt,
dann kennt man den Vorwurf, dass man immer nur meckert. Ja, man meckert
viel. Es mag etwas negativ wirken, aber sagen wir mal so: Wenn ich nicht
die Hoffnung hätte, dass sich an den Zuständen, wie sie sind, etwas
ändern lässt, dann würde ich mir nicht die Mühe machen, Texte darüber zu
schreiben. In diesem Sinne danke ich allen, die diese Mühen mittragen, und
dazu beitragen, dass es trotz allem auch sehr viel Spaß macht.
Der Text ist die gekürzte Rede von Margarete Stokowski, die sie am 3.
November 2019 hielt.
7 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/thema/spon_stokowski/
[2] /Margarete-Stokowski/!a179/
[3] /Luft-und-Liebe/!t5009227
## AUTOREN
Margarete Stokowski
## TAGS
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