| # taz.de -- Kulturszene in Sachsen und die AfD: Generalstreik in Radebeul | |
| > Der Rechtsaußen Jörg Bernig wurde zum Kulturamtsleiter in der sächsischen | |
| > Kleinstadt gewählt. Die Kulturszene reagiert mit einem Protestbrief. | |
| Bild: Fotowand im Karl-May-Museum Radebeul: Der Ort bei Dresden ist ein beliebt… | |
| Wer von Dresden nach Radebeul telefonieren will, benötigt keine Vorwahl. Im | |
| Westen Dresdens müssen gelbe Ortsschilder an den fließenden Übergang | |
| zwischen den Nachbarorten erinnern. Sie erinnern auch an den fragenden | |
| Volkswitz, ob Radebeul eine Vorstadt von Dresden sei oder umgekehrt. | |
| Ein Hinweis darauf, dass die Radebeuler stolz sind auf die Eigenständigkeit | |
| ihrer für eine Stadt von 34.000 Einwohnern ungewöhnlich breiten | |
| Kulturszene, ja sogar auf eine „Radebeuler Lebensart“, wie der erst | |
| 33-jährige Vorsitzende des Kulturvereins, Björn Reinemer, formuliert. Die | |
| sollte keineswegs nur als Ausläufer der angeblichen Weltkulturhauptstadt | |
| Dresden gelten. | |
| Radebeul leistet sich denn auch als einzige Stadt im Landkreis Meißen ein | |
| Kulturamt. Das brachte die Stadt nun auch überregional in die Schlagzeilen, | |
| weil der Stadtrat in der vorigen Woche geheim und mit knapper Mehrheit den | |
| weit nach rechts [1][abgedrifteten Lyriker Jörg Bernig] zum neuen | |
| Kulturamtsleiter wählte. Über ein Jahr wurde kein Nachfolger für den nach | |
| langer Amtszeit 2019 zurückgetretenen Alexander Lange gefunden, der jetzt | |
| die Städtische Galerie leitet. Dem Personalvorschlag des CDU-Fraktionschefs | |
| Ulrich Reusch folgten offenbar auch die AfD und zwei weitere Stadträte, | |
| über die noch spekuliert wird. | |
| Auch Tage danach dominiert noch die Überraschung über diesen Coup. | |
| Vielleicht fiel deshalb das spontane Echo unter nahezu allen, mit denen | |
| Bernig als künftiger Amtsleiter zusammenarbeiten müsste, so heftig aus. | |
| Mittlerweile haben 350 Künstler und Kulturschaffende den offenen | |
| Protestbrief unterzeichnet, der die Wahl als schädlich für Radebeul | |
| bezeichnet. | |
| ## Vor neuerlicher Wahl | |
| Unter ihnen der hochbetagte ehemalige Präsident des Sächsischen | |
| Kultursenats, Bernhard Freiherr von Loeffelholz, vor 1989 immerhin | |
| Spitzenbanker der Dresdner Bank und Vorsitzender des Kulturkreises der | |
| Deutschen Wirtschaft. Kirchenvertreter, Ärzte, Gastronomen und | |
| Wissenschaftler gehören ebenfalls zu den Unterzeichnern. Erst unter diesem | |
| Druck hat der parteilose Oberbürgermeister Bert Wendsche am Montag sein | |
| Veto eingelegt. Am 15. Juni soll die Wahl wiederholt werden. | |
| Kulturleute zeigen sich auch deshalb betroffen, weil die | |
| Stadtratsentscheidung nicht die auch hier divergierenden Stadtmilieus | |
| widerspiegelt. Mit 19,1 Prozent Wählerstimmen und sechs von 34 Stadträten | |
| bleibt die AfD unter dem Sachsendurchschnitt. Gastronomen und Händler in | |
| Altkötzschenbroda, dem elbnahen Ortsteil der Touristen und der großen | |
| Feste, haben mit einer Aktion „Wir machen blau“ schon gegen penetrante | |
| AfD-Agitation protestiert. Nicht, weil sie überzeugte Linke wären, sondern | |
| weil sie dieses Auftreten für geschäftsschädigend halten. | |
| Die langgezogen an der Meißner Landstraße zwischen Elbufer und Weinhängen | |
| gelegene Stadt gilt zwar als konservativ, aber eher im besten | |
| kulturbürgerlichen Sinn. Bei den Besuchen der Landesbühnen Sachsen, die | |
| hier ihr Stammhaus haben, bekommt man davon einen Eindruck. Das Haus an der | |
| Weintraube ist beliebt, der Spielplan mit Rückgriffen auf Brecht oder | |
| Heiner Müller und brisanter Gegenwartsdramatik durchaus ambitioniert, aber | |
| die Inszenierungen überfordern auch niemanden. | |
| ## Im Namen Karl Mays | |
| Eine deutsche Legende steht synonym für den Ruf und den Namen Radebeuls. | |
| Der Volksschriftsteller Karl May und seine Frau Klara lebten lange hier. | |
