| # taz.de -- Margarete Stokowski im „SZ Magazin“: Augenzwinkerndes Anbiedern | |
| > Ein Porträt der Kolumnistin Margarete Stokowski erscheint im „Süddeutsche | |
| > Zeitung Magazin“. Es offenbart einen überheblichen Journalismus. | |
| Bild: Das Cover zeigt Margarete Stokowski, aber der Text will weder sie noch ih… | |
| Es gibt eine Krise des Journalismus, das ist nicht neu; aber aus dieser | |
| Krise heraus kann, wie aus allen Krisen, eine Einsicht entstehen, wie es | |
| anders, besser, offener, ehrlicher gehen könnte – daraus, aus dieser | |
| Ambition, aus diesem Gefühl einer notwendigen Veränderung, erklärt sich, | |
| glaube ich, ein Teil der Aufregung um einen Text im Magazin der | |
| Süddeutschen Zeitung vom Freitag. | |
| In dem Text beschreibt der Autor, Tobias Haberl, die frühere taz- und | |
| heutige Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski: Eine Frau, so heißt | |
| es gleich im ersten Satz dieser Geschichte, die „im Geschlechterkampf keine | |
| Pause machen“ darf und deshalb sogar noch im Regen weiterdiskutiert. | |
| Und dieser leicht willkürliche Zuschreibungsgestus prägt dann auch den | |
| weiteren Text, in dem sich Satz für Satz Selbstverständliches mit mehr oder | |
| weniger verstecktem Ressentiment vermischt, gegen den Ruhm der anderen, | |
| gegen diese Frau und gegen diesen Feminismus, von dem jetzt alle reden. | |
| „Wenn man sich fragt, wer eigentlich davon profitiert, dass unsere | |
| Gesellschaft in zahllose Milieus zersplittert ist, von denen jedes | |
| versucht, die größtmögliche Diskriminierung für sich zu beanspruchen“, so | |
| geht der Text weiter, eine Titelgeschichte immerhin zum Phänomen eines | |
| neuen Feminismus, „dann landet man schnell bei Margarete Stokowski – und | |
| auch hier, im zweiten Absatz dieser recht langen Geschichte, kann man | |
| sehen, wie sich Annahmen und Unterstellungen, die nicht kenntlich gemacht | |
| werden, so aneinanderreihen, dass daraus eine implizit als gegeben | |
| anzunehmende Gesellschaftsbeschreibung wird. | |
| ## Klinisch, empathiefrei | |
| Diversität ist demnach also etwas, das erstens inszeniert ist und zweitens | |
| instrumentalisiert wird: Die Projektion ist hier eine homogene | |
| Gesellschaft, die aus Profitinteressen unterhöhlt und zerstört wird von | |
| Menschen, von Frauen wie Stokowski. | |
| Deshalb, so macht es der Gestus des Textes klar, ist auch das Misstrauen | |
| gegen ihre Art von emanzipatorischem Denken verständlich; sie will | |
| schließlich, dieser Gedanke taucht wieder und wieder in dem Text auf, sie | |
| will schließlich mit ihrem Schreiben auch noch Geld verdienen. | |
| Dass sie für ihre [1][eigentlich im Kontext des frühen bis mittleren 21. | |
| Jahrhunderts sehr selbstverständlichen Forderungen] nach Gleichberechtigung | |
| der Geschlechter Morddrohungen bekommt und deshalb nicht in ihrer eigenen | |
| Wohnung übernachten kann – das wiederum „stresst“ Stokowski. | |
| Auch die Geschichte der mehrfachen und lang dauernden Vergewaltigung in | |
| ihrer Jugend wird eher kurz und klinisch abgehandelt: Es ist neben vielen | |
| wadenbeißerischen Formulierungen dieser Ton der Empathiefreiheit, der an | |
| dem Text so verstörend war, verbunden mit einem augenzwinkernden Anbiedern | |
| an einen Mainstream-Diskurs, den es möglicherweise gibt oder auch nicht, | |
| den der Text aber als gegeben voraussetzt. | |
| „Das Problem am Feminismus ist, dass Männer und Frauen sich naturgemäß | |
| schwertun, sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen“, heißt es da etwa | |
| – 70 Jahre nach Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ wirken Sätze, | |
| die mit solch einer selbstverständlichen und damit wenig selbstkritischen | |
| Selbstsicherheit hingeschrieben sind, vor allem deshalb so deplatziert, | |
| weil sie dezidiert davon ausgehen, dass andere, möglicherweise viele | |
| Menschen genauso denken. | |
| ## Auf die Seite der Macht gestellt | |
| Und so ist es das Ergebnis, vielleicht sogar das Ziel dieses Textes, diese | |
| Frau, Margarete Stokowski, und ihr Denken nicht wirklich verstehen zu | |
| wollen, sondern als merkwürdige gesellschaftliche Erscheinung zu | |
| beschreiben. | |
| Warum also dann diese Geschichte? „Wer ist diese Frau – und wie überzeugend | |
| ihr Engagement?“ So formuliert die Unterzeile die Frage, und sie verrät | |
| viel über das Misstrauen, das diese Art von Journalismus antreibt, der | |
| vorgeblich kritisch ist – ohne den Sinn oder die Prämissen dieser | |
| kritischen Haltung klarzumachen. Und tatsächlich ist er damit in der | |
| Konsequenz auch nicht kritisch, sondern affirmativ, [2][weil er sich auf | |
| die Seite einer gesellschaftlichen Macht und Mehrheit stellt] und den | |
| Betrachtungsgegenstand, Margarete Stokowski und den Feminismus generell, | |
| kleiner macht, in Zweifel zieht, in die Defensive bringt – ohne dass | |
| explizit klargemacht wird, warum. | |
| Die Geschichte, und das erklärt die vielfältige Kritik daran, ist damit | |
| symptomatisch für eine Art, zu schreiben und zu denken, die genau das tut, | |
| was vom Autor kritisiert wird: Es werden Milieus und Haltungen | |
| gegeneinandergestellt, die eigentlich gar nicht gegeneinanderstehen, es | |
| wird im Anekdotischen ein gesellschaftlicher Konsens oder wenigstens eine | |
| emanzipatorische Aspiration aufgegeben, die demokratisch legitimiert ist, | |
| es wird auf vorgeblich heitere Art daran gearbeitet, das Rad des | |
| Fortschritts wieder ein Stück zurückzudrehen. | |
| Der Text ist damit Zeichen der aktuellen Krise des Journalismus, verloren | |
| in medialen Selbstbespiegelungen, prinzipienfrei im inszenierten | |
| Spannungsfeld eines gesellschaftlichen Einerseits-Andererseits. Er wirkt | |
| sehr alt und seltsam aus der Zeit gefallen. Er zielt aufs Neue und verpasst | |
| die Gegenwart in ihren Möglichkeiten, ihrem Charme und ihrer Schönheit. | |
| 10 Jun 2019 | |
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| Georg Diez | |
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