| Seine Villa „Shatterhand“ beherbergt das Karl-May-Museum, ein | |
| Anziehungspunkt, wenn auch wegen der Kündigung des Direktors derzeit in | |
| schweren Gewässern. May, sonst gern von Deutschnationalen vereinnahmt, | |
| dient interessanterweise den Verfassern des Protestbriefs gegen die Wahl | |
| Bernigs als Kronzeuge „für Toleranz, Weltoffenheit und kulturellen | |
| Austausch“. | |
| Der erste Name unter dem Brief lautet Helmut Raeder, seit drei Jahrzehnten | |
| Organisator der großen Radebeuler Kulturfeste. Und vor allem der jährlich | |
| zu Himmelfahrt üblichen Karl-May-Festtage im Lößnitzgrund. | |
| Den Protest hält Raeder auch für einen wichtigen „Teil der demokratischen | |
| Willensbildung, nachdem die AfD auf die demokratische Wahl Bernigs pochte. | |
| Allerdings spricht auch er vom Platzen einer möglichen „Illusionsblase“ in | |
| einer Stadt, die zwar viel weniger piefig-kleinstädtisch sei als die | |
| meisten dieser Größe, in der aber trotzdem jede jeden zu kennen meinte. | |
| Man kennt zum Beispiel den Maler, Publizisten und Bernig-Freund Sebastian | |
| Hennig als glühenden Pegida-Verehrer. Man weiß, dass der Landesvize der | |
| Werte-Union, Sven Eppinger, in der Stadtratsfraktion über Einfluss verfügt. | |
| Im Goldenen Anker in Altkötzschenbroda bestritt | |
| Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen für die Werte-Union im | |
| August des Vorjahres eine Wahlkampfveranstaltung, die sich in Nichts von | |
| einer der AfD unterschied. | |
| ## Wein und Gesang | |
| Aber eben dieses Altkötzschenbroda steht für eine in der Zeit von | |
| Amtsleiter Lange aufblühende aufgeklärte Kunstszene, kleine Galerien und | |
| interessante Läden sowie für das große Wein- und Straßentheaterfest im | |
| Herbst. Sechzig Bildende Künstler wohnen inzwischen in Radebeul. Die | |
| Verquickung von Natur, Weinbau und Kultur hat neben Spitzenkönnern von | |
| Bühne und Musik auch das Ehepaar Biedenkopf nach dem Rücktritt des früheren | |
| sächsischen Ministerpräsidenten inspiriert, hier eine Zeit lang zu wohnen. | |
| Der Schauspieler „Fiete“ Junge oder der Schlagzeuger „Baby“ Sommer erg�… | |
| mit privaten Veranstaltungsreihen das städtische Angebot. Einer der | |
| Aufsässigen der späten DDR, der Künstler Reinhard Zabka, hat in Serkowitz | |
| ein skurriles „Lügenmuseum“ eingerichtet. Sternwarte und Stadtbibliothek | |
| verdienen ebenfalls eine Erwähnung. Das Staatsweingut Schloss Wackerbarth | |
| und die Hoflößnitz gelten unter Weinfreunden im Elbtal als kulturelles und | |
| kulinarisches Mekka. | |
| Fast in der Bedeutungslosigkeit versunken sind allerdings die Erben Karl | |
| Mays. Zu DDR-Zeiten blühte hier bei den „Old Manitous“ die | |
| Hobby-Indianistik, die Sehnsucht nach dem Wilden Westen und dem Westen | |
| überhaupt. In Lindenau gibt es noch ein Gelände mit einem Saloon. | |
| Unter Schock stehend starrt die Kulturszene nun mit gemischten Gefühlen auf | |
| die Wahlwiederholung am 15.Juni. Bernig und seine verwaltungserfahrene | |
| Kontrahentin aus dem Erzgebirge werden absehbar wieder antreten. Es könnte | |
| bei gleichem Personal auch wieder gleich ausgehen, wird befürchtet. Wer | |
| Jörg Bernig noch aus seiner Zeit als ernst zu nehmender Dichter und | |
| Wissenschaftler kennt, bevor er zu Tumult, Sezession und | |
| „Umvolkungs“-Ideologien driftete, versteht nicht, dass er nicht von sich | |
| aus zurückzieht. „Mit wem will er denn zusammenarbeiten, wenn sich alle | |
| verweigern“, ist immer wieder zu hören. | |
| Bernig aber schweigt. Und die AfD, immer für eine Kabarettnummer gut, weiß | |
| inzwischen, wer an der erneut angesetzten Wahl schuld ist. | |
| CDU-Generalsekretär Alexander Dierks erinnere mit seiner Aufforderung an | |
| den Stadtrat, „sich mit der Personalie noch einmal auseinanderzusetzen“, an | |
| totalitäre Zeiten. | |
| 31 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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